Über EMMA

EMMA ÜBER EMMA: EMMA lebt!

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Konkret wurde es an einem vernieselten Nachmittag im Januar 1976. Im II Gattopardo am Berliner Breitenbacher Platz. Mir gegenüber saß Kollege Hermann Gremliza. "Sag mal, Hermann, stimmt das wirklich, dass man zum Start einer Monatszeitschrift mindestens vier Millionen Mark braucht?" – "Quatsch, antwortete besagter Hermann, der es als konkret-Verleger ja wissen musste, "für die ersten drei Ausgaben genügt eine Viertel Million." "Und", fügt er hinzu, "Mach bloß nicht denselben Fehler wie ich, miete die Redaktionsräume nicht zu klein, sonst musst du gleich wieder umziehen."

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Für diesen Rat bin ich ihm heute noch dankbar. Seit dem 1. September 1976 logiert der EMMA-Verlag auf zwei Etagen des Hauses Kolpingplatz Nr. 1, im Schlagschatten zweier großer Brüder: des Kölner Doms und des WDRs. Platz ist genug. Am Anfang hätte es auch eine Etage getan, sogar ein Zimmer. Denn außer mir war da nur noch eine Person fulltime mit der Vorbereitung der ersten EMMA beschäftigt: Das war die Sekretärin Christiane Enßlin, bis dahin als Schwester von Gudrun im Zuge der Sippenhaft arbeitslos.

Mein etwas naiver Rundbrief, den ich im Frühling 1976 durchs Land geschickt hatte ("An alle Kolleginnen – bitte weitergeben") hatte viele zum Mitreden angeregt, das Mitarbeiten aber ließ auf sich warten. Die Kolleginnen warteten erst einmal ab.

Doch bereits Monate vor Erscheinen der ersten EMMA musste mit Druckereien und Vertrieben verhandelt werden. Zu einem Gespräch mit dem Hamburger Vertrieb IPV im Oktober 1976 nahm ich auf den Rat seiner Tochter hin ("Mein Vater kennt sich da aus") einen alten Hasen aus der Branche, Hans Huffsky, den Ex-Chefredakteur von Constanze mit. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen und sah ihn danach nie wieder. Dennoch trug uns dieser kurze Auftritt in EMMAs Vorleben ein vom Herrenmagazin "Spiegel" und von der Schwesternzeitschrift "Courage" hartnäckig verbreitetes Gerücht ein, der "eigentliche Macher" sei Herr Huffsky und das eigentliche Konzept komme vom Konzern Gruner & Jahr (ausgerechnet). Cherchez l'homme.

Nur ein dritter wurde nie erwähnt. Der einzige, dem wir wirklich zu Dank verpflichtet sind für fachkundige Unterstützung beim Start. Das war der Buchhersteller Franz Greno, der einst noch beim Fischer Verlag den "Kleinen Unterschied" produziert hatte. Diesem Franz imponierte das dreiste Husarenstück. Er war es, der mir die erste Druckerei besorgte, mich in Papierfragen beriet und, nach einer durchgearbeiteten Nacht, mit rotgeränderten Augen und unrasiert, die ersten 64 Seiten EMMA in die Frankfurter Lithografie und von da aus in die Kulmbacher Druckerei fuhr.

Eine eigene Stimme für uns Frauen

So war das am Anfang: Das Wissen um das Machen von Zeitschriften musste ich, mussten wir uns fast ausschließlich bei Männern holen. Frauen hatten bis dahin von sowas keine Ahnung. Denn das Zeitungsmachen ist eine ganz andere Sache als das Artikelschreiben. Und ich war und bin ja eigentlich Journalistin und nicht Verlegerin. Verlegerin wurde ich nur aus Verlegenheit: Damit meine und die Artikel anderer engagierter Kolleginnen, die es Mitte der 70er Jahre zunehmend schwerer hatten ("Ihr seid zu voreingenommen, weil ihr betroffen seid"), wieder erscheinen konnten.

Denn das war seit Beginn der neuen Frauenbewegung schnell klar: Wir durften nicht abhängig bleiben von den männerbeherrschten Medien, wir mussten auch eigene Stimmen haben. Die einzige andere deutschsprachige Zeitschrift am Kiosk, "Courage", war zunächst nur als Berliner Stadtzeitung angekündigt worden und erschien, überraschender Weise, überregional erst im Ersterscheinungsmonat von EMMA, Februar 1977.

Die EMMA hat mir als Autorin oft nicht genug Zeit gelassen und mich zur Macherin verurteilt; sie hat mich in einem mir bis dahin unbekannten Ausmaße den weiblichen Selbstzerfleischungs- und den männlichen Spaltungsmanövern ausgeliefert; sie zwingt mich täglich neu zum Kampf um die (politische) Haltung, die (journalistische) Qualität und das (existenziell notwendige) Geld. Ich gebe zu, es war manchmal fast zuviel.

Aber noch war die Freude ungetrübt. EMMA wurde geboren. Mit einem Budget, das knapp fünf Prozent des sonst für ein solchen Unterfangen üblichen betrug und in einer Zeit, die atemberaubend kurz war. Vier Monate nach Einzug in die Kölner Redaktionsräume stand das Konzept für die EMMA und lag die erste Nummer auf dem Tisch.

Der Name: Nora? Die Rächerin? Die Amazone? Nein. EMMA!

Der Name? Der war irgendwann mal aufgetaucht und gefiel uns. Nicht nur wegen der Anspielung auf die Em(m)anzipation, sondern auch, weil er das selbstironische Gegenteil vom platt Erwarteten war: Wie würde sie wohl heißen, diese Zeitschrift der jetzt vollends größenwahnsinnigen Schwarzer? Nora? Die Rächerin? Die Amazone? Nein. EMMA. Ganz einfach EMMA. Ein Name zum Anfassen. Ein guter Name.

Schon wenige Wochen nach Erscheinen war "EMMA" nicht mehr der Laden von nebenan und auch nicht mehr die Möwe von Ringelnatz, die so aussah als ob... Ab jetzt war sie Synonym für die Sache. Aufmüpfige Schulmädchen oder spülunlustige Hausfrauen waren nun als "richtige Emma" verschrien.

Doch bevor es soweit war, musste EMMA erst einmal erscheinen. Als ich im Dezember 1976 meine erste EMMA-Kolumne schrieb, tat ich das recht unwissend. Dass 58 Jahre zuvor die Feministinnen, Pazifistinnen und Münchner Räterepublikanerinnen, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann in München die Monatszeitschrift "Die Frau im Staat" mit der Absicht herausgegeben hatten, "das politische Leben vom Standpunkt der Forderungen und der Mitwirkung der Frauen zu verfolgen" – ich wusste es nicht. Dass 82 Jahre zuvor in Berlin die Feministinnen Minna Cauer und Lily von Gizycki "Die Frauenbewegung", eine Monats"Revue für die Interessen der Frauen" mit dem Ziel gestartet hatten, "der Vielfalt der Deutschen Frauenbewegung" eine "gemeinsame Stimme" für den "Kampf der Frauen" zu geben – ich wusste es nicht. Dass 128 Jahre zuvor die erste "Frauenzeitung", initiiert von der Feministin und 48er Revolutionärin Louise Otto mit dem stolzen Motto erschienen war: "Dem Reich der Freiheit werb ich Bürgerinnen" – ich wusste es nicht.

Das ist vielleicht das Zermürbendste am Kampf der Frauen um Menschenrechte für alle, auch und vor allem für die Frauen: dass wir immer wieder ganz von vorne anfangen müssen. Immer wieder neu müssen wir die verschütteten Spuren unserer Geschichte mühsam freilegen.

Vollends den Rest gab uns deutschen Feministinnen die 12-jährige Barbarei des höchsten Männlichkeitswahns: des Faschismus. Er verwischte endgültig alle Spuren. Feministische Bücher wurden verbrannt, radikale Feministinnen wie Augspurg und Heymann starben im Exil. Doch die Zeiten sind vorbei.

Die erste EMMA – eine Provokation

26. Januar 1977. Die erste EMMA erscheint. Spätestens an dem Tag muss konkret-Herausgeber Gremliza den guten Tipp bereut haben. Der Genosse nämlich ließ in seinem strammen Blatt umgehend eine gewisse Frau Rotkohl (sic) "die schwärzeste Schwarzer" mit dem "schwärzesten Kurs", den es je gab, rügen. Und nicht nur die Linken reagierten, wie gewohnt, auf uns Feministinnen besserwisserisch und bigott. Auch die bürgerlichen Männermedien verloren die Contenance. So hielt das ZDF in der Drehscheibe der Nation sämtliche (pingeligst nachgezählte) Kommatafehler von EMMA vor. Der Spiegel addierte die "Konterfeis von Alice" und C. H. Meyer von der Süddeutschen Zeitung vermeldete die Sichtung von EMMAs krankhaftem Feindbild: "Eine Art King Kong mit einem Penis wie das Empire State Building..."

Dass die Männer so reagieren würden, damit hatten wir, ehrlich gesagt, gerechnet. Wir hatten es sogar einkalkuliert. Schließlich hatte EMMA keinen Pfennig für Werbung übrig, der von den Männermedien angezettelte Skandal war ihre beste Reklame. Dass allerdings auch einige Kolleginnen und darunter nicht die schlechtesten, EMMA für einen sich bei den Kollegen anbiedernden Verriss benutzten, hat uns doch überrascht. Und manchmal auch getroffen.

Die 200.000 Exemplare der ersten EMMA waren innerhalb von drei Tagen vergriffen. Den 100.000 nachgedruckten Heften ging es nicht anders. Was die Laune der etablierten Kollegen nicht gerade hob. Denn hier ging es ja nicht nur um eine feministische, sondern auch um eine journalistische Herausforderung: Wir haben Schluss gemacht mit der Verschleierung der Zusammenhänge und der Lüge von der angeblichen "Objektivität". Denn nur durch dieses Eingeständnis unserer Haltung, von der aus wir unseren Blick auf die Welt richten, sind die so gerichteten Informationen und gemachten Analysen für Leserinnen wie Leser nachvollziehbar – und damit erst wirklich objektivierbar.

Dass wir all das nicht nur taten, sondern auch noch selbstbewusst und offensiv vertraten, verletzte vollends die Spielregeln. Doch angegriffen wurden nicht etwa die von mir vertretenen Inhalte, angegriffen wurde meine Person: Die frustrierte Schwarzer, die keinen mitgekriegt hat. Die bürgerliche Schwarzer, die jetzt einen kapitalistischen Verlag gegründet hat. Die autoritäre Schwarzer, die nun auch noch schlimmer ist als jeder Chef. – Kein Klischee war zu plump. Und natürlich blieb immer was hängen.

Denn EMMA hielt durch und ist längst so viel mehr als eine Zeitschrift: EMMA ist eine Institution. Für viele isolierte Frauen ist sie einzige Ansprechpartnerin, oft sogar "beste Freundin". Für Medien und Institutionen ist sie zentrales Auskunftsbüro. Für die Vielfalt von Frauen in Bewegung ist sie heute die einzige überregionale Stimme, die die Öffentlichkeit erreicht. Und vor allem: EMMA ist die Garantie dafür, dass die Frauen nicht mehr so einfach totgeschwiegen werden können.

Themen, die sich erst heute in Brigitte oder Stern spiegeln, haben vor zehn Jahren in EMMA gestanden. Schon 1977 forderte EMMA mehr Häuser für geschlagene Frauen, brach EMMA das Schweigen über den Inzest und berichtete EMMA über den weltweiten Anti-Pornografie-Kampf von Frauen. Den weltweit ersten Sexismusprozess gegen die Männermedien initiierte EMMA. Diesen Prozess gegen die erniedrigenden, pornografischen Titelblätter des Stern hätten wir bei dem anfänglichen allgemeinen Hohngelächter wohl nie durchgestanden ohne die Möglichkeit der differenzierten und kraftvollen Argumentation im eigenen Blatt.

EMMA ist keiner Partei und keinem Trend verpflichtet. EMMA hat oft zwischen allen Stühlen gesessen. EMMA wird das auch weiterhin tun. EMMA lebt aus eigener Kraft, ganz und gar ohne fremde Mittel. EMMA hat auch in Zukunft nicht die Absicht, Kreide zu fressen. EMMA lebt. Auch wenn die Jungs sich totärgern.

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