Haben die Grünen Hannelore Kraft erpresst?

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Es ist kaum zu glauben, scheint aber wahr zu sein. Nach Informationen aus verschiedenen Insider-Quellen der SPD sollen Kraft und ihre SPD-Ministerinnen die Förderung des FrauenMediaTurm (FMT) unter Druck um zwei Drittel auf 70000 Euro gekürzt haben (gerade mal die Betriebskosten). Dazu genötigt hätten sie die Grünen. Kraft persönlich habe „gar nichts gegen den FrauenMediaTurm“, heißt es aus internen Kreisen, aber sie habe „die Koalition nicht platzen lassen wollen“.

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Was die Rolle der SPD bei dem Wortbruch der Förderung nicht gerade besser macht, sondern eher noch kläglicher. Denn der Gedanke, dass die Ministerpräsidentin des größten Bundeslandes schon wegen einer solchen Kleinigkeit erpressbar wäre, ist erschreckend. Wie soll es erst sein, wenn es wirklich um etwas geht? Und was würde das für die demnächst wahrscheinlich bestärkt in den Düsseldorfer Landtag einziehende rotgrüne Koalition bedeuten?

Doch der Reihe nach. Der FrauenMediaTurm in Köln ist eine stolze Sache für alle Frauen. Bei vom FMT veranstalteten Kongressen oder Besuchen aus dem Ausland können Frauen wie die US-Historikerin Gerda Lerner oder die französische Philosophin Elisabeth Badinter und die Schriftstellerin Benoîte Groult es kaum fassen: Ein Archiv der Geschichte der Frauen an einem so prächtigen, historischen Ort? Ja! Und eigentlich könnten sich auch die davon Profitierenden – wie die NutzerInnen sowie Stadt und Land – einfach nur freuen und stolz darauf sein. Wären da nicht die NeiderInnen. Und die Antifeministen.

Fangen wir von vorne an. 1984 gelang es Alice Schwarzer mit Hilfe einer großzügigen Anschubfinanzierung von Jan Philipp Reemtsma, das erste und bisher einzige feministische Universalarchiv und Dokumentationszentrum in Deutschland zu initiieren. Seither ist sie die ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende der gemeinnützigen Stiftung, die seit ihrem Einzug in den Kölner Bayenturm FrauenMediaTurm heißt. Die Mauern des wiederaufgebauten, mittelalterlichen Wehrturms, den die Stiftung auf ihre Kosten modern ausgebaut hat, bergen rund 100000 Dokumente zur Neuen wie zur Historischen Frauenbewegung und den gesellschaftlichen Folgen, sowie Literatur über und von Pionierinnen aus allen Zeiten und in allen Bereichen: von der Literatur und Kunst bis zum Sport und zur Politik.

Der FrauenMediaTurm ist ein Hort der lebendigen Geschichte von Frauen. Und deren angebliche „Geschichtslosigkeit“ war bisher ja eines der größten Hindernisse bei der Emanzipation. Jede und jeder kann beim FrauenMediaTurm recherchieren: Online in der Datenbank (www.frauenmediaturm.de) oder im Verbundkatalog des Hochschulbibliothekszentrums NRW (www.hbz-nrw.de); schriftlich oder vor Ort in der traumhaften Präsenzbibliothek unter den Zinnen des Turms. Und es sind schon zahllose Doktor- und Diplomarbeiten hier entstanden. Für architektonisch bzw. geschichtlich Interessierte gibt es einmal in der Woche Führungen (beides nach Anmeldung). Denn der Bayenturm war 600 Jahre lang das Wahrzeichen von Köln, bis 1880 der Dom fertig gestellt wurde.

Als Johanna Rachinger, die Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek, jüngst Alice Schwarzer als Festrednerin zum 20. Jahrestag der Gründung von Ariadne nach Wien einlud – eine feministische Dokumentationsstelle innerhalb der Nationalbibliothek – da schrieb die 1. Bibliothekarin ihres Landes über den FrauenMediaTurm: „Ihre Gründungsarbeit 1983 hatte für die Planungs- und Vorarbeiten der Errichtung einer frauenspezifischen Informations- und Dokumentationsstelle in Österreich Vorbildwirkung. Im Speziellen war dies vor allem Ihre professionell aufgebaute Datenbank – eine Innovation in der damals noch etwas technologiefeindlichen Bibliothekswelt.“

In der Tat, dank der Anschubfinanzierung konnte der FMT von Anfang an mit Fachkräften und EDV arbeiten. Alles in allem stecken im FMT heute acht Millionen Euro, davon sieben aus privater Hand. Hinzu kam und kommt die ehrenamtliche Mitarbeit der hochqualifizierten Vorstands- und Beiratsmitglieder. Der FMT war auch das erste feministische Archiv, das sehr früh einen spezifischen Thesaurus erarbeitete, auf den viele der folgenden feministischen Archive aufsatteln konnten. Mit diesen heute 28 feministischen Spezialarchiven in Deutschland ist der FMT im Verbund i.d.a. und im kontinuierlichen Austausch.

Nach zahlreichen Anläufen und Versprechungen seiner SPD-Vorgänger Clement und Steinbrück setzte CDU-Ministerpräsident Rüttgers 2008 das Überfällige endlich in die Tat um: Er beschloss eine institutionelle Förderung des in NRW angesiedelten gesamtdeutschen Archivs über 210000 Euro im Jahr und sagte das für die nächsten zehn Jahre zu. Von diesem Geld konnten knapp dreieinhalb Mitarbeiterinnen sowie die Anschaffungs- und Betriebskosten des Archivs bezahlt werden.

2010 wechselte in Nordrhein-Westfalen die Regierung. An die Macht kam die „rotgrüne Frauenregierung“ mit Ministerpräsidentin Kraft. Was die Zukunftschancen dieses in seiner Art einmaligen Universalarchivs doch eigentlich nur steigern konnte, sollte frau meinen, oder? Doch es kam alles ganz anders.

Im März 2011 erreichte den fassungslosen Vorstand des FMT die Nachricht, die neue NRW-Frauenministerin, Barbara Steffens, habe ihr Drittel der Förderung (70000 Euro) rückwirkend zum 1.1.2011 gestrichen. Rückwirkend. Ein ungewöhnlicher, wenn nicht gar einmaliger Vorgang. Und das auch noch in einem Jahr, in dem dieselbe Frauenministerin sieben Millionen Euro, die im NRW-Haushalt für „Frauen“ vorgesehen waren, hatte zurückgehen lassen.

Was war geschehen? Die Grünen waren in Düsseldorf an die Macht gekommen. Und die bekämpfen in Köln seit 1994 den FrauenMediaTurm. Grund: Sie bzw. ihre Klientel wollte selber in den Turm. Doch nicht nur die Stadtkonservatorin Hiltrud Kier, auch eine Fraueninitiative quer durch alle Parteien plädierte damals für das Frauenarchiv. Den Frauen schien – ganz wie auch den Stadtvätern Burger und Rossa – ein Frauenarchiv in diesem alten Männerwehrturm zeitgemäßer; zumal alle anderen Wehrtürme der Stadt in der Hand von lokalen Karnevalsvereinen sind, also ganz und gar unzugänglich für die Öffentlichkeit.

Es macht keinen Spaß, daran zu erinnern, aber muss gesagt werden: Kölner Alt-Grüne und Teile der ihnen verbundenen Szene traten Mitte der 1990er Jahre eine Diffamationskampagne los, wie sie selbst eine so sturmerprobte Frau wie Alice Schwarzer noch nie erlebt hatte. In dem Turm sei gar kein Archiv, sondern stünde „das Himmelbett von der Schwarzer“, ja sei in Wahrheit die EMMA-Redaktion eingezogen (Die residierte von 1994 bis 2003 in der fünf Minuten entfernten Alteburger Straße 2, wie jeder, der es wissen wollte, sehen konnte). Die Diffamationen nahmen immer abenteuerlichere Züge an. Sehr beliebt ist auch bis heute die Behauptung, in das Archiv käme ja „niemand rein“. Wie absurd. Der FMT ist seit seinem Einzug in den Bayenturm täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, das heißt telefonisch und schriftlich erreichbar.

Zur Nutzung muss man sich selbstverständlich anmelden, denn die Plätze sind begrenzt (sechs und zwei Computerarbeitsplätze) und NutzerInnen müssen von der Bibliothekarin eingewiesen und begleitet werden. Es scheint Leute zu geben, die den Unterschied zwischen einer Stadtbibliothek und einem wissenschaftlichen Archiv nicht verstanden haben, bzw. nicht verstehen wollen. Manche Medien zogen mit. Immer nach dem Motto: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer … Das alles ist nun 18 Jahre her und eigentlich Vergangenheit. Bis März 2011. Denn da wurde eine Grüne aus Köln Frauenministerin in NRW.

Acht Monate lang kämpfte der Vorstand des FMT im Stillen gegen die Intrige; klärte die SPD-Ministerinnen für Kultur und Wissenschaft über den singulären Wert des FrauenMediaTurm auf; informierte darüber, dass es seit 2008 eine vom NRW-Wissenschaftsministerium initiierte Kooperation zwischen FMT und HBZ (dem Hochschulbibliothekszentrum NRW) gibt, in dessen Datenverbund der FMT kostenlos seine gesamte Literaturdatenbank eingespeist hatte und permanent aktualisiert. Alice Schwarzer persönlich schrieb an die „Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Kraft“ insgesamt sechs Briefe – die allesamt unbeantwortet blieben.

Gegen Ende des Jahres teilten dann auch noch die beiden SPD-Ministerinnen mit, dass sie ihre Anteile ab 2012 auf die Hälfte kürzen würden, ohne eine einzige Rückfrage. NRW fördert den FMT also nun statt mit 210000 Euro nur noch mit 70000 Euro. Was das Ende dieses Pionier-Projektes bedeutet hätte.

Nach acht Monaten vergeblichem Ringens ging der Vorstand des FMT am 31. Januar an die Öffentlichkeit und machte das ganze Dilemma publik. Im Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut standen den JournalistInnen neben Alice Schwarzer Rede und Antwort: Barbara Schneider-Kempf, Mitglied im FMT-Vorstand und Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, sowie Dr. Friedrich Bode, Ministerialrat i.R. des Wissenschaftsministeriums NRW. Bode hatte fachlich die Förderung des FMT und den Datenverbund mit dem Hochschulbibliothekszentrum begleitet. Auch das eine Pioniertat. Und auch er war empört, dass diese ihm so wichtige Zusammenarbeit zwischen dem allgemeinen Wissenschaftsbetrieb und dem feministischen Spezialarchiv so willkürlich zunichte gemacht werden sollte. Und: Dass die grüne Frauenministerin bei einer Kleinen Anfrage zu den Gründen für die Kürzung der Förderung des FMT das Parlament nachweislich belogen hatte.

Resultat der Pressekonferenz: Ein sehr breites Medienecho, bis hin ins benachbarte Ausland. Ein Teil der Medien ließ sich zwar weiterhin ganz und gar unkritisch von der Kölner Szene briefen, die anscheinend tatsächlich noch immer in dem Turm einziehen will. Gegen deren Falschbehauptungen läuft nun eine Serie von Gegendarstellungen seitens des FMT, z.B. gegen die Stadtrevue, die schon anno 1994/95 eine zentrale Quelle der Diffamation gewesen war. Aber auch überregionale Medien machen mit. So musste die FAS am 11. März eine „Klarstellung“ zu ihrer Falschberichterstattung vom 26. Februar veröffentlichen. Doch die Mehrheit der Medien berichtete sachorientiert: „Die NRW-Ministerinnen lassen Alice Schwarzer hängen“ (FAZ), „Alice Schwarzers Turm wankt“ (WAZ), „Alice Schwarzer kämpft um ihr Lebenswerk“ (Die Zeit). Und spöttisch: „Die grüne Emanzipationsministerin Steffens sagt, sie müsse sparen. In Wahrheit geht es darum, Rache zu nehmen“ (SpiegelOnline).

Immer wieder fragen JournalistInnen seither erstaunt: Ist das nicht eine verkehrte Welt? Will eine rot-grüne „Frauenregierung“ wirklich ein Frauenarchiv zerstören, das ein konservativer Ministerpräsident gefördert hat? Ja, sie will. Und war auch keines besseren zu belehren. Obwohl so ein Archiv doch auch ihre Geschichte birgt, bzw. die Vorgeschichte, die es überhaupt erst möglich gemacht hat, dass Frauen Ministerinnen oder sogar Ministerpräsidentinnen werden.

Doch es gibt ein – vorläufiges – Happy End. Am 21. Februar, drei Wochen nach der Pressekonferenz, konnte der dreiköpfige Vorstand des FMT vermelden: „Wir freuen uns, bekannt geben zu können, dass die Existenz des FrauenMediaTurm (FMT) nicht länger bedroht ist. Die Bundesministerin für Frauen, Dr. Kristina Schröder, wird aus ihrem Etat für die Dauer von insgesamt vier Jahren jeweils 150000 Euro an Fördermitteln bereitstellen, damit der Frauen­MediaTurm trotz der vom Land NRW gekürzten Mittel weiter solide arbeiten kann.“ Schröder weiter: „Ich mache das aus Freude und Überzeugung, denn bei der Förderung von Projekten geht es nicht um die Übereinstimmung in jeder Tonlage oder Argumentationsweise, sondern um den Grundkonsens, dass wir bedeutende Zeugnisse dieser bedeutenden Bewegung als Gesellschaft erhalten, unterstützen und befördern.“

Tatsächlich hatte die CDU-Frauenministerin wenige Tage zuvor einfach zum Telefon gegriffen und Alice Schwarzer angerufen. Was eine echte Pointe ist. Denn schließlich hatten Schröder und Schwarzer sich im November 2010 öffentlich gefetzt, hatte die eine der anderen vorgeworfen, von gestern zu sein und die andere der einen Unfähigkeit attestiert. Aber es gibt anscheinend noch Menschen, ja sogar Frauen, die zwischen persönlichen Affinitäten und der Sache unterscheiden können. Umso besser.

Der FrauenMediaTurm ist heute eines von 28 autonomen feministischen Archiven in Deutschland. Sie alle könnten Förderungen gebrauchen, manche kriegen sie sogar. Wie das „Archiv der deutschen Frauenbewegung“ in Kassel, das von der konservativen hessischen Regierung mit 202000 Euro im Jahr gefördert wird und der die Stadt auch noch die Miete erlässt etc.

Eines allerdings unterscheidet den FMT, der ein Universal-Archiv ist, von den anderen. Alle sind spezialisiert: auf die Neue oder die Historische Frauenbewegung, auf bestimmte Themen, Personengruppen oder die lokale Geschichte. Doch auch sie kämpfen Jahr um Jahr um Geld und würden sich sicherlich ebenfalls über einen Anruf einer Ministerin freuen. Denn all diese Archive ergänzen sich und verweisen Forschende selbstverständlich aufeinander.

Übrigens: Die Niederlande fördern Aletta, ihr „Institut für Frauengeschichte“, mit 2,3 Millionen Euro im Jahr. Und das US-Repräsentantenhaus hat jüngst 400 Millionen Dollar für den von Feministinnen geplanten Bau eines National History Museums in Washington bewilligt. Sprecherin: Meryl Streep. Sie spendete ihr Eine-Million-Dollar-Honorar für die „Iron Lady“ für das Frauenarchiv.

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