Eine (un)gebrochene Frau

© Alexander Fischerkoesen/ ZDF
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„Wie haben Sie Ihre Frau geschlagen? Waren das Ohrfeigen?“ – „Ja, mit der flachen Hand“, sagt der weinende Verdächtige, dessen Frau jetzt im Leichenschauhaus liegt. Und fügt hinzu: „Ganz normal halt.“ Im Hintergrund tippt eine Frau die Aussage in ihren Computer, die in ihrer grau-braunen Kleidung quasi mit der Bürotapete verschmilzt. Aber Freya Becker (Iris Berben) hört sehr genau, was der Schläger sagt. Und sie wird ihre Schlüsse daraus ziehen.

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Schnell begreift die Zuschauerin, dass diese Protokollantin keineswegs nur die gute Büroseele des Mord-Kommissariats ist, für die sie alle halten. Denn bald ist ein Mann tot. Freya hat ihn erschossen, und zwar höchstpersönlich. Es ist der mutmaßliche Missbraucher und Mörder seiner behinderten Stieftochter. Er hatte gestanden – Freya hatte das Geständnis protokolliert – und anschließend widerrufen. Seinen Freispruch wird er nicht lange überleben.

Lange wird der Täter den Freispruch nicht überleben

Auch der Grund für Freyas Mission wird rasch klar. Vor elf Jahren war ihre Tochter Marie, die über einen Zuhälter in die Prostitution geraten war, spurlos verschwunden. Sie hatte gegen den Bruder des Zuhälters, einen Bordellbetreiber, aussagen wollen. Mit dem Mord an dem Bordellbetreiber startete die Mutter ihren Rachefeldzug. „Es geht hier nicht um Marie“, sagt ein Kollege zu ihr, als sich die Protokollantin wieder einmal fassungslos über die Abgestumpftheit und Brutalität eines Täters zeigt. Freya entgegnet: „Es geht immer um Marie.“

Es geht immer um das, was Marie das Leben gekostet hat: Männergewalt gegen Mädchen und Frauen. Auch in den Rückblenden, in denen die kleine Freya mit ihrem noch kleineren Bruder aus dem Haus rennt, um wenigstens ihn vor dem prügelnden Vater zu schützen. Die Mutter schreit währenddessen im Haus. Und als es Freyas eigene Tochter trifft, kann sie all den Missbrauch, all die Häusliche Gewalt, all die Frauenmorde nicht mehr ungesühnt lassen. Rache ist das, was die Frau, die eigentlich mit dem Leben abgeschlossen hat, die in ihren grauen Strickjacken und ihren klobigen Halbschuhen wie erloschen wirkt, am Leben hält. Und die Hoffnung, doch noch zu erfahren, was mit ihrer Tochter passiert ist.

Die Zeit für Figuren wie Freya ist jetzt endlich reif

Erfunden hat die „Protokollantin“ die Regisseurin Nina Grosse. Nach einer Idee von Friedrich Ani schrieb sie auch das Drehbuch zu dem Fünfteiler, der am 20. Oktober startete und schon jetzt komplett in der ZDF-Mediathek zu sehen ist. Sie habe die Freya so anlegen wollen, dass „die Zuschauer mit ihr mitgehen“, erklärt Grosse im Gespräch mit der FAZ. „Und nach den ersten Reaktionen kann ich sagen, dass die Leute wirklich in einem Maße mit ihr gehen, dass sie sagen: ‚Wir wollen nicht, dass die auffliegt.‘“

Die Zeit für Figuren wie Freya Becker sei jetzt reif, sagt die Regisseurin. „Bestimmte Frauenrollen wurden einfach nicht geschrieben. Die Ehegattin durfte schonmal Architektin oder Ärztin sein, aber das war’s dann auch. Dass wir die Tür für komplett neue Figuren aufmachen, das fängt jetzt erst an. Das muss radikal vorangetrieben werden.“ Und zwar nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern: „Es kann ja nicht nur Aufgabe der Frauen sein, andere Frauenfiguren zu erzählen.“

Bei der „Protokollantin“ waren aber nun zunächst Frauen am Werk. Das Team aus Drehbuchautorin und Regisseurin Nina Grosse, Co-Regisseurin Samira Radsi und einer beeindruckenden Iris Berben (deren Sohn Oliver den Fünfteiler produzierte) hat eine Rächerin geschaffen, die es im deutschen Fernsehen so noch nicht gab. Stieg Larssons Lisbeth Salander und Mildred Hayes ("Three Billboards Outside Ebbing, Missouri") haben eine neue – stille, aber sehr effiziente - Gefährtin bekommen.

Die Protokollantin, samstags 21.45 Uhr im ZDF, alle fünf Folgen schon jetzt in der ZDF-Mediathek.

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