Handyverbot: Ja oder Nein?

Karin Prien spricht sich deutlich für ein Handyverbot aus. Foto: imago images
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Würden Sie Ihr zehnjähriges Kind durch ein Bordell laufen lassen? Würden Sie es Hardcore-Pornos oder Filme schauen lassen, in denen Menschen geköpft werden? Würden Sie es bei fremden Leuten spielen lassen?

Nein, all das würden die meisten Eltern nicht erlauben. Sie lassen ihr Kind oft nicht mal allein zur Schule gehen. Aber dort, wo Kinder den größten Gefahren ihres Lebens ausgesetzt sind, da sind viele Eltern blind: Beim Handy und den Social-Media-Kanälen.  

Doch das ändert sich gerade. Zu evident sind Studienergebnisse, zu alarmierend die Beobachtungen von KinderärztInnen, Eltern und LehrerInnen: Konzentrations-, Ess- und Entwicklungsstörungen, Empathielosigkeit, Übergewicht, Leistungsabfall, Depressionen. Zuletzt hatte eine Studie der DAK Aufmerksamkeit erregt. Demnach haben mehr als ein Viertel der Kinder und Jugendlichen schwerwiegende Probleme wegen ihres Medienkonsums – ein drastischer Anstieg binnen nur fünf Jahren.

Die große Mehrheit der Deutschen will das Handyverbot für Kinder und Jugendliche

Die große Mehrheit der Deutschen spricht sich in einer repräsentativen Yougov-Umfrage im Auftrag der Deutsche Presse-Agentur dafür aus, die Handynutzung an Schulen einzuschränken. 50 Prozent sprechen sich gar für ein generelles Verbot auch in der privaten Nutzung bis zum Alter von 16 Jahren aus.

Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) wirbt nun für ein bundesweites Verbot an Grundschulen sowie ein Verbot von Social Media für Kinder (wie zum Beispiel Australien es plant). Dort wird Ende des Jahres ein Gesetz in Kraft treten, das Jugendlichen unter 16 den Zutritt etwa zu TikTok verwehrt. „Wer noch an Regulierung glaubt, der weiß nicht, was an den Schulen los ist“, erklärte Australiens Premier Albanese.

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Doch in Deutschland ist Bildung Ländersache. Der berüchtigte föderale Flickenteppich legt sich aus. Einige Bundesländer haben bereits Handyverbote beschlossen oder angekündigt, Einschränkungen vorzunehmen. So gilt beispielsweise an allen bayerischen Grundschulen ein Handyverbot. Hessen will ab dem kommenden Schuljahr 2025/2026 ein grundsätzliches Verbot an allen Schulen. Das Saarland plant das Verbot an Grundschulen. Doch die Bundesländer Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben sich bislang gegen Handyverbote an Schulen entschieden.

Ob das so bleibt, wird sich zeigen. In Thüringen könnte bald ein Handyverbot ebenfalls an Grundschulen kommen – das hatten zumindest die Koalitionäre von CDU, BSW und SPD in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen.

Parteipolitisch gelten folgende Haltungen: CDU und AfD sprechen sich für ein weitgehendes Handyverbot an Schulen aus. SPD und Grüne plädieren für eine dezentrale Regelung durch die Schulen selber. FDP und Linke stellen sich gegen ein Handy-Verbot. 

Ein gutes Beispiel für die interne politische Uneinigkeit ist Bayern: Während das von Markus Söders CSU geführte Land das Verbot an Grundschulen beschlossen hat, schießt der Landesvater gleichzeitig höchstpersönlich gegen das vorgeschlagene Verbot von Social Media von Prien. Söder, der auf Instagram gern die Republik daran teilhaben lässt, wie er Hamburger und Weißwurst isst und dessen Tochter „Gloriasophieee“ influenct, was der Schmollmund hergibt, hält ein Verbot für „ein bisschen altbacken, altmodisch und aus der Zeit“. Denn Social Media, das ist ja schließlich cool und der Weg zu den WählerInnen von morgen. 

Auch der „Verband Bildung und Erziehung“ (VBE) hält ein generelles Handyverbot für falsch, u.a., weil eine Regulierung „Kosten verursachen würde“, etwa durch „Handygaragen“ oder „analoge Aushänge“. Und was sollen LehrerInnen denn machen, wenn die Klasse U-Bahn fahren will und es nur noch digitale Tickets gibt? Und außerdem könnte ein Verbot ja „den Unmut von Eltern und SchülerInnen provozieren“, heißt es da wörtlich in der Pressemitteilung des VBE. Ähnlich blind für das Problem scheint der „Deutsche Lehrerverband“ zu sein. Entgegen der Meinung der Mehrheit von Eltern, LehrerInnen und Schulleitungen lehnt der Lehrerverband ein Handyverbot ab und plädiert für einen "kritisch-reflektierten Handygebrauch“, so Verbandspräsident Stefan Düll.

Viele europäische Nachbarländer haben längst die Notbremse gezogen

Viele europäische Nachbarländer sind da bereits weiter. Weitreichende Verbote gibt es in den Niederlanden, in Österreich, Frankreich, Italien. Tenor: Der Schaden an den Kindern ist zu groß – wir müssen die Notbremse ziehen.

Und die deutschen Medien? Die Berliner Zeitung, die lokalen Blätter des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) und die FAZ befürworten das Verbot. Letztere deutlich: „Wer glaubt, solchen Phänomenen mit ‚mehr Medienkompetenz, mehr Medienbildung‘ begegnen zu können, ist realitätsfremd und wählt die billigste aller Ausreden. Markus Söder sollte noch einmal darüber nachdenken, wer hier ‚altbacken, altmodisch und aus der Zeit‘ ist“, so Medien-Redakteur Michael Hanfeld. Der Spiegel hingegen hält ein Verbot in einem Leitartikel von Malte Müller-Michaelis für „Blödsinn auf mehreren Ebenen“. Die Süddeutsche Zeitung glaubt (noch?) an Regulierung, die ZEIT gibt sich unentschlossen die einen sagen so, die anderen sagen so.

Bildungsministerin Prien wird das Verbot nicht auf Bundesebene anordnen können. Aber sie sendet Zeichen - und die werden stärker. Vor allem in der Bevölkerung. Schließlich geht es um nichts Geringeres als um die psychische Gesundheit und die Zukunft unserer Kinder.

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