Gender-Gap: Frauenlisten fordern

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Wenn am 27. März 2011 in Baden-Württemberg eine neue Landesregierung gewählt wird, dann wollen die Kommunalen Frauenlisten etwas wissen, was gemeinhin verborgen bleibt: Wo haben die weiblichen Wähler ihr Kreuzchen gemacht? Denn der sogenannte Gender Gap – die Lücke, die zwischen den Geschlechtern klafft – ist gerade beim Wahlverhalten enorm. Umso bemerkenswerter ist, dass das unterschiedliche Wahlverhalten der Geschlechter weder von den Parteien noch von den Medien thematisiert wird. Nur EMMA berichtet seit Jahrzehnten unverdrossen darüber.

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So wurde bei den letzten Bundestagswahlen 2009 die CDU zu fünf Prozent mehr von Frauen gewählt. Und Hannelore Kraft hätte in Nordrhein-Westfalen eine rot-grüne Mehrheit gehabt – wenn nur Frauen gewählt hätten.
Aber während das Wahlverhalten von Landwirten, GroßstadtbewohnerInnen oder Angestellten en détail analysiert wird, schweigen Jörg Schönenborn von der ARD oder Bettina Schausten vom ZDF beharrlich über den Gender Gap. Deshalb verabschiedeten die Kommunalen Frauenlisten auf ihrem 23. Bundeskongress im schwäbischen Berkheim eine Resolution, in der sie die TV-Sender auffordern: „Wir fordern, dass die Wahlergebnisse getrennt nach Frauen und Männern veröffentlicht werden!“
Auch die Forschungsgruppe Wahlen und andere Umfrage-Institute, die das Wahlverhalten der Bevölkerung ermitteln, werden aufgefordert, ihre Ergebnisse zum Wahlverhalten von Frauen und Männern – die sie ja durchaus abfragen – auch zu veröffentlichen. „Frauen würde dann bewusst werden, dass sie eine eigene Interessengruppe sind“, argumentiert Susanne Berger von der Frauenliste Berkheim und Organisatorin des Bundeskongresses der Kommunalen Frauenlisten. „Deshalb wollen wir ein eigenes Tortendiagramm!“

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So genannte Frauenlisten sind in Baden-Württemberg, Bayern und Brandenburg eine feste Größe in der Kommunalpolitik. Weil das Wahlrecht der drei Bundesländer es erlaubt, mehrere Stimmen auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu „häufeln“, haben auch kleine Gruppen große Chancen, einen oder auch mehrere Sitze in den Gemeinderäten zu erobern. So sitzen alle 34 Frauenlisten, die in Baden-Württemberg antreten, im Rat ihrer Stadt – so manches Mal als einziger weiblicher Vertreter der weiblichen Bevölkerung, die immerhin 51 Prozent ausmacht. Sie heißen WIR (Weiber ins Rathaus), PROFI (Politische Rottweiler Fraueninitiative) oder „Vertrauen in Frauen“.
Sie sitzen in Walddorfhäslach, in Königs Wusterhausen und in Oberammergau. Im tiefen Bayern gründete sich die Frauenliste schon 1990, nachdem ein erbitterter Kampf um die Mitwirkung von Frauen bei den Passionsspielen entbrannt war. Frauen durften nämlich nur dann eine Rolle bei den weltberühmten Spielen übernehmen, wenn sie unter 35 und unverheiratet waren. Die Frauen prozessierten gegen diese vorsintflutlichen Regeln – und gewannen. Den politischen Einfluss wollten sie sich auch nach ihrem Sieg nicht wieder nehmen lassen und holten mit ihrer „Frauenliste Oberammergau“ prompt drei Sitze im Gemeinderat.
In anderen Gemeinden war der Auslöser für die Gründung der Frauenliste schlicht die komplette Abwesenheit von Frauen in der Kommunalpolitik. „Nachdem schon wieder zwei Wahlen für die Frauen verloren waren, haben wir gesagt: Jetzt reicht’s!“ sagt Petra Karnowka von der PROFI-Liste in Rottweil. 1999 trat die Frauenliste erstmalig an und holte zwei Sitze. Nun kamen auch die anderen Parteien und Listen unter Zugzwang. Heute hat der 26-köpfige Gemeinderat immerhin vier weibliche Mitglieder. Dieses Phänomen lässt sich auch andernorts beobachten. „Dass die anderen Parteien Frauen gesucht und aufgestellt haben, hängt mit den Frauenlisten zusammen!“
Einmal im Jahr kommen die Kommunalen Frauenlisten zu einem Bundeskongress zusammen, auf dem sie sich nicht nur in Sachen Kommunalpolitik fortbilden. Auch die gegenseitige Bestärkung ist wichtig, denn in den ländlichen Gemeinden werden die Aktivistinnen nicht selten als „Emanzen“ angefeindet oder als „Kaffeekränzchen“ belächelt.

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Gastrednerin in diesem Jahr war EMMA-Redakteurin Chantal Louis, Mitautorin des Buches „Damenwahl“. Sie referierte über den Gender Gap. Am Ende des Kongresses verabschiedeten die rund 80 Teilnehmerinnen ihre Forderung an Sender und Umfrage-Institute: Ein eigenes Tortendiagramm!
EMMAonline, 11.10.2010

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