Ja: Nur, weil sie

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62 Jahre nach Erhalt des Wahlrechts, erfreut sich Benoîte Groult, dass sie zum ersten Mal eine Frau wählen kann. Doch die Feministin und Sozialistin wundert sich, mit welcher Gehässigkeit die "kleinen Kameraden" aus den eigenen Reihen der sozialistischen Kandidatin das Leben schwer machen. Für Groult (in Deutschland bekannt geworden als Autorin von 'Salz auf unserer Haut') haben diese Wahlen einen "außerordentlichen symbolischen Wert". Am 6. Mai wissen wir mehr...

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Auch nach fünfzig Jahren Kampf für die Gleichberechtigung von Mann und Frau und mehr als fünfzig Jahre nach Simone de Beauvoirs Buch ‚Das andere Geschlecht‘ war ich so naiv zu glauben, der Frauenfeindlichkeit sei die Luft ausgegangen. Doch allein schon Ségolène Royals Ankündigung ihrer Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen genügte, um sämtliche Sprüche und Klischees einer sexistischen Zampanomentalität neue Blüten treiben zu lassen. Noch bevor Royal überhaupt den Mund auftat und ihr Programm vorstellte, gab es schon vielfach Warnungen von Politikern und giftige, herablassende Äußerungen von Journalisten, darunter nicht selten von Frauen.
Fassungslos hörte ich, dass sich unser früherer sozialistischer Premierminister Monsieur Fabius väterlich um Ségolène Royal sorgte, falls sie gewählt würde: „Wer soll sich denn dann um die Kinder kümmern?“
Ebenfalls väterlich warnte am darauffolgenden Tag auch einer unserer Abgeordneten in den Fernsehnachrichten des zweiten Programms die Kandidatin Ségolène: „Die Präsidentschaftswahlen, Madame Royal, sind kein Schönheitswettbewerb!“ Und schließlich gab einer unserer besten Regisseure der Tageszeitung Libération auf die Frage: „Was hat Sie im Jahr 2006 am meisten zum Lachen gebracht?“ zur Antwort: „Dass Ségolène Royal für die Präsidentschaftswahlen kandidiert!“
Die Auftritte dieser Witzbolde machten deutlich, dass die Frauenfeindlichkeit über Jahrhunderte hinweg nicht nachgelassen hat, dass sie so munter, frisch und brutal geblieben ist wie am ersten Tag, da eine Frau es erstmals gewagt hatte zu sagen: Ich bin ein Mensch und deshalb verlange ich alle Menschenrechte!
Man glaube ja nicht, diese erlesenen Scherze seien ausschließlich auf die französischen Frauen gemünzt. Einer unserer Politiker, Michel Charasse, Ex-Minister für den Staatshaushalt unter François Mitterand, kommentierte einem Journalisten gegenüber die Wahlen in Deutschland, in denen Angela Merkel nur eine knappe Mehrheit bekam: „Haben Sie Mutter Merkel gesehen? ... Ein Tritt in den dicken Hintern!“ Diese „witzige Bemerkung“, in der sich Dummheit und Vulgarität gegenseitig überbieten, zeigt deutlich, dass die politische Macht nach wie vor eine männliche Bastion ist, die es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt, selbst mit den schlimmsten.
Angela Merkel wird als „Muttchen“ hingestellt, und Ségolène Royal mit ihrem jugendlichen Auftreten werde, obwohl sie 52 Jahre alt ist und bereits zwei Ministerposten bekleidet hat, angeblich nie im Leben „die Nerven“ und „den Mumm“ für das Amt haben, nach dem sie da greift. Hat eine Frau die Vierzig überschritten, ist sie keine Frau mehr, sondern irgendein Muttchen, doch zugleich ist sie das ewige kleine Mädchen, das ein paar auf den „Hintern“ verdient!
Nach einem ermutigenden Wahlkampfauftakt ist nun kurz vor der endgültigen Wahl ein beunruhigender Popularitätsverlust für Ségolène Royal zu beobachten. Natürlich bei den Männern, doch auch bei vielen Frauen. Denn seit jeher sind die Frauen darauf geeicht, gegen sich selbst zu denken und sich nicht zu vertrauen.
In Frankreich will man eine Vaterfigur, man ist seit langem daran gewöhnt, dass Anzug und Schlips die Autorität verkörpern. Und Ségolène stehen gleich zwei solcher Väter gegenüber! Der eine, Sarkozy, vertritt eine reichlich phallokratische Haltung im Stil einer aggressiven, fast schon kriegerischen Männlichkeit. Der andere, François Bayrou, gibt sich zwar cooler, fährt jedoch in moralischen Dingen einen harten, erzkatholischen Kurs.
Dagegen ist Ségolène Royal sehr feminin. Ja, schlimmer noch: Sie ist eine „hübsche Frau“. Kurzer Rock, hohe Absätze, ein strahlendes Lächeln, vier Kinder mit François Hollande, ihrem Lebensgefährten seit zwanzig Jahren, doch sie ist nicht verheiratet. Und hier wird es brenzlig. Eine hübsche Frau, die nach der Macht greift, mag ja noch angehen. Aber dass sie auch in der Lage sein soll, sie zu bekommen … das geht zu weit!
In Frankreich, dem Land der französischen Galanterie, zeigen sich die Herren der Schöpfung seit jeher wohlvertraut im Umgang mit den Damen ... Sie legen großen Wert darauf, ihnen die Hand zu küssen – doch ihnen einen Sitz in der Nationalversammlung abzutreten, das kommt nicht in Frage! Sie sind noch immer davon überzeugt, dass es genügt, als Mann geboren zu sein, um alle Qualitäten für einen Chefposten zu haben, selbstverständlich auch für den des Präsidenten der Republik.
Das hat dazu geführt, dass wir Französinnen – vor den Griechinnen – zu den letzten in Europa gehörten, die das Frauenwahlrecht erhielten. Während die deutschen Frauen bereits seit 1918 wählen konnten, gefolgt von den Amerikanerinnen, den Skandinavierinnen etc. Noch heute beträgt der Anteil der Frauen, die in unserem Parlament sitzen, nicht mehr als elf Prozent.
Doch jetzt hat in Frankreich erstmals eine Frau die Chance, Präsidentin der Republik zu werden. Das ist das einzige wirklich Neue in diesem Wahlkampf. Und es lässt vollkommen archaische Reaktionen aus den Tiefen unseres Unterbewusstseins aufsteigen: Grundsätzlich kann eine Frau nichts weiter als Kinder kriegen, sinnlos Geld ausgeben, schwach sein und im Hinblick auf die wahren Wirtschaftsprobleme Inkompetenz zeigen.
Fest steht, dass die alten Denkstrukturen bei uns immer noch nicht verschwunden sind. Auch nicht bei den Frauen, die von den feministisch erkämpften Freiheiten profitieren, ja noch nicht einmal bei so manchen Feministinnen. „Sie werden Royal doch nicht etwa nur wählen, weil sie eine Frau ist?“ hat man mich gefragt. „Das wäre ja Sexismus, nur falschherum!“ Na und, kann ich da nur sagen. Unter einem Sexismus, der richtigherum ist, leiden wir doch schon seit Jahrhunderten!
Nur weil ich eine Frau bin, hatte ich 1945 erst mit 25 Jahren das Recht zu wählen. Nur weil ich eine Frau bin, durfte ich bestimmte Fächer nicht studieren, hatte keinen Zugang zur École Polytechnique und zur Académie Française und durfte nicht genauso viel verdienen wie ein Mann. Eine Frau zu sein hat mir als Mensch geschadet. Es ist wohl an der Zeit, dass nun eine Frau zuallererst uns nützt und dient.
Abgesehen von ihrer üblichen politischen Bedeutung haben diese Wahlen einen außerordentlichen symbolischen Wert. Der Machtantritt einer Madame la Présidente de la République könnte zeigen, daß die Französinnen endlich mündig geworden sind und sich nicht länger als das andere, das zweite Geschlecht betrachten.
Benoîte Groult, EMMA 3/07

Aus dem Französischen von Karin Krieger.

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