Alice Schwarzer schreibt

Ne me trahis pas ...

Romy Schneider & Alice Schwarzer 1976 im Interview für EMMA
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Ich komme aus einer kinosüchtigen Familie, in der Mutter und Großmutter am liebsten zwei-, dreimal die Woche ins Kino gingen. Und ich eiferte ihnen nach. Doch Romys Sissi-Filme gehörten nicht zum Familien-Repertoire, die fanden wir "kitschig". Erst nach Romys Tod habe ich die damals 16-Jährige als Kaiserin Sissi gesehen und begriffen, dass diese Rolle zu Recht ihren Weltruhm begründet hat: die Präsenz, die Frische, der Charme! Ich habe also nie für Romy Schneider geschwärmt. Das hat es mir vermutlich leichter gemacht, mit Empathie aber doch auch der nötigen Distanz auf sie zu blicken.

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In den Jahrzehnten darauf wurde Romy Schneider einer der drei deutschen Weltstars des Cinemas: die dritte nach Marlene Dietrich und Hildegard Knef. Wobei alle drei nicht etwa in Deutschland, sondern erst im Ausland zu wirklichen Stars wurden – und alle drei lebenslang an Deutschland gelitten haben.

Von Anbeginn an und bis zuletzt habe ich Romys Weg mit großem Interesse und großer Sympathie verfolgt. Denn sehr schnell wurde klar, Romy ist die projektierte Verkörperung aller deutschen Frauenklischees der Nachkriegs-Jahrzehnte: von der Jungfrau über das Luder bis hin zur reuigen Mutter. Das hatte auch sie selbst klarsichtig erkannt und immer wieder versucht, sich davon zu befreien. Ihre mit sich selbst so schonungslosen Interviews und hinreißend sarkastischen Briefe legen Zeugnis davon ab.

Ab den 60er Jahren erkannte ich, trotz aller Unterschiede, gewisse Gemeinsamkeiten: die Liebe zu Frankreich, das schwere deutsche Herz – und der Zorn über den Umgang der Medien. "Wir sind", hat Romy 1976 in einer unserer durchredeten langen Nächte zu mir gesagt, "die beiden meistbeschimpften Frauen Deutschlands". So war es – und so wäre es vermutlich immer noch auch für sie, wäre sie nicht so bedrückend jung gestorben und inzwischen zum Mythos entrückt.

Ihr überraschender Tod im Alter von nur 43 ist nun schon ein Vierteljahrhundert her. Doch noch immer laufen die Filme mit Romy Schneider im Fernsehen, gibt es keine deutsche Weihnacht ohne Tanne & Sissi, und schlagen zu ihrem 70. Geburtstag am 23. September 2008 die Wogen mit Retrospektiven und Publikationen wieder mal hoch. Dabei schwingt noch immer viel Kitsch mit. Genau der Kitsch, vor dem Romy ein Leben lang weggerannt ist, aber den sie auch selber immer wieder produziert hat.

Denn wahr ist ja: Romy Schneider war mutig und ängstlich zugleich; sie war revoltiert und angepasst, sie war hochbegabt und von Selbstzweifeln zerfressen. Und genau diese Zerrissenheit, ihr offenes Leiden daran und dessen Umsetzung in ihre Rollen ist es, was – neben ihrem Charisma – den Mythos begründet. An dem Punkt ist Romy durchaus mit Marilyn Monroe vergleichbar.

Nicht zufällig schwärmen zwar auch Männer, doch anscheinend vor allem Frauen für sie. Was nicht nur an Romys erotischen Ausstrahlung liegt, die sich von Anfang an an beide Geschlechter gerichtet hat, sondern auch an ihrer so hochaktuellen Zerrissenheit als Frau: Romy Schneider ist sehr früh und sehr öffentlich den Weg gegangen, auf den sich viele Frauen erst heute und klammheimlich machen.

Die junge Rosemarie Albach, nach ihrer Mutter Schneider genannt, hatte sich schon in den 50er Jahren von einer besitzergreifenden Mutter und einem übergriffigen Stiefvater emanzipiert; sie hat immer wieder den Bruch und Ausbruch gewagt, doch nie ihre Sehnsucht nach Kontinuität und Sicherheit stillen können. Und vor allem: Die Schauspielerin in der vierten Generation hatte noch vor der Leidenschaft für die Liebe die Leidenschaft für den Beruf entdeckt. Bis zum Tod sollte es ihr nicht gelingen, beides zu vereinbaren. Im Gegenteil, sie hat auf beiden Seiten Konzessionen gemacht, hat die meist windigen Männer an ihrer Seite zunehmend mit fest geschlossenen Augen idealisiert und auch so manchen Film gedreht, der sein Niveau ausschließlich ihrer außergewöhnlichen schauspielerischen Leistung zu verdanken hatte.

Im Jahr 1971 hatten wir erstmals Kontakt. Damals ging es um ihre Unterschrift zu dem Appell der 374 ("Ich habe abgetrieben und fordere das Recht für jede Frau dazu"). Erst 1976 sind wir uns dann begegnet, weil ich Romy – nicht zufällig – für die erste Ausgabe von EMMA porträtiert habe. Wofür ich damals nicht nur vom Kölner Frauenzentrum äußerst herb gerügt wurde: Statt mit so einem Star zu sprechen, hätte ich gefälligst mit Fließbandarbeiterinnen zu reden (Was ich natürlich schon längst, und nicht nur einmal, getan hatte). Damals war eben im Feminismus die Reflektion über die Funktion von Idolen noch nicht angesagt. Hinzu kam die dogmatische Ausblendung der so genannten "bürgerlichen Frau".

Nach Romys so vielfach gefleddertem Tod am 29. Mai 1982 habe ich 15 Jahre gewartet, bis ich mich wieder auf ihre Spuren begeben habe. Doch ihr Leben wie ihr Mythos haben mir keine Ruhe gelassen. Sie scheint mir die Inkarnation von allem, was wir Frauen waren – und was wir sein wollen. Und sie ist ein Exempel für die Chancen und Grenzen der "weiblich" identifizierten Frau (das Gegenstück zu Gräfin Dönhoff sozusagen, der "männlich" Identifizierten). Und nicht zufällig habe ich die beiden biografischen Bücher hintereinander geschrieben: Für mich sind diese beiden Essays über Romy Schneider und Marion Dönhoff ("Marion Dönhoff. Ein widerständiges Leben", KiWi) zwei Hälften, die sich ergänzen. Und beide auch ein Stück deutscher Geschichte.

Romy verfolgte mich übrigens über dieses Buch hinaus. Gerade hatte ich damals die letzten Zeilen geschrieben, da entdeckte ich Stunden später in den Tiefen einer Schublade das zuvor vergeblich gesuchte Tonband mit unserem Gespräch vom Dezember 1976 wieder. Nicht ohne Beklommenheit drückte ich auf die Abhörtaste – und der erste Satz, der mir mit tiefer, melodischer Stimme entgegenschlug, lautete: "Ne me trahis pas!" Verrate mich nicht.

Ich muss gestehen: Der Satz ist mir bis ins Mark gedrungen. Mit klammem Herzen habe ich alles stehen und liegen lassen und mein Manuskript noch einmal in einem Zug durchgelesen, von der ersten bis zur letzten Seite. Hatte ich Romy verraten? Gab es eine Stelle, in der ich ihr Unrecht tat? Mir scheint: Nein. Dennoch höre ich seither nicht auf mich zu fragen: Was hätte sie wohl zu dem Buch gesagt?

Alice Schwarzer in der EMMA 5/2008
Der Text ist ein Auszug aus der Neuauflage von "Romy Schneider – Mythos und Leben" (KiWi). Zum EMMA Shop

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