Hannah Höch: Nonsens als Waffe

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Hannah Höch (1889-1978), von einigen ihrer Gefährten aus Dada-Zeiten lange nur als Begleitfigur betrachtet, gehört zu den Künstlern des 20. Jahrhunderts, die noch immer unterbewertet werden. Der Weltruhm, den ihr die Ausstellungen in Kyoto (1974), im Pariser Musée d'Art Moderne und in der Nationalgalerie in Berlin 1976 noch zu Lebzeiten eintrugen, hat sie verwundert und fast staunend hingenommen.

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Diese Frau hatte kein leichtes Leben. Immer wieder entschied sie sich für Trennung, um ungestört arbeiten zu können. Wie alle Künstlergruppen haben auch die Dada-Leute nur im Anfang gemeinsam gearbeitet. Dass Hannah Höch als Frau sich ihre Selbständigkeit erkämpfte, dass sie das tun musste, haben gerade ihre Dada-Kollegen gern übersehen. Die mit Verve proklamierten Grundsätze von der Gleichberechtigung der Geschlechter aus der revolutionären Zeit waren in der Praxis auch den Dadaisten eher unbequem."Ich bin immer um die Dinge herumgegangen" – diesen Satz der Höch zitiert Peter Krieger in der von Götz Adriani herausgegebenen begleitenden Publikation zur Gedächtnisausstellung für Hannah Höch. Sie hat niemals verdammt, und sie war von äußerster Diskretion – in Bezug auf ihr eigenes Leben und gegenüber anderen. Mit Raoul Hausmann gilt Hannah Höch als Erfinder der Fotomontage und Collage.
Wenn Hannah Höch in Berlin Heiligensee in ihrem über und über blühenden Garten stand, in dem das kleine Haus samt Anbau und Veranda voller Kakteen fast verschwand, schien sie selbst ein Stück Natur. Für alles Organische hat sie, die doch in ihren Collagen und Fotomontagen das kritische Prinzip des Schnitts praktizierte, einen sechsten Sinn entwickelt, eine Symbolsprache. Die Kombination der Collage ging mehr und mehr darin auf.

Ihr frühestes Klebebild entstand schon 1907, 'Nitte unterm Baum'; das kleine Mädchen ist ihre jüngste Schwester, an der sie quasi Mutterstelle vertrat. Das Bild ist geklebt aus teils geschnittenen und teils gerissenen farbigen Glanzpapierstückchen, es zeigt alle Kennzeichen des Stils der Jahrhundertwende. Mit einer Art romantischer Ironie, mit dem Sinn für die nicht alltäglichen Zusammenhänge des Unzusammenhängenden war sie mehr und mehr über den dadaistischen Protest ihrer Jugendjahre hinausgewachsen. Dass es einmal so etwas wie eine dadaistische Theorie der Kunst der sechziger und siebziger Jahre geben würde – dafür hatte sie nur ein Kopfschütteln.

Dass der Vater, leitender Angestellter in einer Versicherungsgesellschaft in Gotha, die Tochter schließlich 1912 nach Berlin gehen ließ, war ungewöhnlich. Erst arbeitete Hannah Höch in der Kunstgewerbeschule in Charlottenburg bei Harold Bengen. Nach Kriegsausbruch war sie Helferin in einem Lazarett, sie erwähnt selbst ihre damalige pazifistische Einstellung. Aber noch 1915 geht sie zu Emil Orlik an die Staatliche Lehranstalt des Kunstgewerbemuseums und lässt sich weiter ausbilden. Von 1916 bis 1926 jobbte sie drei Tage in der Woche im Ullstein-Verlag. Hannah Höch hat auch Stickmuster für die Ullstein-Zeitschriften entworfen; eine Serie ihrer frühen Collagen besteht aus Material von Schnittmusterbögen.
Die Photomontage hielt Hannah Höch selbst für ihre wichtigste Leistung in der Dada-Zeit. Die Idee stammte vom Trick der damaligen Regimentsphotographen, die in komplette Gruppen nur noch die Gesichter einfügen mussten. „Die Dadamontage wollte einem gänzlich Unwirklichen den Anschein von etwas Wirklichem geben, das tatsächlich photographiert worden war..."

Das zeitkritische Moment tritt in einer Schilderung von Hannah Höch selbst durchaus in den Hintergrund: „Unser ganzes Ziel bestand darin, Dinge aus der Maschinenwelt und aus der Industrie von der Kunst her zu erfassen... Unsere Collagen bezweckten etwas Ähnliches, denn sie verliehen einem Gegenstand, der nur mit der Hand gefertigt werden konnte, den absoluten Anschein eines Maschinenproduktes. In einer erdachten Komposition vereinigten wir, in einer Anordnung, die keine Maschine bewerkstelligen konnte, Elemente, die Büchern, Zeitungen oder Reklameblättern entnommen waren. Wir nannten die Technik Photomontage, weil dies unsere Aversion enthielt, den Künstler zu spielen. Wir betrachteten uns als Ingenieure, wir gaben vor, zu konstruieren, unsere Arbeit zu ,montieren' (wie ein Schlosser)."
Diese Äußerung verweist auf Kontakte zu den russischen Konstruktivisten, sie verweist aber auch darauf, daß das bürgerliche Klischee des Künstlers angegriffen werden sollte. „Diese turbulente Zeit bildlich einzufangen" war das Ziel, ein Ergebnis war Hannah Hochs berühmte Collage ,'Der Schnitt mit dem Küchenmesser ...' - Da hat sie die Zeit buchstäblich in die Scheren genommen, hat das Disparate, das Widersprüchliche ironisch aufgespießt.
Anti-Kunst? Zeitkritik? Das „Prinzip Collage" hat in sich etwas Alogisches, fast Irrationales, auch wenn es die Wirklichkeit meint. Nonsens wurde zur Waffe. Mit den Jahren aber hat Hannah Höch als Malerin in ihren Bildern eine Raumauffassung entwickelt, die vor allem in den dreißiger und vierziger Jahren, in denen sie sich nach Heiligensee zurückgezogen hatte, in einen kritischen Symbolismus führte.
In vielen Bildern spürt man so etwas wie Flucht, wird man mit Visionen von Untergang, Sturm und Einsamkeit konfrontiert, man ahnt die Einengung, die das Leben einer „entarteten" und politisch verdächtigen Künstlerin bestimmt. Damals wandelte sich die kritische Haltung ihrer jungen Jahre mehr und mehr zur Vorstellung fast lyrisch wirkender Zusammenhänge. Die Bilder vermitteln so etwas wie existenzielle Poesie.
Das Lebenswerk von Hannah Höch entstand, von dieser historisch politischen Situation abgesehen, im Verlauf einer schwierigen Emanzipation. Die Künstlerin verstand sich selbst nie als Feministin, sie wurde auch keine, als sie erfahren musste, dass die Forderungen nach Gleichheit von Mann und Frau von den Dadaisten selber schon ihr gegenüber nicht galten.
Ihre Freundschaft mit Kurt Schwitters - Hannah Höch hat zwei Räume in seinem berühmten „MERZbau" in Hannover gestaltet - war da eher eine Ausnahme. Die beiden reisten auch gemeinsam zu Auftritten und Aktionen, Hannah Höch entwarf für die „Anti-Revue" und die „Kabarett-Bühne II" (1924/25) Szene und Kostüme. Sonst aber ließen sich die Dadaisten allzu gerne von „dem tüchtigen Mädchen" versorgen, ließen sich von ihr Brote schmieren und Kaffee kochen. Als Richard Hülsenbeck bei einem späten Wiedersehen die Höch daran erinnerte, sagte sie sehr kühl „Unverdient".
„Ich brauche mehr Freiheit", sagte sie einmal in einem Gespräch mit Eduard Rodili. „Wenn ich auch einen weniger freien Stil als den meinen zu würdigen weiß, habe ich mir selbst immer das Höchstmaß von Freiheit zugestanden. Es ist mir zwar oft so vorgekommen, als ob die Konzentration eines Künstlers auf sich selbst und auf einen besonderen, nur ihm zugehörigen Stil wohl leichter zu Erfolg und Popularität führt. Aber mir liegt mehr daran, meine Lebens- und Arbeitsform immer weiter zu entfalten, zu ändern und zu bereichern, wenn mir auch diese nie endende Entwicklung manch leicht zu erringenden Erfolg unmöglich machte."
Sie wollte, schrieb sie schon früher (1929) zu ihrer ersten Einzelausstellung in Rotterdam, „am liebsten der Welt demonstrieren, wie sie eine Biene, und morgen, wie der Mond sie sieht, und dann, wie viele andere Geschöpfe sie sehen mögen. Ich bin aber ein Mensch, kann kraft meiner Phantasie - wie gebunden auch - Brücke sein. Möchte das unmöglich scheinende möglich ahnen lassen. Möchte eine reichere Welt erleben helfen. Um dieser, uns bekannten, dann gütiger verbunden sein zu können."
Nach der Trennung von Hausmann (1922) wanderte Hannah Höch von München aus zu Fuß nach Venedig und weiter nach Rom. Eine späte Lebensgemeinschaft mit der holländischen Schriftstellerin Til Brugman löste sie nach einigen Jahren, eine 1938 eingegangene Ehe mit dem sehr viel jüngeren Pianisten Kurt Matthies wurde schließlich 1944 geschieden.
Den Zweiten Weltkrieg hat die Höch in Heiligensee tief einsam verlebt; manchmal habe sie monatelang kein Wort gesprochen. Die Arbeiten der nun in alle Welt verstreuten Künstlerfreunde, Dada-Dokumente, Briefe und Tagebücher vergrub sie nachts in zwei großen Kisten in ihrem Garten, weil sie Haussuchungen fürchten musste. Fast alle Luftangriffe auf Berlin hat sie allein im Freien verbracht. Noch 1966 lebte sie finanziell geradezu kümmerlich, in diesem Jahr verkaufte sie für nur 1430 Mark Arbeiten von sich, die Stadt Berlin zahlte einen „monatlichen Ehrensold" von 300 Mark. Erst zu ihrem 80. Geburtstag erhielt das brüchige Haus einen kleinen Anbau, erst von da an hatte sie es ein wenig bequemer.
Mit der für sie so charakteristischen Mischung aus Wärme und kritischer Distanz - zur Welt, zum Leben, zu ihrer eigenen Arbeit - blieb sie für alles offen. Immer wandte sie sich ihrem Gegenüber ganz zu - ein freier Mensch, sich selbst nicht wichtig nehmend.
In ihrer Arbeit bekannte sie sich bis zuletzt zur Verfremdung, zu einer Verwandlung auf Distanz, wozu auch das Spielerische, das Umkehrbare, das aller Würde Abholde gehört, das in den Dada-Jahren ihre künstlerische Umwertung charakterisierte. Hannah Höch hat in der Collage auch die Poesie des Unscheinbaren entdeckt, sie hat, durch Umkehrung und Aufhebung der Perspektive als Mittel ironischer Verfremdung, auch eine besondere Unabhängigkeit von visuellen Zwängen realisiert. Protest und Toleranz waren für sie untrennbar.
Hannah Höch war eine sehr tapfere Frau. Sie ist keiner Schwierigkeit ausgewichen. Sie hat, als ihr Leben zu Ende ging, auch Klinik und Intensivtherapie verweigert. In der Kunst, in ihrer Existenz als Künstlerin, hat sie sich - mit sicherem Instinkt - niemals auf Gewaltakte eingelassen oder auf Programme festgelegt. Wenn die von ihr geretteten Dokumente, die Briefe, wenn ihre Tagebücher einmal publiziert werden, dürfte die Klugheit, dürfte das Wesen dieser Frau, die zu den Pionierinnen unseres Jahrhunderts gehört, noch über ihr Werk hinaus deutlich werden.

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