Die Skate Görls

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"Görls Session, die ganze Skatehalle NUR für die LADYS", verspricht der Flyer. Also, auf zur Revaler Straße 99 im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Die Gebäude aus rohem unverputztem Mauerwerk liegen weit verstreut auf dem Gelände, als sei Planet Subkultur hier abgestürzt: handgemalte Hinweisschilder, Graffities, zerbrochene Fensterscheiben. Youngsters chillen auf Liegestühlen, ArtistInnen üben sich im Balancieren, andere hangeln sich am "Kegel" hoch. Versteckt hinter Büschen: ein Gedenkstein für Ernst Thälmann, den Arbeiterführer.

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Wir klopfen, nein, hämmern an den Notausgang der Skatehalle. Aus den Boxen rockt "I don’t give a damn ‘bout my bad reputation, you’re living in the past it’s a new generation, a girl can do what she wants to do ..." (the donnas). Iwo, 31, öffnet uns die Tür: "Ist noch keine da, die kommen erst später."

Auf dem Gelände an der Revaler Straße befand sich bis 1994 das Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) "Franz Stenzer". Seit der Stilllegung des RAW hat hier der 1. Berliner Skateboardverein e.V. Raum für Skateboarding, Musik und Jugend­kulturen geschaffen. Ehrenamtliche HelferInnen hämmerten und schraubten rund 5.000 Arbeitsstunden am ehrgeizigen ­Projekt.

Die Skatehalle ist mit bowl, spine, street parcour und Betonpark reichlich bestückt und stets gut besucht. Der "Kegel" ist der höchste Kletterturm Berlins, im Club Cassiopeia finden Konzerte statt. Rund 70 MitarbeiterInnen halten den Betrieb am Laufen. Iwo arbeitet seit 2006 als Pressesprecherin und Screendesignerin beim Cassiopeia. Als Zehnjährige kaufte sie sich das erste Skateboard – und pausierte, weil sie "keine Leute zum Skaten" fand. Erst 2003, als 24-Jährige, begann Iwo mit einer Freundin aus der BMX-Szene wieder mit dem Skaten. Im Oktober 2008 betreute sie als Herbergsmutti den Skateboard-Workshop "Ladiez First" im Mellowpark. "Wir haben gesehen, wie viele Mädels in Berlin gut Skaten. Während des Workshops habe ich gemerkt, wie viele Mädels kommen, wenn man ein reines Frauentraining anbietet. Ich habe die dann hier in eine Session von den Jungs reingeschmuggelt – denen klappte die Kinnlade runter. Sie hatten 16-jährige kreischende Hupfdohlen erwartet, die dann aber eingedropped sind (Anm. der Red: von der Rampe aus reinfahren) wie ein Mann."

Iwo entschloss sich, die Skatehalle am Montag, dem eigentlichen Ruhetag, privat anzumieten. Der Eintritts-Preis von 3 Euro deckt mal gerade ihre Unkosten. Am 16.10.2008 ging’s los mit dem Görls Skateteam. Zum festen Kern gehören ­Mädels, die tagsüber beim Finanzamt ­arbeiten, abends zum Skaten kommen und den Sommer als Schlagzeugerin einer Hardcoreband durch die Städte touren. Studentinnen, Schülerinnen, Tätowie­rerinnen oder Modemacherinnen – sie kommen aus Berlin oder Bremen und drei Görls aus Dresden haben eine Fahrgemeinschaft gebildet. Sie sind Görls wie Merle, 20. Die zieht gerade die Knieschoner über und startet auf den street parcour, über diverse miniramps, Richtung halfpipe und wieder zurück. Spaß am Skaten ist das, was die Mädels verbindet. "Skaten ist ja so cool", da sind sich alle einig.

Anna, 24, kommt aus Beijing und trainiert seit April dieses Jahres in Berlin. Was ihr hier gefällt? "Ich lerne immer wieder neue Leute kennen. In China gibt es so was nicht, die denken da alle nur ans Studieren und Karriere machen." Anna isst ihren Döner und hat einen Riesenspaß mit Annika, 18, die ihre Angst vor dem Skaten besiegen möchte. Betty, 22, grinst: "Ich wurde gezwungen, hier Spaß zu haben", Isa, 18, verzieht sich in die große halfpipe.

Manche haben das Skaten einfach auf der Straße oder in Videos entdeckt, wie die 25-jährige Gienna: "Ich habe es gesehen und wollte es auch hinkriegen." Gienna skatet seit sieben Jahren und steht mindestens jeden zweiten Tag auf dem Brett. Mittlerweile ist sie Skateboard-Workshoptrainerin und ganz nebenbei Iwos Azubine (zur ­Mediengestalterin) im Cassiopeia.

In der bowl – der "Riesenwanne" zum Skaten – üben alle den "Synchron-Ollie". Sophie, 15, lästert: "Sollen wir jetzt so tun, als seien wir eine Community?!" Sophies Board hat einen Namen: Gisela. Der "Synchron-Ollie" klappt nicht auf Anhieb, die Mädels nehmen’s gelassen, probieren es noch einmal und noch einmal. Sie ­genießen es, den Raum, den ganzen Raum für sich zu haben. Auch auf der Zuschauertribüne ist niemand zugelassen. Für Jungs wie für Eltern gilt: Draußen bleiben!

Trainieren Jungs anders als Frauen? Ja. "Die Jungs sind aggressiver und schmollen mehr, wenn ein Trick nicht funktioniert", sagt Iwo. Und: "Bis heute kommen Jungs bei mir an und beschweren sich darüber, dass die Halle am Montag für sie geschlossen ist. Denn, so finden sie: Skaten ist ein Männersport." Und dann dreht Iwo ganz cool die Musik lauter: "A girl can do what she wants to do ..."

Skatehalle-Berlin, Revaler Straße 99, Tor II, 10245 Berlin, Trainingszeiten: Jeden Montag 20 Uhr bis open end.
www.goerlsskateteam.de

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