Gloria Allred gegen Bill Cosby

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Die Bilder von Gloria Allreds jüngster Pressekonferenz dürften die AmerikanerInnen noch lange vor Augen haben: Mit makellosem Make-up und einem dezenten St. John-Kostüm war die amerikanische Frauenrechtlerin und Prominentenanwältin Ende April vor die Nachrichtenkameras getreten, um mit Hilfe eines Baseballschlägers und zwei zu einem Kreis gebogenen Fingern Analsex zu demonstrieren. „Solche Gesten sind nicht akzeptabel“, erklärte dazu die für ihre Provokationen bekannte Juristin. Allred kämpft seit Jahrzehnten gegen die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen.

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Von dem Trainer des Baseballteams „Atlanta Braves“, der wenige Tage zuvor die beiden neunjährigen Töchter von Justin Quinn während eines Stadionbesuchs mit ähnlichen Bewegungen schockiert hatte, forderte die Anwältin eine Entschuldigung. Wie üblich hatte Allreds Einsatz Erfolg. Unmittelbar nach der Pressekonferenz entschuldigte sich Trainer Roger McDowell bei den verstörten Schülerinnen. Anschließend wurde er von den Managern des Teams nach Hause geschickt.

Gloria Allred hat den Ruf eines effektvollen Racheengels

„Mädchen und Frauen sollten nicht länger im Stillen leiden“, erklärt Allred die medienwirksame Salve aus ihrer Kanzlei in Los Angeles. Der weiße Sitzungssaal mit Blick auf das berühmteste Wahrzeichen der Stadt, den „Hollywood“-Schriftzug, hat in den vergangenen Jahren immer wieder als Kulisse für weltweit beachtete juristische Schlachten hergehalten.

Als die damals elf Jahre alte Katrina Yeaw 1995 der Pfadfindertruppe im nordkalifornischen Rocklin beitreten wollte und ihr als Mädchen die Mitgliedschaft verwehrt wurde, stand Allred der Sechstklässlerin hier ebenso zur Seite wie einigen Jahren zuvor Jan Bradshaw, die als alleinstehende Frau nur nachmittags das Golfgrün des Country Clubs von Yorba Linda betreten durfte.

Den Ruf eines effektvollen Racheengels hat der Juristin, die am 3. Juli ihren 70. Geburtstag feiert, vor allem den „celebrity cases“ zu verdanken. Vor einem Jahr unterstützte sie die Schauspielerin Charlotte Lewis, als die Britin nach Los Angeles reiste, um während des Auslieferungsprozesses gegen den wegen Vergewaltigung angeklagten Roman Polanski von angeblichen sexuellen Übergriffen des Regisseurs auf sie zu berichten. Ende der 1990er Jahre war Allred mit dem Model Brittany Ashland vor die Reporter getreten, die sich nach einem Wutausbruch ihres damaligen Freundes, dem Skandal Schauspieler Charlie Sheen, die Unterlippe nähen lassen musste. Hohe Publicity-Wogen schlug wenig später die Klage der Schauspielerin Hunter Tylo, die wegen einer Schwangerschaft aus den Drehbüchern der Fernsehserie „Melrose Place“ gestrichen wurde.

Sie ist eine Vor-
kämpferin für die Rechte von Homosexuellen

Als Allred der Presse 2010 in dem mit Schwarzweiß-Fotos amerikanischer Suffragetten dekorierten Sitzungssaal ihrer Kanzlei die weinende Porno-Darstellerin Joslyn James als eine Freundin des untreuen Golfers Tiger Woods vorstellte, provozierte sie harsche Kommentare. Stand nicht das Engagement für einen Porno-Star in Widerspruch zu Allreds Kampf gegen Pornografie? Hatte sie nicht früher die von den Feministinnen Andrea Dworkin und Catharine MacKinnon formulierte Verordnung gegen die Verletzung von Frauenrechten durch die Darstellung als Sexobjekt unterstützt? „Ich habe nichts gegen Porno-Darstellerinnen oder Nacktmodelle“, erwiderte Allred. „Man sollte nicht die Frauen kritisieren. Auch sie müssen eine Familie ernähren. Die Porno-Industrie und die Porno-Konsumenten müssen kritisiert werden.“

Neben ihrem Einsatz gegen Diskriminierung hat sich Allred in den vergangenen 36 Jahren auch einen Namen als Vorkämpferin für die Rechte homosexueller Paare gemacht. Lange bevor in Kalifornien das erbitterte Scharmützel um die gleichgeschlechtliche Ehe ausbrach, erstritt sie für ihre lesbischen Mandantinnen Zandra Rolon und Deborah Johnson das Recht, in dem Restaurant „Papa Choux“ in Los Angeles wie heterosexuelle Paare in einem Séparée zu Abend essen zu dürfen. Zwanzig Jahre später wartete die kampfeslustige Juristin den in Amerika mit Hingabe zelebrierten „Valentine’s Day“ als Tag der Liebenden ab, um im Namen von Robin Tyler und ihrer Lebensgefährtin Diane Olson für die gleichgeschlechtliche Ehe zu klagen. Nach einem vierjährigen Rechtsstreit und zwei Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof des Bundesstaats Kalifornien konnten Tyler und Olson im Juni 2008 schließlich als erstes Paar im Bezirk Los Angeles die Heiratsurkunde unterzeichen – in elfenbeinfarbenen Anzügen und Allred an ihrer Seite. „Gerade solche David-gegen-Goliath-Fälle brauchen besonders große Öffentlichkeit“, verteidigt Allred ihre perfekt orchestrierten Auftritte.

Erst in ihrer zweiten Ehe begann sie mit einem Jura-Studium

Diese Mischung aus Bodenhaftung und kühnen Zielen bestimmte schon Allreds Kindheit. Als einziges Kind des Vertreters Morris Bloom und seiner englischen Frau Stella, einer Hausfrau, wuchs Allred in ärmlichen, aber gleichzeitig behüteten Verhältnissen in Philadelphia auf. An der „High School for Girls“ wurde ihr Selbstbewusstsein durch den damals wahrhaft revolutionären Appell der LehrerInnen gestärkt, sich bei der Zukunftsplanung nicht auf potenzielle Ehemänner zu verlassen, sondern eine Karriere anzustreben. An der Universität von Pennsylvania lernte sie in der ersten Woche Peyton Bray kennen, verliebte sich und heiratete. Als Allred mit nur 19 Jahren schwanger wurde, war die Verliebtheit bereits der Ernüchterung gewichen. „Peyton hatte psychische Probleme, die eine enge Beziehung mit anderen oder auch mit sich selbst verhinderten“, erinnert sich die Juristin in ihrer im Jahr 2006 erschienen Biografie „Fight Back and Win“.

Nach der Trennung zog Allred ihre Tochter Lisa allein auf, beendete ihr Studium und zog von Philadelphia nach Los Angeles. Nach den Rassenunruhen im Stadtteil Watts begann sie 1966, an der Jordan High School afroamerikanische Jugendliche zu unterrichten.

Während eines Urlaubs in Mexiko im selben Jahr machte sie eine traumatische Erfahrung, die ihr Leben auf einen neuen Kurs bringen sollte. Die damals 25-Jährige wurde vergewaltigt und ließ die folgende Schwangerschaft durch eine Abtreibung beenden. Als sie nach dem illegalen Eingriff mit lebensbedrohlichen Verletzungen ins Hospital gebracht wurde, sagte eine Krankenschwester: „Ich hoffe, Sie haben die Lektion nun gelernt.“ Fünf Jahre später, damals bereits mit ihrem zweiten Ehemann William Allred verheiratet, begann sie ein Jurastudium. „Ich hatte das Bedürfnis, die Rechte von Frauen zu stärken und ihnen zu helfen, eigene Stärken zu entwickeln“, beschreibt Allred ihre Lebensvision.

"Ich will Frauen helfen, ihre eigene Stärke
zu entwickeln"

Zu den persönlichsten und gleichzeitig spektakulärsten Fällen, die die Juristin seit der Gründung der Kanzlei Allred, Maroko & Goldberg vor 35 Jahren übernommen hat, gehört der Prozess der Amerikanerin Rita Milla gegen die Erzdiözese von Los Angeles. Als 16-Jährige war die strenggläubige Katholikin erstmals im Hinterzimmer der Kirche St. Philomena in Carson bei Los Angeles von einem Priester missbraucht worden. In den kommenden Jahren vergingen sich an der jungen Frau sechs weitere Geistliche, manchmal bis zu fünf an einem Nachmittag. Nach der heimlichen Geburt ihrer Tochter Jacquelineauf den Philippinen wollte Milla sich eigentlich umbringen – suchte dann aber Hilfe bei der Anwältin. „Ohne Gloria hätte ich das Ganze nicht überstanden“, sagt Milla.

Die schon damals für ihren Kampfgeist bekannte Juristin war die erste, die der jungen Frau die unfassbare Geschichte des jahrelangen Missbrauchs durch die katholischen Geistlichen glaubte. Sie war auch die einzige, die keine Angst vor der Kirche hatte. Doch die Taten waren verjährt. Als die Justizbehörden von Kalifornien aufgrund der nicht verstummenden Vorwürfe gegen Priester im Jahr 2007 die Verjährung von Missbrauch vorübergehend aussetzten, wagten Allred und Milla einen zweiten Versuch. Mit 507 weiteren Opfern erstritten sie von der Erzdiözese insgesamt 660 Millionen Dollar, die höchste Summe, die je von einer Kirche gezahlt wurde.

Auf die Frage nach ihrem wichtigsten Prozess antwortet Gloria: „Für mich zählen alle Prozesse, durch die Frauen stärker werden.“ Der Satz klingt ebenso selbstverständlich wie der Hinweis, dass am Fahrstuhl schon das nächste Kamerateam wartet.

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Bill Cosby: Magazin auf Seite der Opfer

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Das erste, was ins Auge fällt, ist die Unterschiedlichkeit der Frauen. 35 sind es, alle Typen vertreten: Weiße wie Schwarze, Blonde wie Braunhaarige, Kräftige wie Zarte. Sie alle sind - aufrecht auf einem Stuhl sitzend - zu sehen auf dem aktuellen Cover des New York Magazines. Die Knie wie zum Schutz gegeneinander gedrückt, die Hände abwehrbereit auf den Oberschenkeln. Und sie alle haben etwas gemein: Sie beschuldigen den Schauspieler und Entertainer, das nationale Idol, Bill Cosby der Vergewaltigung. Titel: „Cosby: Die Frauen. Eine unerwünschte Schwesternschaft“

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Bill Cosby: Ein Vater, wie ihn sich alle Kinder wünschen

Das Zweite, was ins Auge fällt, ist Stuhl Nummer 36. Der ist leer. Symbolisch für all die Frauen, die es bisher noch nicht gewagt haben, an die Öffentlichkeit zu gehen. In Sachen Cosby – oder auch in einem anderen Fall. Denn dafür steht der Stuhl: Für das Schweigen der Opfer. In diesem und in vielen anderen Vergewaltigungs-Fällen.

Das Dritte, was ins Auge fällt, sind die Fotos des US-Schauspielers selbst. Dieses kalte Gesicht, dass so gar nicht zu dem verschmitzen All-American-Dad passt, den wir aus der beliebten Fernsehserie „Die Bill Cosby Show“ kennen. Auch in Deutschland wurde das Leben der Großfamilie Huxtable mit Begeisterung verfolgt in den 80er und 90er Jahren.

Diese Serie über eine Arzt-Familie aus dem gehobenen amerikanischen Mittelstand war damals eine Sensation. Sie war nicht nur unterhaltsam, sondern auch eine kleine Kulturrevolution: So selbstverständlich war eine schwarze Familie bisher im amerikanischen Fernsehen noch nie gezeigt worden. Im Zentrum der Serie: Bill Cosby als Cliff Huxtable. Witzig, charmant, gütig. Ein Vater, wie ihn sich alle Kinder wünschen. Ein Vater, dem man niemals zutrauen würde, dass ...

Dem würde man doch niemals zutrauen, dass ...

Das ist die bittere Message von #TheEmptyChair - so lautet der Hashtag, unter dem Männer und Frauen seit heute die Story im New York Magazine diskutieren: Auch nette Männer vergewaltigen Frauen. Aber den missbrauchten Frauen will allzu oft niemand glauben.

Ganz ähnlich lief das auch im Fall Cosby. Der hatte die Vorwürfe in der Vergangenheit immer bestritten. Als sich im November 2014 zum wiederholten Mal ein Opfer öffentlich zu Wort meldete, glaubte Cosbys Anwalt noch, das ganze damit abtun zu können, es handele sich um „jahrzehntealte, diskreditierende Behauptungen". Und: "Dass sie wiederholt werden, macht sie nicht wahrer." Bis zuletzt hatte Cosby bekannte Fürsprecherinnen, darunter ausgerechnet die Feministin Whoopy Goldberg - sie hat sich inzwischen von Cosby distanziert.

Auch Cosbys Frau Camille, mit der er seit 50 Jahren verheiratet ist, hatte noch im Dezember 2014 erklärt: „Er ist ein freundlicher Mann, ein großherziger Mann, ein lustiger Mann und ein wundervoller Ehemann, Vater und Freund." Sie behauptete, die Anschuldigungen seien erfunden. Es sei ein Skandal, dass die Medien den mutmaßlichen Opfern eine Plattform böten, ohne den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen zu überprüfen. 

Nun, das New York Magazine wollte es genau wissen. Die Journalisten begannen, zu recherchieren. Zu diesem Zeitpunkt waren 20 Frauen bekannt, die dem Entertainer Vergewaltigung vorwarfen. Die meisten erzählten die immer gleiche Geschichte: Cosby, der zunächst als ihr Förderer auftrat, habe sie mit Medikamenten betäubt und dann vergewaltigt. Inzwischen sind es über 40 Frauen, die den Nationalhelden beschuldigen. 35 von ihnen zeigen im New York Magazine ihr Gesicht.

Das Magazin begann zu recherchieren, 6 Monate lang

Und das ist das Vierte, was ins Auge fällt: Die Recherche. Nach eigenen Angaben saß das Magazin über sechs Monate lang an der Rekonstruktion der Geschichten von Frauen wie Chelan Lasha, die angibt, 1980 von Cosby vergewaltigt worden zu sein. Sie hat 35 Jahre lang geschwiegen und sagt heute: „Ich habe keine Angst mehr! Ich fühle mich heute mächtiger als er!“

Oder das Model Beverly Johnson, eines der Opfer aus dem Jahr 1980. Sie sagt: „Das, worauf ich nicht vorbereitet war, ist der Ansturm der Frauen, die belästigt worden sind – und die mir ihre Geschichte erzählen, weil ich ihnen meine erzählt habe.“ Oder auch Louisa Moritz, betroffen im Jahr 1971: „Ich habe mich geschämt. Es war mir peinlich, ich zu sein.“

Das New York Magazine geht nicht zufällig jetzt mit dem Skandal an die Öffentlichkeit: Erst kürzlich zitierte die New York Times aus einer tausend Seiten starken Gerichtsakte aus dem Jahr 2005, die belegt, dass Cosby damals schon zugegeben hatte, 1976 eine Frau mit dem Beruhigungsmittel „Quaaludes“ betäubt zu haben, um mit ihr Sex zu haben. Der Prozess endete 2006 mit einem Vergleich.

Die aktuelle Präsentation des Vergewaltigungsskandals in dem renommierten Blatt zeigt, wie sich der Umgang von Frauen und Medien mit dem Vorwurf der Vergewaltigung verändert hat. Das New York Magazine spricht von einer „Langzeitstudie“ zu dem Problem der sexuellen Gewalt.

Davon können Frauen in Deutschland bisher nur träumen: Dass eine Zeitschrift - außer EMMA - mit einem solchen Engagement und Aufwand sechs Monate lang die Vorwürfe der Vergewaltigung gegen einen mächtigen Mann selbst recherchiert. Im Land der „Opferindustrie“ (Jörg Kachelmann), in dem das Wort „Falschbeschuldigerin“ sich wie selbstverständlich seinen Weg in die Umgangssprache gebahnt hat, warten Kinder und Frauen darauf bisher vergebens. Im Gegenteil: Raum bekommen vor allem die armen Männer, die angeblich andauernd von verlogenen rachsüchtigen Kindern und Frauen unschuldig vor Gericht gezerrt werden.

Davon können die deutschen Frauen nur träumen

Doch die Wucht, mit dem das Titelbild des New York Magazines in Amerika einschlägt, zeigt, wie wichtig es ist, dass die Betroffenen nicht nur Gehör finden, sondern dass auch die Medien sie ernst nehmen - und dass die viel zitierte "Unschuldsvermutung" für das mutmaßlich Opfer ebenso gilt, wie für den mutmaßlichen Täter. Und vor allem: Dass die Medien auch in Fällen sexueller Gewalt ein eigenes Interesse an Aufklärung und Wahrheit haben.

Denn selbst wenn die meisten Vergehen, die Cosby heute vorgeworfen werden, juristisch mittlerweile verjährt sind, sind sie moralisch gültig bis zum Tod der Opfer. Jetzt hat das New York Magazine den noch lebenden Opfern eine Stimme gegeben - und recherchiert weitere Opfer. Für den leeren Stuhl.

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