Eine Frau fürs Eingemachte

Foto: Dörthe Hagenguth
Artikel teilen

Maria, in Zeiten, in denen Kochen als Kunst zelebriert wird, bezeichnest du dich als Handwerkerin.
Kochen ist ein bodenständiger, solider Beruf, ein echtes Handwerk. Das Gegenteil von dem, was uns öffentlich so serviert wird. Wie auf der „Food Week“ in Berlin. Dort gibt es viele Gerichte, die spektakulär aussehen – und dann hast du sie auf der Zunge und denkst: Unfressbar!

Du warst zehn Jahre alt als die Mauer fiel. Wie hast du die Wende erlebt?
Ich hatte großes Glück. Mein familiäres Umfeld ist nicht – wie bei vielen anderen – zusammengebrochen. Wir haben uns über die Wende gefreut und diese Euphorie hat uns über Ängste hinweggetragen. Ich konnte in die Welt hinausgehen, frei leben, mich verwirklichen. Den Ausverkauf unserer Heimat, den haben wir erst später Stück für Stück begriffen.

Was ist denn verkauft worden?
Identität und Selbstbewusstsein. Nehmen wir Thüringen. Hier leben in überdeutlicher Mehrheit gebürtige Thüringer. Der Besitz gehört aber zu 80 Prozent westdeutschen Eigentümern. So läuft es in so ziemlich allen ostdeutschen Städten. Sie sind hübsch geworden, aber sie gehören uns nicht. Wir Ossis sind Migranten im eigenen Land. Teilweise können sich die Menschen die Miete in ihrer Heimat nicht mehr leisten.

Es gibt aber doch auch ein neues Ost-Bewusstsein, das vor allem deine Generation lebt.
Ja, absolut. Es ist vielleicht ein bisschen wie in der Lesben- und Schwulen-Bewegung. Man gesteht sich ein: Ja, ich bin Ossi! Dann ist das schon mal raus. Und irgendwann erwächst daraus eine Stärke, die das vom Westen anerzogene Defizit-Denken vertreibt. Ja, unsere Prägung ist anders – und sie hatte viele Vorteile, die unserem Land heute guttun würden. Siehe Gleichberechtigung. Viele Ossis sind geistig beweglicher. Wir konnten uns nie auf Reichtümern ausruhen.

Was heißt das für dich in der Küche?
Ich lasse meine Ost-Sozialisierung mit in meine Küche einfließen. In meinem Restaurant lasse ich die thüringische Wirtshaus-Tradition wieder aufleben und mische sie mit der Moderne. Bauern-Küche trifft Gourmet-Küche. Wir servieren die Menüs in den Pfannen, in denen sie gekocht werden, verwenden biodynamische Produkte aus der Region, beziehen unsere Ausstattung, unser Geschirr von hier. Wir arbeiten teamorientiert. Aber ich will nicht missionieren, ich will begeistern!

Und, sind deine Gäste begeistert?
Ja, wir haben immer volles Haus und ein sehr gemischtes Publikum. Ich betreibe zwar ein Gourmet- Restaurant, aber keine Schickimicki-Küche. Das Preis-Leistung-Verhältnis
muss stimmen. Aber natürlich haben Qualität und Genuss ihren Preis. Auch hier geht es um Wertschöpfung und Wertschätzung und letzten Endes um Identität. Dem Kleinbauern, von dem ich meinen Ziegenkäse beziehe, zahle ich eben auch einen fairen Preis.

Du bist als Berufsköchin oft allein unter Männern …
Einerseits nervt mich die Reduzierung auf die Alibifrau, andererseits ist es besser, als wenn gar keine Frau dabei wäre. So habe ich immerhin die Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen und zu zeigen: Ja, ich hab’ Brüste, aber ich koche trotzdem besser als du! Zum Glück bin ich gut geerdet, wenn’s ans Eingemachte geht.

Und was ist das Eingemachte?
Wenn ich mich in meinem Gerechtigkeitsempfinden herausgefordert fühle. Zum Beispiel, wenn ich merke, dass ich nicht ernst genommen werde, weil ich eine Frau bin. Wenn meine Leistung heruntergespielt oder nicht anerkannt wird. Wenn mir jemand die Welt erklären will, weil ich Ossi bin. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen kann ich mit vielen Töpfen gleichzeitig kochen. Als Küchenchefin muss man sich durchsetzen können, als Frau auch.

Haben Männer es leichter in deiner Branche?
Ich wurde in meiner Laufbahn in den seltensten Fällen direkt als Küchendirektorin erkannt. Zuerst wurde immer mein Sous-Chef angesprochen. Das ist in der Küche wie im Leben. Nur wenige Frauen haben Lust dazu, sich diesen ständigen Revierkämpfen in der Küche zu stellen. Früher waren Küchen total patriarchalisch strukturiert. Das ändert sich erst jetzt ein bisschen, weil der Personalmangel so groß ist. Zum anderen ist es auch ein strukturelles Problem. Die Gastronomie arbeitet, wenn andere frei haben. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist gerade für Berufsköchinnen ein riesiges Problem.

Ist das ein Grund, warum du keine Kinder hast?
Ich hatte zum Glück nie das Bedürfnis, Kinder kriegen zu wollen. Es wäre für mich wahnsinnig schwer gewesen. Und: Unsere Gesellschaft toleriert keine Frauen, die sich beruflich verwirklichen wollen. Sonst hätten wir längst andere Strukturen, und Frauen müssten nicht um jeden Kindergartenplatz kämpfen. In der DDR war das anders.

Du bezeichnest dich als Feministin, wie kommst du dazu?
Erstmal komme ich aus einer Frauen-Dynastie. Meine Großmutter war bis zur Rente berufstätig und damit unabhängig. Ich bin ein Scheidungskind und bin bei meiner Mutter groß geworden. Meine emotionalen Bezugspunkte waren also immer Frauen. Sie waren und sind diejenigen, die das Leben am Laufen halten. Die Welt würde in Schutt und Asche liegen, wenn nicht ab und zu eine Frau auf die Bremse treten würde. Meine persönliche Erleuchtung war aber „Der kleine Unterschied“ von Alice Schwarzer, das Buch habe ich Ende der 1990er gelesen.

Aha.
Ich habe in dem Buch eins zu eins die Beziehungen wiedererkannt, die mich damals umgaben. Die Machtverhältnisse von Mann und Frau. Durch das Buch habe ich verstanden, dass wir im Patriarchat leben und Männer sich auf Kosten von Frauen bereichern. Wir Frauen müssen uns besser vernetzen, toleranter miteinander umgehen. Der Hass auf erfolgreiche Frauen kommt zum Beispiel vor allem von Frauen. Meine größten Hater in den sozialen Medien sind immer weiblich. Wir Frauen haben eine Neidkultur, die fatale Folgen hat. Da sind Männer anders. Die großen Schauplätze gehören ihnen, weil sie viel überparteilicher denken können. Das war zu DDR-Zeiten unter Frauen auch anders, solidarischer. Ich sage jungen Mitarbeiterinnen immer: Verliert euch nicht in Details! Weg mit den Kleinkriegschauplätzen! Das ist unser Ziel, das müssen wir erreichen. Wenn wir dort sind, können wir über Details sprechen.

Wenn du mal etwas nur für dich privat kochst, ohne Rücksicht auf Kalorien. Was kommt dann auf Tisch?
Also auf Kalorien achte ich nie, dafür bin ich ein viel zu sinnlicher Mensch. Das Lustprinzip ist ganz zentral in meinem Leben. Was aber kulinarisch immer ein Gefühl von Geborgenheit in mir auslöst – auch, wenn es ein Nachwendegericht ist – ist Spaghetti Napoli. Im Osten gab es ja früher nur Spirelli oder Makkaroni!

Du machst auch Show-Kochen im Fernsehen.
Ja. Aber manchmal ist bei mir eine Schamgrenze erreicht und ich sage Dinge ab. Ich ertrage es nicht, wenn Menschen vorgeführt werden. Dieses Vorführen ist nicht selten leider das vorherrschende Prinzip im Fernsehen. Ich mag es auch nicht, wenn Menschen durch Regie und Schnitt in ihrem Charakter verfälscht werden. Das passiert mir ja auch selbst oft. Es gab schon hin und wieder Formate, da wurde ich durch den Schnitt als impertinent, bösartig und frech hingestellt, während meine männlichen Kollegen überlegen „handfeste Entscheidungen“ getroffen haben.

Stichwort Thüringer Bratwurst.
Ja, also dieser Quatsch muss mal aufhören. Die Thüringer Küche hat nun wirklich mehr zu bieten als Klöße und Bratwurst. Aber nicht nur unsere Küche, der Osten generell wird zu sehr auf Stereotype reduziert. Oder eben auf Wahlergebnisse. Letzten Endes steht hinter der AfD-Sympathie übrigens oft in Wahrheit kein Fremdenhass, sondern Protest. Und vielleicht steht auch ein bisschen Hoffnung dahinter, endlich etwas zu bewegen. Denn das Vertrauen in die Politik der etablierten Volksparteien ist bei vielen verloren gegangen.

Das Gespräch führte Annika Ross.

Ausgabe bestellen
Anzeige
'
Anzeige
Anzeige
 
Zur Startseite