Alice Schwarzer schreibt

Der zweite Schritt

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Als EMMA vor 30 Jahren - am 26. Januar 1977 - zum ersten Mal erschien, da war das Spektakel groß. Die ersten 200.000 Exemplare waren innerhalb weniger Tage vergriffen, es mussten 100.000 nachgedruckt werden. Dennoch menetekelte die Mehrheit der Medien, dies sei wohl die letzte Ausgabe, bestenfalls die vorletzte. Nur E.H. von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung orakelte: "Auf Dauer wird hier für die moderne Gesellschaft mehr Sprengstoff liegen, als in den Traumtänzereien verworrener Systemveränderer."

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Er sollte recht behalten. Seither erschienen 276 EMMA-Ausgaben und fand in der westlichen Welt die größte soziale Revolution des 20. Jahrhunderts statt: die Emanzipation der Frauen. Erstmals in der Geschichte sind Frauen in unseren Breitengraden de jure uneingeschränkt gleichberechtigt - und de facto unaufhaltsam auf dem Weg in die Welt. Inzwischen studieren mehr Studentinnen als Studenten. Ihren Großmüttern bzw. Urgroßmüttern war noch der Zugang zu den Universitäten verboten. Und wir sind sogar Kanzlerin und Weltmeisterinnen. Einen solchen Fortschritt in Siebenmeilenstiefeln hätte vor 30 Jahren niemand zu prophezeihen gewagt, auch EMMA nicht. Und schon gar nicht ihre GegnerInnen, die nach der ersten Ausgabe in die unterste Schublade griffen (siehe Seite 124). Das ging von offener Häme bis zum nackten Formalismus des Stils: das Zählen der Kommatafehler in der ersten EMMA-Ausgabe (der Mühe unterzogen sich die ZDF-Nachrichten).

Die Wirkung dieser Rezeption war zweischneidig. EMMA war im Gespräch - aber EMMA wurde auch zur Unberührbaren gemacht; eben nur etwas für "diese Emanzen", aber nichts für "echte Frauen". Und das dauert bis heute an. Noch immer wissen EMMA-Abonnentinnen, die sich den Sprüchen am Kiosk entziehen wollten, ein Lied zu singen von Briefträgern, die das Heft mit dem freundlichen Kommentar überreichen: Das hätte ich aber nicht gedacht, dass Sie das nötig haben, Frau X, so etwas zu lesen"...

Gleichzeitig aber ist eine gewisse Gelassenheit eingetreten. Und das hat natürlich auch und vor allem etwas mit der Präsenz, ja Angesagtheit der Sache zu tun, für die EMMA steht. Wenn schon die Zeit mit dem Aufruf titelt "Wir brauchen einen neuen Feminismus!" und Brigitte mit "Frauenpower" wirbt, wer mag da EMMA noch ihr Engagement für die Gleichberechtigung verübeln? Doch das Irritierende bleibt: EMMAs oft lästige Konsequenz - und ihre absolute Unabhängigkeit. EMMA ist keiner Werbeagentur und keiner Partei verpflichtet. Das macht frei. Auch im Denken und Schreiben.

In diesen 30 Jahren stieg EMMAs Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz unaufhaltsam. Das signalisiert die Allensbach-Umfrage, die EMMA jetzt zum dritten Mal anlässlich eines runden Geburtstags - 20, 25, 30 - in Auftrag gab. Die letzte Umfrage zeigt: Im Jahr 2006 hat jede fünfte Frau in Deutschland EMMA schon einmal gelesen bzw. liest sie. Und 57 Prozent aller Befragten (60 Prozent aller Frauen) kennen EMMA. Vor allem bei den Männern hat die Wahrnehmung von EMMA zugenommen: Allein in den letzten zehn Jahren ist sie um zwölf Prozent auf gesamt 54 Prozent gestiegen.

Die Männer. Was schätzen Sie an EMMA? Bei der jüngsten EMMA-LeserInnen-Umfrage konnten wir es mal wieder schwarz auf weiß lesen: "den guten Journalismus", "die Berichterstattung über Themen, die ich woanders vermisse, wie den Islamismus" oder auch einfach "dass ich in EMMA einen tiefen Blick in die Welt der Frauen tun kann - und davon die Beziehung zu meiner Frau profitiert".

Nur eine Minderheit dieser Leser allerdings erwirbt EMMA selbst, die meisten sind Mitleser. Sie gehören also zu den zwei Dritteln, für die die Emanzipation der Frauen inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden ist oder immer war. Ihnen gegenüber steht das harte Drittel, das gerne seinen alten Kaiser Wilhelm wiederhaben möchte.

Gehen wir es an. Gemeinsam: Die modernen Frauen und modernen Männer - gegen die alten Männlein und Weibchen.

So antworteten 33 Prozent aller Männer Allensbach auf die Frage, ob es besser wäre, "wenn Frauen sich wieder stärker um ihre Familie und den Haushalt kümmern würden, statt Karriere zu machen", mit einem glatten: Ja. (Aber übrigens "nur" 25 Prozent aller jungen Männer unter 30. Es gibt also Hoffnung.) Das ist das Drittel, das sich seit Jahren durch alle Umfragen und Studien zieht. Das Drittel, das auch in der Allensbach-Umfrage auf allen Ebenen auftaucht: 31 Prozent aller Frauen klagen über mangelnde Gleichberechtigung in der Beziehung und 34 Prozent aller Männer finden EMMA "männerfeindlich". Es ist das Drittel, das nicht im Verdacht steht, EMMA abonniert zu haben. Das Drittel, das Frauen vergessen sollten.

Wenden wir uns den anderen zwei Dritteln zu. Den Männern, die die neuen Verhältnisse genießen oder zumindest versuchen, sich mit ihnen zu arrangieren. Auch wenn die Herausforderung groß ist. Denn schließlich wurden innerhalb weniger Jahrzehnte über Jahrtausende gewachsene Machtverhältnisse und Privilegien erschüttert. Das tut weh. Den Ex-Privilegierten. Auf diese Erschütterung gibt es heute zwei Antworten im Weltmaßstab: den Fundamentalismus und den Biologismus. Beide haben nicht zufällig die Fortschreibung der traditionellen Geschlechterrollen im Visier: Frauen sollen Frauen bleiben - und Männer Männer. Was immer das heißen mag.

Zeiten der Veränderung sind Zeiten der Verunsicherung. Für Verunsicherte kann das Angebot ewiger Wahrheiten zum rettenden Anker werden. Ein solches Angebot macht sowohl der religiöse Fundamentalismus mit seinen göttlichen Dogmen, wie auch der pseudowissenschaftliche Biologismus mit seinen natürlichen Determinierungen. Beide sind Waffen im - hoffentlich letzten - Gefecht des Patriarchats, Schutzschilde für "gekränkte Männerehre" und beleidigte Weiblichkeit. Und das nicht nur im Islam.

Doch es gibt kein Zurück hinter einmal Erkanntes und Erreichtes. Nicht nur für Frauen. Auch der moderne Mann will nicht länger den alten Adam mimen; will nicht länger Alleinverdiener sein mit einer starken Schulter, an die sein schwaches Weib sich für immerdar anlehnt - und schon gar nicht das Geschlecht mit dem harten Herzen, das ohne einfühlsame Frau stehen bleibt.

Der moderne Mann genießt es, auch mal schwach sein zu dürfen - und vor allem, nicht mehr allein zu sein in dieser Welt. Denn er hat es - trotz aller so manches Mal schmerzlichen Turbulenzen - durchaus schätzen gelernt, eine Gefährtin an seiner Seite zu haben: als Frau, Freundin, Schwester oder Kollegin. An der Seite dieses modernen Mannes steht heute die moderne Frau, auch sie nicht immer ohne Widersprüche. Doch scheint sie entschlossen, Schulter an Schulter mit ihm die Welt zu tragen, drinnen wie draußen. Gehen wir es also an. Gemeinsam: Die modernen Frauen und modernen Männer - gegen die alten Männlein und neuen Weibchen. Gehen wir es an. Gemeinsam: Die modernen Frauen und modernen Männer - gegen die alten Männlein und neuen Weibchen.

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