FUSSBALL-WM: Japan schlägt USA und ist

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Als Saki Kumagi Elfmeter Nummer vier im Tor der amerikanischen Torhüterin Hope Solo versenkt hatte, gab es kein Halten mehr: Die japanische Ersatzbank plus Entourage rannte als blaue Sturmwolke aufs Spielfeld und fiel den Spielerinnen in die Arme. Nach Verlängerung und Elfmeterschießen war passiert, womit zu Beginn der WM niemand und nach dem Sieg gegen Deutschland im Viertelfinale immer mehr Fußballfans gerechnet hatten: Die Japanerinnen sind Weltmeisterin! Das Finale war „temporeich“ (Spiegel), „an Leidenschaft und Dramatik kaum zu überbieten“ (FAZ), kurz: „atemberaubend“ (Süddeutsche). Knapp 50.000 ZuschauerInnen inclusive Kanzlerin und Bundespräsident sahen das Endspiel live im Frankfurter Stadion, 15 Millionen ZuschauerInnen verfolgten den Fußball-Krimi als meistgesehene Sendung des Abends vor den Bildschirmen. Damit steht fest: Gewonnen hat Japan – und der Frauenfußball.

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„Was für ein geiles Endspiel!“ kommentiert „ingo d aus r“ auf Spiegel Online, und „buschinski“ schließt sich an: „Das Spiel dürfte in die Geschichte eingehen!“ Es folgen herzliche Gratulationen weiterer User an die kämpferischen Japanerinnen. Ein Kommentator, der sich über den verschossenen Elfmeter von Carli Lloyd lustig macht, wird prompt in die Schranken gewiesen: Schließlich hätten die brasilianischen Fußball-Männer soeben bei der Copa América gleich drei von vier Elfmetern über oder neben das Tor gesemmelt. Also bitte. 
Natürlich ist diese Debatte nur eine von vielen, aber vielleicht ja doch symptomatisch für eine wundersame Wandlung, die sich mit dieser Frauenfußball-WM endgültig vollzogen hat: Frauenfußball ist angesagt und anerkannt. Was hier in den letzten Wochen passiert ist, hätte sich auch EMMA, als sei 1998 die Kampagne „Die Hälfte vom Ball für die Frauen!“ startete, nicht träumen lassen.
Da ist zunächst der subjektive Eindruck, dass sich jedes Gespräch der letzten drei Wochen zumindest teilweise um die Fußball-WM drehte; dass sämtliche NachbarInnen, Familienmitglieder und FreundInnen – auch solche, die sich bisher weder für Männer- noch für Frauenfußball interessierten – die Spiele gesehen hatten und plötzlich über Fouls und Flanken diskutierten. Die Omnipräsenz der deutschen Spielerinnen auf Werbetafeln von Herstellern von Bier oder Briefmarken zeigte, dass die bisher so skeptischen Sponsoren zu dieser WM ihre Zurückhaltung aufgegeben hatten und den Frauenfußball inzwischen offenbar für eine prestigeträchtige und öffentlichkeitswirksame Veranstaltung halten. 

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Die Zahlen geben ihnen Recht. Das Viertelfinale Deutschland gegen Japan war die meistgesehene Sendung des Jahres 2011. 17 Millionen ZuschauerInnen wollten die deutschen Fußballfrauen sehen. Mehr als Klitschkos Kampf, mehr als Thomas Gottschalks „Wetten, dass...?“-Finale. Das sensationelle Interesse an den Spielen, die erstmalig alle und viele zur besten Sendezeit übertragen wurden, erstaunte selbst die Fernsehoberen so sehr, dass sie jetzt den nächsten Schritt erwägen: Angesichts der „Rekordeinschaltquoten“ – übrigens auch bei Spielen ohne deutsche Beteiligung – wollen ARD und ZDF Frauen-Länderspiele künftig ebenfalls auf die Primetime nach 20 Uhr übertragen.
Die Spiele der Frauen-Bundesliga wollen die Sportchefs allerdings offenbar weiterhin ignorieren. „Die WM ist nicht mit dem Ligabetrieb zu vergleichen“, erklärte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky. Das stimmt. Einige Bundesliga-Vereine spielen vor 1.000 ZuschauerInnen. Dass das auch daran liegt, dass die Frauen-Bundesliga quasi unter Ausschluss der medialen Öffentlichkeit spielt und mehr Berichterstattung zweifellos auch mehr ZuschauerInnen in die Stadien treiben würde, steht außer Frage. Dennoch betrachtet es Dieter Gruschwitz, Sportchef des öffentlich-rechtlichen ZDF, nicht als seine Aufgabe, für mehr Öffentlichkeit zu sorgen. „Wir sind nicht die Anschieber für eine größere Akzeptanz des Frauenfußballs. Das muss die Bundesliga von sich aus schaffen.“ Ob die Spiele von FFC Frankfurt, FCR Duisburg oder Turbine Potsdam, in denen sonntags die halbe Nationalmannschaft kickt, tatsächlich so wenig Sportschau-Zuschauer interessieren würden?       
Neben Einschaltquoten und ausverkauften Stadien sprechen noch andere Zahlen für die riesige Fangemeinde, die der Frauenfußball sich erkämpft hat: Der Verkauf der WM-Fanartikel überstieg alle Erwartungen. Über 100.000 Trikots wurden verkauft (zum Vergleich: Laut Hersteller adidas waren es zur letzten Frauen-EM 2.500). Dabei gab es die noch nicht mal in Herrengrößen, worüber sich so mancher männliche Fan in Internet-Foren bitter beklagte. Und wer im Stadion die 1,90 Meter-Schränke gesehen hat, auf deren Selfmade-Trikots die Namen „Popp“ oder „Laudehr“ in schiefen Aufbügelbuchstaben pappten, hat dafür nun wirklich Verständnis.
Und überhaupt, die Männer. Sie stellten nach Augenmaß mindestens die Hälfte der StadionbesucherInnen und feuerten die Spielerinnen an. Über die friedliche Stimmung in den Stadien, die Abwesenheit von Besoffski-Gegröhle und Schmäh-Transparenten unter der Gürtellinie ist eigentlich schon alles gesagt worden. Weil aber die Bilder der jubelnden Fans in den letzten Wochen so selbstverständlich geworden sind, sei hier noch einmal erinnert: Dass Männer (angezogenen) Frauen zujubeln, kommt im wahren Leben quasi nie vor. Die Fußballerinnen haben einen Präzedenzfall geschaffen, der sehr vielen Mädchen (und Jungen) nicht weniger vor Augen führt als ein neues Geschlechterbild, das für Frauen bis dato nur die Groupie-Rolle vorsah. Danke, Mädels!

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Natürlich ärgert all das manche Männer so sehr, dass sie eine kühne Behauptung aufstellten. Der deutsche Frauenfußball-Hype sei von den Medien „verordnet“. Sicher, die Medienpräsenz des Frauenfußballs war ebenfalls rekordverdächtig, es gab eine Menge Sonderbeilagen und lange Online-Strecken zur Fußball-WM. Diese zu lesen, erhob aber keine Zeitung zur Pflicht. Auch durfte jeder, der Frauenfußball für langsam und uninteressant hält, das sagen und ungestraft dem Fernseher fernbleiben. Dennoch stellte Frank Plasberg die Frage „Müssen wir jetzt alle Frauenfußball gut finden?“ Da diese Frage eigentlich gar keine war, weil sie klar mit „Nein, warum auch?“ beantwortet werden konnte, gerieten die Kritiken zur Sendung schlechter als die der Frauen-WM-Spiele. Und das, obwohl Studiogast Hajo Schumacher, Berliner Journalist und einer der letzten deutschen Cowboystiefelträger, für hohen Unterhaltungswert sorgte, als er Rekordeinschaltquoten und eine Million kickende Mädchen und Frauen im DFB frischweg ignorierte und Frauenfußball zur „Randsportart“ erklärte.                 
Noch unterhaltsamer war eigentlich nur Sepp Blatter. Der Fifa-Präsident hatte bei der Auftakt-Pressekonferenz zunächst einen kleinen Scherz gemacht, als er erklärte: An seinen als visionär gehandelten Satz „Die Zukunft des Fußballs ist weiblich“ habe er 1995 „selber nicht geglaubt“. Kein Witz war allerdings seine Begründung dafür, warum er die möglichst frühe Förderung des Mädchenfußballs für elementar hält: „Ab einem gewissen Alter ist die gesellschaftliche Aufgabe von Frauen ja eine andere als Fußball zu spielen.“ Inwieweit der 75-Jährige auch an der Entwicklung des WM-Slogans „20elf von seiner schönsten Seite“ beteiligt war, ist unbekannt, aber nicht unwahrscheinlich. Glücklicherweise ist dieser Slogan so oft klug kritisiert worden, dass wir es hier nicht noch mal tun müssen.
Und jetzt sind die Japanerinnen also Weltmeister. Sie waren eins von drei Teams im Halbfinale, die bei der letzten WM noch keine große Rolle spielten. Auch mit Frankreich hatte man so weit oben nicht wirklich gerechnet. Das zeigt, wie sehr der Frauenfußball inzwischen auch in Ländern an Bedeutung gewonnen hat, die bis dato nicht als große Förderer des Frauenfußballs galten. Bei der WM 2015 in Kanada wird die Weltspitze womöglich noch breiter sein. Und es kommen acht weitere Teams dazu: Statt 16 werden in Vancouver, Montreal & Co. 24 Frauschaften antreten.

Auch wenn die deutschen Frauen bei dieser WM früher ausgeschieden sind als erwartet (und das gegen den Weltmeister) – der Erfolg für den Frauenfußball ist gewaltig. Und das nicht zuletzt, weil sich die deutsche Frauschaft auch jenseits des Platzes Respekt erworben hat. Birgit Prinz mit ihrer beeindruckenden Pressekonferenz, auf der sie wagte, über ihre Ängste und den Druck angesichts der hohen Erwartungen zu sprechen. Silvia Neid, die nach dem Ausscheiden ihres Teams Trauer zeigte und Fehler zugab, den Kopf-ab-Forderungen aber in aller Ruhe widersprach. Und zuletzt die deutschen Spielerinnen, die loyal zu ihrer Trainerin standen, komplett zum Endspiel erschienen und ausgerechnet ihren ärgsten Gegnerinnen, den Japanerinnen, begeistert zujubelten. Das hat das Zeug zum Sommermärchen.     
Das findet offenbar auch Hope Solo, die als beste Torhüterin des Spiels ausgezeichnet wurde. „Jeder hier schien zu wissen, dass diese Frauenfußball-WM stattfindet“, erklärte die Torhüterin aus dem Land des zweifachen Weltmeisters und Olympia-Siegers erstaunt. „Hier in Deutschland scheinen sie zu verstehen, dass auch Frauen Fußball spielen.“ Ja, so könnte man es ausdrücken. Jetzt müssen die Mädels nur noch anfangen, sich an die vielen ZuschauerInnen zu gewöhnen.

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