FRAUEN IN DER (EX)DDR: Hier fließen die

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August 1991

Hier fließen die Tränen und stürzen die Zahlen, hier wird jeden Tag in der Zeitung prophezeit, was wie werden wird. Allerdings wird bei all der Kartenlegerei meist nur über Dinge berichtet, die der Mensch kaufen kann. Offenkundig bestehen Werte der Seele und des Herzens nicht mehr.

Wir lesen, wann wir uns das Zweitauto werden leisten können, wann unsere Einkommen denen anderer Deutscher vergleichbar sind. Wir lesen nicht, wann die Kriminalpolizei statt notdürftiger Verteidigung Ansätze von Prävention erkennen lassen wird; wir erfahren nicht, wann wir wieder einmal abends allein mit der U-Bahn fahren können, wie unsere Kunstschätze vor Diebstahl geschützt werden, unsere Kinder vor Drogen bewahrt. Auf solche Fragen gibt es nur Achselzucken, ausweichende Antworten, viel schlimmer, Resignation.

Seit März verbringe ich die meiste Zeit in den Ländern, in Beratungsstellen, versuche, zusammenzuführen, was in den Kommunen für die Interessen der Frauen nützlich sein könnte. Das Niveaugefälle der Arbeit, mit den und für die Frauen, ist bestürzend. In dem einen Ort wird der Gleichstellungsbeauftragten verboten, sich irgend öffentlich zu verhalten, und sei es zum § 218.

Anderen Ortes lassen mich Frauen grüßen, sie würden gern zum Gespräch oder zur Lesung kommen, aber sie haben Angst um ihren Arbeitsplatz, zumal, wenn sie schon auf ein Einkommen für die Familie reduziert sind. Die Politiker versuchen derzeit, uns jede Mark dreimal aus der Tasche zu nehmen. Das geht natürlich nicht. So werden wir nervös und ungeduldig behandelt, weil wir nicht drei Mark in den Taschen haben.

Und die Frauen verplempern kostbare Zeit damit, sich abzugrenzen voneinander, unterstellen sich Altlasten, zeihen sich extremer Positionen. Das zersplittert Kräfte, und inzwischen werden disziplinierende Fakten geschaffen. Ich komm' mit dem Leben eigentlich ganz gut zurecht. Am schwersten fällt es mir aber, mit den Gefühlen der Verachtung fertigzuwerden, die ich empfinde. Wenn Leute über den Tisch gezogen werden, gesunde Unternehmen zerstört. Und gerade Leute, die für ihr Abitur und ihr Studium ein pralles Maß an Opportunismus brauchten, gerade die schreien in der Öffentlichkeit über andere, geben sich zu erkennen als ehemalige Lanzelots, die mir als solche nicht kenntlich gewesen sind.

Was für eine bittere Zeit. Rechts macht sich fast unangefochten breit; Hass schafft sich Feinde, um sich ausleben zu können; links ist für lange beschädigt und diffamiert, und dazwischen machen es sich Leute bequem.

Der Verlierer sind die Frauen. Die Zahlen der arbeitslos Gewordenen sagen zu wenig. Man muss nach der Zahl der Wiedereingestellten fragen, dann sieht man klarer. In den Betrieben gibt es bisher kaum funktionierende oder überhaupt keine gewerkschaftlichen Vertretungen. Kaum jemand traut sich, sie zu fordern. Der Unternehmer hat die Auswahl, er feuert, wenn jemand Interessen vertreten will.

Dieses Land altert zusehends. Im Frühjahr gehörte sonst die Straße den Kinderwagen und den schwangeren Frauen. Ich kenne keine Frau, die ein Kind erwartet oder vor hat, sich eins anzuschaffen. Ich kenne kein Paar, das auf Scheidung sinnt, niemand kann sich das leisten.

Die Familien rücken einander wieder viel näher. Die vorher ziemlich gespalten lebenden Familien, man traf sich bei Anlässen, brauchen sich elementar. Die Oma wird gebraucht, sonst ist die Enkelin für das Arbeitsamt nicht vermittelbar. Und den Kindergartenplatz kann sie kaum noch bezahlen. Mit der sinkenden Zahl von teilnehmenden Kindern begründen die Kommunen die oft überstürzte Schließung der Kindergärten. Wir möchten uns so gern freuen. Über Obst und Gemüse, über das Wegfallen von Anstehen, Rumrennen, die verwartete Zeit. Wir stehen aber wieder an, wir rennen aber wieder rum, wir verwarten unsere Zeit.

Ich versuche, die Frauen zur Selbsthilfe zu ermutigen. Ich will Kenntnisse gegen Hilflosigkeit setzen, ich bedränge sie, die Gesetze zu kennen, ihre Rechte wahrzunehmen.

Kein Tag, an dem mich die schlechte Nachricht nicht ereilt. Jemand hat sich umgebracht, jemand hat seine Arbeit verloren, eine Frau gibt auf, seilt sich ab, vielleicht hofft sie, es ohne die anderen schneller zu schaffen. Es ist ein Leben, in dem Güte als Schwäche wirksam wird; der Versuch, das eigene Leben mit Anstand, wenn auch Abstand zu sehen, gilt als Unbelehrbarkeit. Leben, Wegleben, Zeit gewinnen, Abstand zulassen und sich dagegen wehren, dass das eigene Leben es nicht wert gewesen sein soll, gelebt zu werden. Soweit die eigene Kraft reicht.

Ich selber habe nie gewusst, bis zu welcher Nähe die Frauen in diesem Land mit meinen Gedichten und Liedern gelebt haben. Ich erfahre es draußen, die Frauen bringen Bücher von mir, viele Zettelchen zwischen den Seiten, viel Anstriche. Sie sagen: Halt durch. Wir brauchen dich. Wir haben mit deinen Worten gelebt, das lassen wir uns nicht wegnehmen.

Eine sagt: "Wie leben Sie damit? Sie haben doch immer versucht, Menschlichkeit in die Literatur und in das Leben einzubringen." Ich sage, es erreicht mich nicht. Ich bin belastet, weil ich die Singeklubs in der DDR gemacht habe (FAZ). Weil ich bis 89 in der Partei war.

Es erreicht mich aus seltsamem Grund meist nicht, manchmal furchtbar. Ich fühl' mich nicht generell ungerecht angegriffen, sondern von den falschen Leuten um der Dinge willen, zu denen ich stehe. Dass ich nicht mutig genug war, weiß ich selber. Und hab' Erinnerungen, die ich gern' abweisen würde. Den Mund gehalten, um weiter arbeiten zu dürfen, um hier bleiben zu können. Einem Idioten nicht widersprochen, nur einen Blick zur Seite, nur ein Alptraum in der Nacht, nur ein Groll, den man an günstigerer Stelle losgeworden ist.

Manchmal war ich aus Unbeherrschtheit eine Heldin. Besonders dann, wenn es nicht um mich ging. Manchmal war ich aus Skrupeln und Besonnenheit das Arschloch vom Dienst. Dann hatte ich für jemanden etwas erreicht, einen Reisepass, eine Wohnung, einen Telefonanschluß. Ich wäre so gerne redlich tapfer gewesen - hätte ich dafür nur die geringste Chance gehabt ...
EMMA 8/1991

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