Friedelind Wagner stellte sich gegen Hitler

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Als 1953 Friedelind Wagner, die einst in der Stadt so beliebte Enkelin des großen Meisters, nach Jahren in der Emigration als amerikanische Staatsbürgerin wieder den Festspiel­hügel betrat, da freuten sich nicht alle in Bayreuth – und auch nicht die eigene Mutter und ihre beiden Brüder. Dabei sah niemand dem berühmten Großvater so frappierend ähnlich wie diese Enkelin mit ihrem starken Kinn und der gebogenen Nase.

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Mit dem Bau des Festspielhauses hoch über der Stadt Bayreuth hatte Großvater Richard sich 1876 einen Traum erfüllt: ein eigenes Musiktheater, das seine Opern ­notengetreu aufführte. Als Sohn Siegfried 1930 starb, übernahm dessen Frau Winifred kommissarisch die Festspielleitung, die laut Testament später an alle vier Kinder gehen sollte: an Wieland und Wolfgang, Verena und Friedelind. Doch Friedelind Wagner sollte ihr Erbe nie antreten.

Die Kindheit der 1918 Geborenen war noch fröhlich. Radfahren, Fußball spielen, Fotografieren, auf Stelzen laufen, in Museen und Konzerte gehen – die Wagner-Kinder durften (fast) alles und wurden als Enkelkinder des großen Meisters von der ganzen Bayreuther Bevölkerung verwöhnt.

Bis der dunkle Schatten auftauchte. Mutter Winifred war früh, schon in den 1920er Jahren, von Adolf Hitler entzückt. Der war ein großer Wagner-Fan, und bald duzte er sich mit Winifred, die ihn „Wolf“ nannte. Oft kam der Führer heimlich nach Bayreuth und ging dann ins Kinderzimmer, um ­Geschichten zu erzählen. Oder er lud die Wagner-Enkel in die Reichskanzlei ein, wo sie mit Hitler dinierten und seinen ­Monologen lauschten. Bei den Aufmärschen zu den Nürnberger Parteitagen saßen die Wagner-Kinder ganz vorne.

Als junges Mädchen trug Friedelind ein Hakenkreuzkettchen und übte fleißig den Hitlergruß. Doch allmählich machten „Wolfs“ bellende Reden sie hellhörig. Sie reiste alleine nach England und Frankreich, wo sie Sprachkurse belegte und sich auf eine Berufslaufbahn als Regisseurin vorbereitete. Dort traf sie jüdische KünstlerInnen, die aus Deutschland geflüchtet waren. Die öffneten Hitlers Liebling die Augen. Als Friedelind schließlich von ­Luzern aus ihrer Mutter eröffnete, dass sie nach England ziehen wolle, war die so schockiert, dass sie umgehend zur Tochter reiste, um sie zurückzuholen. Vergeblich. Die 22-Jährige ließ sich nicht von ihrem Plan abbringen.

Dem Dirigenten Arturo Toscanini, der ihren Entschluss auch finanziell unterstützte, schrieb Friedelind 1940: „Gerade weil ich deutsch bin, lebe ich nicht in Deutschland – weil dies kein Deutschland mehr ist. Ich bin eine Wagner – und ich liebe meine Familie – selbst wenn ich wenig Liebe erhielt. Ich bin es meinem Vater schuldig und der gesamten Familie. Ich glaube, sobald der Krieg vorbei ist, dass meine Familie das erkennen wird.“

In England veröffentlichte die Wagner-Enkelin jetzt Zeitungsartikel gegen Hitler und Mussolini. Die NS-Elite war empört, und Goebbels notierte in sein Tagebuch: „Dieses dicke Biest betreibt da also kompletten Landesverrat. Ein Produkt schlechtester häuslicher Erziehung. Pfui Teufel!“

Gleichzeitig war Friedelind Wagner als enge Bekannte von Hitler für die Briten suspekt – sie hätte ja eine Spionin sein können. Im Mai 1940 nahm man sie fest und brachte sie zusammen mit anderen deutschen StaatsbürgerInnen auf die Insel Man, wo sie hinter Stacheldraht festsaß. Eine schockierende Erfahrung für die mutige junge Frau, die gehofft hatte, im Ausland mit offenen Armen empfangen zu werden.

Doch das Internierungslager hatte nicht nur Schattenseiten. Friedelind verliebte sich in die jüdische Sängerin Jeanette Simon. Diese Beziehung machte die schwere Zeit leichter. Doch nach ihrer Freilassung im September 1940 wurde Friedelind erneut verhaftet, diesmal in London. Die Behörden ließen Monate vergehen, um zu entscheiden, ob die Deutsche nun in die USA reisen dürfe. Auf ihrem Matratzenlager im Gemeinschaftsraum des Gefängnisses hörte Friedelind draußen die deutschen Bomben fallen. An Jeanette schrieb sie: „Ich umarme dich viele male und küsse dich liebevollst ohne Dich rot zu machen! Immer Deine Mausi.“

Der Verdacht, sie könne eine deutsche Agentin sein, blieb. Doch endlich ließ man sie im Februar 1941 nach Buenos Aires fahren. Von dort ging es nach New York, wo die Wagner-Enkelin als Verkäuferin, Sekretärin, Buchhalterin und Serviererin arbeitete. Gleichzeitig hielt sie Vorträge über ihren Großvater, aber auch gegen die Nazis.

Toscanini, der ihr schon in England mit Geld beigestanden hatte, half ihr erneut. Doch nicht ohne Hintergedanken. Der 70-Jährige bedrängte die 26-Jährige derart, dass sie ihm trotz ihrer prekären Lage einen wütenden Brief schrieb: „Ich glaube, dass jede Frau mit nur einem Gramm von Gehirn und Selbstachtung liebend gerne auf den Genuss gestohlener Küsse verzichten würde … Vielen Dank, dass Sie fortfahren, das zu zerstören, was früher einmal für mich das Wertvollste überhaupt war: der Mythos, der Toscanini einmal war. Ich bin froh, dass Sie auch nur ein Mensch sind.“ Der berühmte und umschwärmte Dirigent war darüber so wütend, dass er die Adresse auf dem Umschlag durchstrich und ihr den Brief zurückschickte.

Als der Krieg vorüber war, kratzte Friedelind alles Geld zusammen und unterstützte nun ihre einst so hitlertrunkene Familie mit Fresspaketen. Die Enkelin hoffte selbstverständlich auf eine Mitarbeit beim Wiederaufbau der Bayreuther Festspiele. Und in der Tat bat der Oberbürgermeister Bayreuths die einzige Wagner im Exil nach dem Krieg, die Festspiele zu übernehmen. Doch ihre Brüder und die Mutter stellten sich quer, obwohl sie genauso erbberechtigt war wie ihre Geschwister. Friedelind galt letztlich als Verräterin – wie so viele Emigranten, auch in der eigenen Familie. Die Brüder kamen auf die gerissene Idee, das Festspielgebäude von der Mutter zu mieten; damit war die ungeliebte Schwester ausgeschaltet.

Friedelind Wagner ließ sich jedoch nicht entmutigen. Sie richtete in Bayreuth Meisterklassen für junge, hochqualifizierte KünstlerInnen ein, aus denen namhafte Theaterleute hervorgingen. Damit bewies sie, dass sie künstlerisches Potenzial zu ­erkennen und zu fördern vermochte.

Wie viele EmigrantInnen fasste die Wagner-Enkelin dennoch in Deutschland nie mehr richtig Fuß. So kam es, dass die Frau, die in der Familie Wagner den größten Mut gezeigt hatte, eine Außenseiterin blieb. Sie zog in die Schweiz und starb dort 1991. Während ihre Brüder Wieland und Wolfgang Wagner die Geschicke Bayreuths leiteten und im Glanz des berühmten Großvaters standen.        

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