Woher kommt der Hass auf Greta?

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Leider gehöre ich zu den Menschen, die sich Aufkleber an voran fahrenden Autos immer genau anschauen müssen. Und da ich sowohl auf der 30-minütigen Fahrt zur Arbeit als auch davon zurück ständig im Stau stehe, bekomme ich so einiges zu lesen. Da wären in erster Linie die ganzen patriotischen KölnerInnen, die mit der Skyline am Heck ihrer geliebten Stadt huldigen. Kann ich verstehen, Köln gefällt mir auch gut. Dicht gefolgt von den 1. FCK Fans, die ihren Verein als „Macht am Rhein“ feiern. Soweit die Wunschvorstellung.

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Schnüffel
an meinem Auspuff, Greta!

Über die Aufkleber von LKW-Fahrern schweigen wir hier mal lieber. Cliché as cliché can be. Nur der etwa DIN-A-4 große Katzenaufkleber sei mal erwähnt, mit der Aufschrift: „Und wann zeigst du mir deine Muschi?“

Luft nach unten ist also immer. Wie tief es aber tatsächlich gehen kann, habe ich in der vergangenen Woche zum ersten Mal gesehen. Der Aufkleber am Auto vor mir klebte am Auspuff, ich hätte beinahe die Stoßstange des SUVs berührt, um ihn lesen zu können. „Fuck you Greta!“ stand dort. Ich habe den Wagen überholt, um mir den Fahrer anzuschauen. Kein 18-jähriger Draufgänger, kein Prototyp-Macho, sondern ein recht normal ausschauender Mann mittleren Alters saß dort. Im Netz habe ich mehrere dieser Aufkleber gefunden, zu bestellen über große Online-Anbieter. Sie werden mir seitdem in den Werbeleisten angeboten. Ihre Slogans: „Fuck off Greta!“, „Schnüffel an meinem Auspuff, Greta!“ „Greta: Ich verbrenne meinen Diesel mit Liebe“, „Alles für Greta“ oder „Greta stinkt“.

 

Kosten: 1,50 bis 3 Euro pro Stück. Der Aufkleber „Problem gelöst“, zu dem zwei lange Zöpfe gehören, die zwischen die Kofferraumklappe geklemmt werden, ist teurer. „Kopf ab“ also für Greta.

Wo leben wir eigentlich? In einer Welt, in der - ich schätze Mal hauptsächlich – Männer in dicken Karren durch die Gegend fahren und sich über ein 16-jähriges Mädchen lustig machen, das nichts Geringeres als unseren Planeten retten will. Würden Sie auch einen jungen Mann dazu auffordern, an ihrem Auspuff zu schnüffeln?

Es gehört einiges an Frauenverachtung und Sexismus dazu, einen anderen Menschen so öffentlich zu demütigen und das mit dem eigenen Auto zur Schau zu stellen.

Der Hass, der Greta, vor allem in Deutschland, entgegenschlägt, ist beispiellos. Sie wird in den sozialen Medien als „CO2-Schlampe“, als „dummer Autistenkopp“ verhöhnt. In Gruppen wie „Fridays for Hubraum“ fragen User: „Was würde ein Auftragsmord kosten?“ oder „Sieht es nach Selbstmord aus, wenn wir sie an ihren Zöpfen aufhängen?“

Als hätten sie Angst, dass die kleine Greta den großen Jungs das Auto wegnimmt. Und als wäre Greta das Problem, nicht der Klimawandel.

Wie ignorant kann Mann eigentlich sein? Denn nicht nur die Eisbären haben ein gewaltiges Problem. Auch hier in Deutschland wird es sehr ernst. Erst gestern wurde der neue Monitoring-Bericht des Umweltamtes vorgestellt, der sich mit den Folgen des Klimawandels für Deutschland beschäftigt. Fazit: Die Zahl der „heißen Tage“ – also mit Temperaturen über 30 Grad – wird weiter ansteigen. 1.200 Menschen starben 2018 „hitzebedingt“. Es werden mehr werden.

Wie ignorant kann Mann eigentlich sein?

Speziell die Großstädte werden zu Heizkesseln werden. Wir werden mit mehr Schäden durch Stürme und Starkregen an Häusern, Fahrzeugen und Hausrat rechnen müssen. 2018 lag die Schadenssumme nach Angaben der Versicherungswirtschaft schon bei 3,1 Milliarden Euro. Tierische Überträger wie exotische Mücken werden hierzulande bald überleben können. Dadurch verbreiten sich bislang nicht auftretende Krankheiten wie Dengue- und Chikungaya-Fieber. Zudem, warnen die ExpertInnen, beeinträchtige die zunehmende Trockenheit die Versorgung mit Trinkwasser. Gleichzeitig nehmen aber Hochwasserereignisse zu, „vermehrt im Winter“. Außerdem würden die Meeresspiegel von Nord- und Ostsee ansteigen, Halligen, ganze Inseln verschwinden. 2018 gab es bereits eine Erntekrise, in diesem Jahr eine massive Zunahme der Waldschäden durch Hitze.

Kann man dem Wandel noch begegnen? „Ja“, sagt Umwelt-Ministerin Schulze. Durch mehr Klimaschutzmaßnahmen und durch Vorsorge. Die Strategien liegen vor. Sie brauchen aber Menschen, die für sie kämpfen. So wie Greta - und so wie die Tausenden, die am kommenden Freitag wieder auf die Straße gehen werden unter dem Motto #NeustartKlima.

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Alice Schwarzer schreibt

Greta: Der wütende Engel

Greta Thunberg und MitstreiterInnen demonstrieren in Rom. - Foto: Andrea Ronchini/Imago Images
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Greta ist nicht vom Himmel gefallen. Auch wenn sie aussieht wie ein wütender Engel, der aus Zorn über die böse Welt seine Flügel zertrampelt hat. Nein, Greta ist, zumindest mütterlicherseits, schon die dritte Generation aktiver HumanistInnen, die nicht wegsehen. Ihre Großmutter war Diakonin und nahm immer wieder Flüchtlinge und Menschen ohne Papiere auf. „Manchmal war es ein bisschen anstrengend. Aber es ging“, schreibt ihre Mutter. Und hat heute selbst in das Familien-Ferienhaus Flüchtlinge einquartiert.

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Gretas Mutter, Malena Ernman, ist in Schweden eine berühmte Opernsängerin. Sie hat ihre internationale Karriere aufgegeben, um wegen der Klimabelastung nicht mehr fliegen zu müssen. Gretas Vater, Svante Thunberg, hat die Schauspielerei ganz aufgegeben, als sie zur Welt kam, um sich um die Tochter (und deren spätere jüngere Schwester) kümmern zu können.

Gretas Mutter hat jetzt ein Buch veröffentlicht: „Szenen aus dem Herzen – unser Leben für das Klima“. Sie hatte es schon geschrieben, bevor ihre Tochter berühmt wurde. Es endet an der Stelle, an der Greta der Familie ankündigt: „Ich werde jetzt vor dem Parlament demonstrieren.“ Dafür kauft der Vater ihr eine Sperrholzplatte beim Baumarkt für das Schild: „SKOLSTREJK FÖR KLIMATET“.

Malena Ernman erzählt uns in klaren unverstellten Worten die Geschichte einer Revolte und radikalen Randständigkeit. Die wird von Greta ausgelöst, sodann jedoch wird Stück für Stück die ganze Familie hineingezogen, bis hin zu der ­jüngeren Schwester Beata.

Greta betritt am 8. November 2013 auf Seite 24 die Szene. Da ist sie zehn Jahre alt und magersüchtig. Sie kann und will nichts mehr essen. Es beginnt ein zweijähriger Kampf um ihr Leben, der die ganze Familie an den Rand ihrer Kräfte bringt. Sie gewinnen diesen Kampf – und stellen ihr Leben in den Dienst der guten Sache, für die Greta zum Opfergang bereit ist: die Rettung der Welt.

Im Verlauf dieses Kampfes stellt sich heraus, dass Greta eine Form von Asperger hat, was ihr unter anderem erlaubt, sich so extrem auf eine Sache zu fokussieren und alles andere auszublenden. Auf die Meinungen der anderen pfeift sie. Die nehmen ihr so viel Nonkonformismus übel. MitschülerInnen hänseln sie in der Schule, LehrerInnen haben wenig Verständnis. Aber Greta macht weiter. Und ihre Eltern halten zu ihr.

Im zweiten Teil des Buches liefert die ebenfalls sehr engagierte Mutter von Greta Fakten und Appelle zum Kampf gegen „den Untergang von ­Mutter Erde“. Sie tut das kundig und leidenschaftlich.

Der Effekt dieses Buches ist eine erhöhte Sensibilität für den ganz persönlichen Beitrag zum ­Klimaschutz. Ein Nebeneffekt dürfte der Respekt für ein so entschlossenes Außenseitertum im Namen der gemeinsamen Sache sein. Und ein veränderter Blick auf Menschen mit Asperger-­Syndrom und ähnlichen Abweichungen von der „Normalität“. Eine Normalität, die ungern ­hinsieht. Greta sieht hin.

Weiterlesen: Greta & Svante Thunberg/Beata & Malena Ernman: Szenen aus dem Herzen. Unser Leben für das Klima (S. Fischer, 18 €).

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