§219a: „Sind Frauen hohle Nüsse?“

Kristina Hänel (2.v.l.), Cornelia Möhring (3.v.l.) & Katja Kipping (3.v.r.), LINKE, Ulle Schauws (2.v.r.), Die Grünen - Foto: © Michel Arriens
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An diesem Abend flogen im Bundestag die Fetzen. „Frauen sind nach dem Frauenbild der Union und der Rechten anscheinend komplett hohle Nüsse, die nicht allein handeln können und durch Informationen nur verunsichert werden“, kofferte Cornelia Möhring von der Linken. „Es geht hier um Lebensschutz!“ entgegnete Alexander Hoffmann von der CSU. Und Jens Maier von der AfD griff zu einem mehr als zynischen Vergleich: „Wehret den Anfängen!“ Und: „'Mein Bauch gehört mir' gilt hier nicht!“

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Gerade mal eine Woche ist das zweitinstanzliche Urteil gegen Kristina Hänel jetzt her. Und fast ein Jahr das erste. Beide Male war die Gießener Ärztin verurteilt worden, weil sie gegen den §219a verstoßen hatte. Doch diesmal war auch Richter Johannes Nink vom Landgericht Gießen der Überzeugung, dass der §219a abgeschafft gehöre. „Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel im Kampf für ein besseres Gesetz“, gab er Hänel mit auf den Weg. Die will weitermachen – und bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. „Wird Hänel einen juristischen Sieg erringen?“ fragte EMMA nach dem Urteil. „Oder kommt ihr die Politik zuvor und schafft den §219a ab?“

CDU: Der §219a ist für den Lebensschutz zentral

Letzteres scheint nach der Bundestags-Debatte über den §219a am Donnerstagabend unwahrscheinlich. Denn die Union gibt keinerlei Bewegung in Richtung einer Reform des Ärzte-Knebel-Paragrafen zu erkennen. „Der §219a ist für uns für den Lebensschutz zentral“, erklärte Elisabeth Winkelmeier-Becker, rechtspolitische Sprecherin der CDU.

Das Gesetz sei „vom Konstrukt her sehr gut“, befand auch Fraktionskollege Alexander Hoffmann von der CSU. Den Einwand, dass auf Basis des sogenannten „Werbeverbots“ ÄrztInnen reihenweise von sogenannten „Lebensschützern“ angezeigt würden, konterte Hoffmann kaltschnäuzig: Er könne mangelnde Rechtssicherheit für Ärzte nicht erkennen. „Kristina Hänel weiß ganz genau, was sie darf und was nicht. Sie handelt nur nicht danach.“

Bleiben zwei Fragen: 1. Wo bleibt die Kanzlerin? Merkel hatte im März zugesagt, dass man bis zum Herbst eine gute Lösung „im Sinne der Frauen und der Ärzte“ finden werde. „Aber die Union scheint gar nicht zu interessieren, wann oder wem Kanzlerin Merkel etwas versprochen hat“, stellte Cornelia Möhring fest. Dabei hatte die Kanzlerin mit ihrem Versprechen die SPD ruhiggestellt, die (noch als Opposition in spe) selbst schon einen Gesetzentwurf für die Streichung des §219a eingebracht hatte – und ihn postwendend (als neuer Koalitionspartner) wieder zurückzog.

CSU: Der §219a ist vom Konstrukt her sehr gut

Daraus folgt Frage 2: Wo bleibt die SPD? Zwar appellierte die SPD-Abgeordnete Eva Högl auch diesmal wieder flammend an die Union: „Es eilt! Ständig werden Frauen von sogenannten Lebensschützern belästigt und Ärzte verklagt.“ Die Drohung ihrer Partei, zur Not werde man eben mit Linken, Grünen und FDP gegen den Koalitionspartner stimmen, sprach sie jedoch nicht aus.

Der Herbst ist da. Die Bayern-Wahl ist vorbei. Die Hessen-Wahl steht bevor. Die Stimmung in der GroKo ist zum Zerreißen gespannt. Sollte die SPD auch diesmal wieder aus parteitaktischen Gründen die Frauen im Regen stehen lassen?

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Abtreibung: Das zweite Urteil!

Fotos: Inetti/Image/ZUMA Press; Rolf K. Wegst/Imago/epd; Mathias Roth
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Es ist nur auf den ersten Blick eine schlechte Nachricht: Auch das Gießener Landgericht hat Kristina Hänel für schuldig befunden, gegen den §219a verstoßen zu haben. Positiv formuliert heißt das: Die Gießener Ärztin ist ihrer Absicht, den §219a in Karlsruhe für verfassungswidrig erklären zu lassen, einen Schritt näher gekommen.

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Nur auf den ersten Blick eine schlechte Nachricht

Auf einen Freispruch hatte sie diesmal gar nicht gehofft, wie noch im November 2017 bei ihrem ersten Prozess vor dem Gießener Amtsgericht. Damals hielt sich die Gießener Allgemeinärztin noch für einen Einzelfall. Inzwischen ist viel passiert. Das Urteil vom November hat nicht nur eine Debatte über den §219a ausgelöst, von dem viele bis dato nicht einmal wussten, dass er überhaupt existiert. Es hat auch vielen die Augen darüber geöffnet, in welchem Ausmaß so genannte „Lebensschützer“ ÄrztInnen bedrohen – und wie gefährdet das Recht auf Abtreibung de facto auch in Deutschland ist.

Zwei Tage vor dem Gießener Urteil hatte Papst Franziskus Abtreibung mit „Auftragsmord“ verglichen. Ungewollt schwangere Frauen und ÄrztInnen wie Kristina Hänel, die ihnen zur Seite stehen: MörderInnen!

Richter Johannes Nink hatte bei der Berufungs-Verhandlung am 12. Oktober nur zwei Möglichkeiten: 1. Ihre Berufung abzuweisen. 2. Den Fall gleich ans Bundesverfassungsgericht zu verweisen.

Der Paragraf 219a bedroht alle ÄrztInnen mit Geld- oder Haftstrafe, so sie darüber informieren, dass sie Abtreibungen durchführen. Aber das, so legte Anwalt Karlheinz Merkel in der Verhandlung dar, verstoße gegen gleich mehrere Verfassungsartikel: 1. gegen die Informationsfreiheit und die Berufsfreiheit; 2. gegen das Persönlichkeitsrecht der ÄrztInnen – und 3. gegen das Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen. Hinzu kommt: Das Bundesverfassungsgericht selbst hatte in einer Entscheidung von 2006 erklärt: „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.“

Der Papst vergleicht Abtreibung mit 'Auftragsmord'

Auch Richter Nink war offensichtlich der Ansicht, dass der § 219a abgeschafft gehört. „Als Bürger sage ich, das Gesetz möge geändert werden“, erklärte er. Da dies aber sein „eigenes politisches Ermessen“ sei, verwies er den Fall nicht direkt nach Karlsruhe, sondern bestätigte das Urteil des Amtsgerichts. Der Ärztin gab er mit auf den Weg: „Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel im Kampf für ein besseres Gesetz.“

Nun muss Hänel in die nächste Instanz, zum Oberlandesgericht. Erst dann ist der Weg frei nach Karlsruhe. Bis es so weit ist, ist der Fall §219a vielleicht auf der politischen Ebene gelöst. Die SPD hatte ihrem Koalitionspartner gedroht, zur Not gegen die Union zu stimmen, falls die das Ärzte-Knebel-Gesetz nicht gemeinsam mit den Sozialdemokraten reformiert.

Einer der beiden fanatischen Abtreibungsgegner, der in Deutschland hunderte von ÄrztInnen wegen Verstoßes gegen den §219a angezeigt hatte, wurde gerade vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in die Schranken gewiesen: Günter Annen (Foto rechts), 67, betreibt die Seite Babycaust.de. Dort vergleicht er Abtreibungen mit dem Holocaust, beschimpft ÄrztInnen als Mörder und veröffentlicht ihre vollen Namen und Adressen. Der EuGH in Straßburg entschied: Annen verursacht „Hass und Aggression“ gegen die Ärzte. Das sei in einer „demokratischen Gesellschaft“ nicht hinzunehmen.

Günter Annen vergleicht Abtreibung mit dem Holocaust

Auch in Frankfurt gibt es einen Erfolg gegen die „Lebensschützer“ zu verzeichnen. Dort hatten christliche Fundamentalisten vor der Pro Familia-Beratungsstelle die dort hilfesuchenden Frauen mit Gebeten und Gesängen terrorisiert. Dagegen mobilisierte das „Frankfurter Frauenbündnis“ und verlangte eine Schutzzone von 150 Metern – mit Erfolg. Die Stadtverordnetenversammlung stimmte – mit Ausnahme der CDU – für die Bannmeile für Abtreibungsgegner.

Nur einer ist noch nicht in die Schranken gewiesen worden: Papst Franziskus. Wie wäre es mit einer Klage wegen der Verbreitung „von Hass“? Würde passen.

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