Genossen, ihr seid unerträglich!

Da staunten die Genossen... (Hans Jürgen Krahl re). - Foto: dpa
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Ich wohnte in einer der ersten Kommunen in der Dernburgstraße, nicht aus Lust, sondern aus der Not heraus. Denn als alleinstehende Frau mit Kind bekam ich keine Wohnung. In der Zeit heftete ich den ersten Zettel an das schwarze Brett im SDS, um Frauen und Kinder zu finden, die in einer ähnlichen Lage waren. Dass es nicht einfach werden würde, war mir klar, denn die meisten Frauen waren jünger als ich. Mein Zettel war bald wieder abgerissen oder es standen blöde Bemerkungen von blöden Jungs darunter.

Im Sommer oder Herbst 1967 fing die „Springer-Kampagne“ an. Dafür hatten sich mindestens 20 oder 30 Arbeitskreise gebildet, die, auf die Stadt verteilt, tagten. In vielen Artikeln in der Springerpresse ging es um die Frage, wie eine Frau es einem Mann auch mit wenig Geld zu Hause nett machen kann. Diese Art Geschichten wurden aber in keinem einzigen Arbeitskreis analysiert.

Ich ging also zu diesem „Springer-Arbeitskreis“ und sagte: „Ihr habt etwas Wichtiges vergessen: die Analyse der an Frauen gerichteten Artikel. Damit entgeht euch eine vermutlich große Unterstützung.“ Aber die meinten nur: „Geh mal in die Küche. Da macht die Marianne so was Ähnliches.“ In dem Moment blieb bei mir nur Sprachlosigkeit. Ich ging aber tatsächlich in die Küche, habe so Marianne (Herzog) kennengelernt. Daraus entwickelte sich das erste Treffen des späteren Aktionsrats, denn im Unterschied zu mir kannte sie wenigstens andere Frauen.

Eine oder zwei Wochen später gab es das erste Flugblatt, das an der FU nur an Frauen verteilt wurde, und darin riefen wir auf zu einem Treffen. Diese Szene habe ich im „subjektiven faktor“ nachgestellt. Das war irgendwie vollkommen verrückt, weil man das nicht kannte, Flugblätter nur an Frauen zu verteilen.

Zu diesem ersten Treffen kamen ungefähr 100 Leute. Es waren auch ein paar Männer ­dabei, die wir nicht wegschickten. Schon da gründeten wir die ersten fünf Berliner Kinderläden.

Das hatte nichts mit einem antiautoritären Konzept zu tun. Vielmehr wollten wir, ohne Geld zu haben und ohne zunächst auch nur daran zu denken, uns welches vom Senat zu holen, abwechselnd auf die Kinder aufpassen, um damit regelmäßig ein paar freie Stunden Zeit zu bekommen. In der Diskussion ging es auch darum, dass man die Kindergärtnerinnen ansprechen sollte, aber auf eine politische Weise. Denn die hatten damals nur große Gruppen mit zwanzig, dreißig, vierzig Kindern zu betreuen.

Am Ende fragten wir uns, warum Frauen zwar einerseits die Kinder kriegen sollen, andererseits aber nicht mit definieren können, in was für eine Welt sie die Kinder hineingebären und wie die Erziehung überhaupt ablaufen soll. Mit einem Mal waren wir aus den praktischen Problemen heraus und steckten in den ganzen Kernfragen zur Frauenfrage drin.

Schon beim nächsten Treffen gaben wir uns den Namen „Aktionsrat zur Vorbereitung der Befreiung der Frauen“. Ein paar Wochen später haben wir dieses „zur Vorbereitung“ weggelassen. Wir haben nicht etwa angefangen mit dem Ziel, „jetzt werden wir eine Frauenbewegung“. Wir wollten zeigen, dass die Kinderfrage, die Mütterfrage und die Frage der Reproduktion in der Gesellschaft eng zusammenhängen.

Etwa ein Jahr lang trafen wir uns ­immer am Mittwoch im Republikanischen Club. Es war so neu, mit Frauen zu sprechen. Eine Frau sagte: „Wenn ich am Mittwochabend nach Hause komme, fühle ich mich so glücklich, das hält dann vor bis Donnerstag, Freitag, Sonnabend. Am Sonntag wird das Selbstbewusstsein schwächer, und ab Montag freue ich mich nur noch auf den Mittwoch.“

Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, wie aufregend dieser Prozess auch intellektuell war. Wir hatten das große ­Bedürfnis, die Grundlagen der Frauenunterdrückung auch theoretisch zu erfassen.

Niemand hat sich als Opfer gefühlt bei der Analyse von Unterdrückung. Es war eine intellektuelle Anstrengung, die endlich ­Erklärungen lieferte für bestimmte Erfahrungen, und darum förderte sie die Aktivität und die Befriedigung. Darum gab es das Wort „Opfer“ bei uns nicht, das heutzutage den Frauen oft nachträglich aus Unkenntnis der damaligen Situation unter­geschoben wird. Ganz im Gegenteil: Wir waren die aktivsten, neugierigsten und lustigsten Frauen, die das Bedürfnis hatten, ihren eigenen Ton zu singen.

In Berlin standen damals unendlich viele kleine Läden leer und waren superbillig zu haben. Viele Leute zogen weg von Berlin, und obendrein machten die Supermärkte nach und nach die Tante-Emma-­Läden kaputt. Wir dachten, es wäre schön, alle paar Straßen einen Kinderladen zu gründen, um das leidige Zeitproblem für die Frauen auf eine praktische Art anzugehen. Die Männer wurden in die Über­legungen nicht einbezogen, denn sie hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht für die Probleme interessiert, die den Frauen durch die Kinder entstanden waren.

Doch in dem Augenblick, als wir die ersten Kinderläden in Gang gebracht hatten, kamen einige Männer wutschnaubend an und meinten plötzlich: „Das ist auch mein Kind, und ihr könnt nicht einfach irgendetwas gründen!“ Diese Männer nahmen uns die Sache dann relativ schnell aus der Hand und machten daraus den „Zentralrat der Kinderläden“. Das, wozu es sich dann entwickelte, hatten wir nicht gewollt. Doch als Aktionsrat bekamen wir sogar Hausverbot, Begründung: „Wir sind schon weiter als ihr. Denn wir sind schon bei der Emanzipation des Menschen!“

Viele von den Frauen, die jetzt die Kinderläden machten, blieben vom Aktionsrat weg, weil sie so stark mit dem Aufbau beschäftigt waren. Zum Teil waren sie ganz begeistert, dass sich ihre Männer plötzlich für das Kind interessierten, was vorher nicht der Fall gewesen war. Die Kinderläden wurden so zeitintensiv, dass die ursprüngliche Idee, Frauen mehr Zeit für sich selber zu verschaffen, um unter anderem auch über die öffentliche Erziehung nachdenken zu können, ins Leere lief.

Die Frauen waren ja alle Linke, und die meisten kamen aus dem Umkreis von SDS und allgemeiner Studentenbewegung. Doch dieser Aufbau der Kinderläden hat uns praktisch von morgens bis abends und sogar nachts ununterbrochen gefordert.

Die Zahl der Kinderläden stieg sprunghaft an. Am ersten Abend wurden fünf gegründet, und in der nächsten Woche waren es schon fünf mehr. Die Frauen, deren Kinder in die Kinderläden gingen, hatten starke Belastungen auszuhalten. Denn was dort gemacht wurde, entwickelte sich sehr stark zum Psychoanalytischen hin, und an den Folgen gingen nicht nur sehr viele Beziehungen kaputt. Die ursprüngliche Idee, Frauen Zeit zu verschaffen, verkehrte sich sogar in ihr Gegenteil. Der Kinderladen war jetzt ein „politisches Projekt“, das praktisch rund um die Uhr Einsatz forderte.

Bei der Rede, die ich im September 1968 bei der SDS-Delegiertenkonferenz in Frankfurt gehalten habe, ging es genau ­darum, dass wir gesagt haben: „Wenn ihr es im SDS ernst meint“, und davon sind wir ausgegangen, „dann ist es nur logisch, wenn wir das zusammen machen und ihr uns unterstützt“.

Was ankam, war die direkte Ansprache der Frauen. In allen Städten, aus denen SDS-Vertreter nach Frankfurt gekommen waren, gründeten sich Frauengruppen. So gab es schon bald mindestens 30 Frauengruppen. Deswegen konnte dieses berühmte „Schwänzeflugblatt“ auch so einschlagen, als es im Oktober 1968 bei der nächsten SDS-Delegiertenkonferenz in Hannover verteilt wurde.

Ich erinnere mich natürlich an Sigrid Rüger, die damals im SDS schon eine Position innehatte. Aber ich kannte sie gar nicht näher. Durch sie habe ich zum ersten Mal erlebt, was Zivilcourage ist. Denn sie hat sich dafür eingesetzt, dass ich bei der SDS-Delegiertenkonferenz reden konnte, ohne gut zu finden, was ich machte.

Sigrid Rüger ist diejenige, die in Frankfurt die Tomate warf, um eine Diskussion über meine Rede zu erzwingen. Sie war nicht so sehr daran interessiert, was wir als Aktionsrat gemacht haben, aber sie hat durchgesetzt, dass wir reden konnten. Das hat mich wirklich sehr beeindruckt.

Für die Genossen waren wir immer nur der „Nebenwiderspruch“. Das Wort Feminismus war ein Schimpfwort. Dennoch fingen wir an, es für uns wieder zu ent­decken. Wir waren ja wirklich richtig ­abgeschnitten von unserer eigenen Geschichte.

Information:
Der Text ist ein gekürzter Auszug aus: Ute Kätzel: Die 68erinnen (Rowohlt, vergriffen)

 

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