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Vier Schwänze wackeln mit dem Hund

hart aber fair
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Selbstverständlich, denken wir, wir leben ja in der Epoche des Megatrends femal shift, selbstverständlich beanspruchen und genießen in politischen und wirtschaftlichen Gremien und in öffentlichen Gesprächsrunden Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleiche Rederechte. Man und frau machen in etwa gleich lange und gleich häufige Redebeiträge, erhalten gleich häufig das Wort erteilt, werden mit gleichem Respekt um ihre und seine Meinungen, Erkenntnisse und Bewertungen gebeten.

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Was aber ist da im Ersten Deutschen Fernsehen am 13. Januar in der politischen Talk-Show hartaberfair passiert? „Die Sendung sollte in ‚hart aber unfair‘ umbenannt werden!“ oder „Eine rabiat frauenfeindliche öffentliche Flegelei!“ oder „Doof, aber trotzdem hart“. So und ähnlich lautete der Tenor zahlreicher verärgerter Publikumsurteile über die Talk-Sendung von Moderator Frank Plasberg, die unter dem bezeichnenden Titel ausgestrahlt wurde: Streiten und Vertagen – Ist Merkels Murks-Koalition noch zu retten?

Lange vor der Einführung von gender studies und sehr lange vor gender mainstreaming untersuchten wir jungen SprachwissenschaftlerInnen in den siebziger und achtziger Jahren auch solche „konversationellen Ereignisse“ wie TV-Gespräche. Damals etablierten die beiden Professorinnen Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz an der Universität Konstanz die deutsche „feministische Linguistik“. Was in konversationsanalytischen Forschungsarbeiten über die unterschiedlichsten privaten und institutionalisierten – juristische, therapeutische, medizinische, wirtschaftliche, politische und eben auch über journalistische – Kommunikationssituationen zu dieser Zeit herausgefunden und beschrieben wurde, erregte damals zunächst enormes Aufsehen. Sodann löste es heftige Diskurse und weitere Forschung über „männliches versus weibliches Sprachverhalten“ aus und schuf schließlich ein Bewusstsein für sprachliche Diskriminierung.

Was ist, 30 Jahre später, aus diesen Erkenntnissen geworden? Im ersten Monat von Zwanzigzehn treffen sich zur hartaberfair-Talkrunde – unter dem erwähnten, semantisch vorstrukturierenden Titel – dieselben sechs Gäste, die schon am 28. September 2009, dem Tag nach der Bundestagswahl, zusammen eingeladen gewesen waren, und die jetzt, hundert Tage nach der Wahl, konfrontiert mit ihren damals geäußerten Hoffnungen und Erwartungen, erste Urteile nicht abgeben, sondern – wie der Sendungstitel nahe legt – eher fällen sollten über die aktuelle Politik von „Merkels Murks-Koalition“.

Neben dem langjährigen ehemaligen Moderator der ARD-Sendung Monitor, Klaus Bednarz; der Publizistin und EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer; dem Kabarettisten und inzwischen auch Theaterintendanten, Dieter Hallervorden, waren dies der emeritierte Historiker und Publizist Arnulf Baring, der Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges und die gerade volljährige Schülerin Miriam Böhm, ihres Zeichens Erstwählerin.

Tagsdarauf freut man sich im Ersten Deutschen Fernsehen, wie viele Menschen „die kontroverse Diskussion“ gesehen haben, denn „die erste hartaberfair-Sendung nach der Winterpause beschert Moderator Frank Plasberg eine beachtliche Quote: 4,23 Millionen Zuschauer verfolgten den Schlagabtausch, das entspricht einem Marktanteil von 16,5%“. Nach in der Vergangenheit stetig schwächer gewordenem Publikumsinteresse erzielte das Format an diesem Abend „seine insgesamt zweitbeste Quote“.

Zufrieden zieht Frank Plasberg, der bezüglich seines Moderationsstils (im FAZ-Interview) schon früher freimütig bekannte: „Was mir fehlt – und da bin ich womöglich manchmal unfair – ist ein Gen für Milde“, folgendes Fazit: „Unsere Gäste haben mächtig Dampf abgelassen über Merkels Koalition und damit offenbar den Nerv der Zuschauer und Wähler getroffen.“

Den Nerv getroffen, aber auf andere Weise, hat die Sendung auch bei Zuschauerinnen und Wählerinnen. Schaudernd äußert eine schweizerische Politikerin, es sei für sie gespenstisch gewesen, wie da im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen, unter einer frére et cochon spielenden Moderation, enthemmt pöbelnd der dringende Wunsch nach Führung artikuliert worden sei. Wäre dieser mediale „Schlagabtausch“ für mich nicht als ein signifikant normverletzendes konversationelles Ereignis ein Untersuchungsgegenstand, als TV-Konsumentin hätte ich diese 75 Minuten mit ihrem brachialen Kampf ums Rederecht, ihrer feixenden Markigkeit, ihren abgestandenen Altherrenschlüpfrigkeiten, reaktionären und sexistischen Entgleisungen wohl nicht bis zuende verfolgt.

Besonders arg wurde es allerdings, als das Recht auf Ausübung von Moderationsmacht gebeugt wurde, der Moderator mit bevorzugten Talk-Gästen kungelte, zum Nachteil anderer Gäste.

In dieser hartaberfair-Sendung erleben wir Plasberg als einen Moderator, der seine Talk-Gäste Miriam Böhm und Klaus Bednarz weitgehend übergeht und ausgrenzt, der aber Dieter Hallervorden für Entgleisungen („Miriam ist bereits an mich vergeben!“ – „Geht’s in dieser Sendung ums Kinderderkriegen?“ – „Minuswachstum ist wie negative Erektion“) ungeschoren lässt. Er rügt ihn ebenso wenig wie die beiden rücksichtslosesten und unfairsten Diskutanten der Runde, Arnulf Baring und Hans-Ulrich Jörges. Mit diesen macht der Moderator sich gemein, feixt und witzelt mit ihnen, statt sie zur Ordnung zu rufen und zu zügeln.

In vollem Ernst unterbricht Baring die Gesprächspartnerin, als sie gerade wohlinformiert und absolut korrekt (wie auch der sendungseigene Faktencheck im Nachhinein bestätigen muss) über die im internationalen Vergleich skandalöse und rasant angestiegene Kinderarmut in Deutschland spricht und dringend notwendige (steuer-) politische Abhilfemaßnahmen vorschlägt. Da interveniert Baring mit der atemberaubenden Auffassung, Schwarzer dürfe gar nicht mitreden, weil sie keine eigenen Kinder habe („Ja, Sie haben keine Kinder, Frau Schwarzer, da sind Sie nicht kompetent – nein wirklich nicht – wer keine Kinder erzogen hat, darf den Mund in diesem Punkt nicht aufmachen, das können Sie nicht!“).

Als die Publizistin auflacht, überlappend fortfährt und darum ringt, ihren Redebeitrag zuende führen zu können („Sie sind reizend, Herr Baring, ich liebe Sie für diese Vergleiche, Sie geben mir solche Steilvorlagen. Haben Sie denn eins geboren? Und gewickelt und gefüttert?“), wird sie nicht nur von Arnulf Baring ständig weiter unterbrochen („Ich habe vier Kinder“ … „da lass ich mir von Ihnen nicht am Zeuge flicken“ … „da seien Sie mal ruhig vorsichtig!“ … „Sie haben doch gar keine Ahnung!“ … „Sie lesen wohl Ihre eigene Zeitung nicht richtig!“ … „Die reine Lüge, was Sie da sagen, unwahr!“), sondern auch von Dieter Hallervorden („Geht’s in dieser Sendung ums Kinderkriegen?“ … „Also da frag ich mich, wieso wir anderen überhaupt eingeladen worden sind.“), Herrn Jörges („Ja, klar!“) und schließlich vom Moderator selbst („Nicht jetzt wieder sticheln, Frau Schwarzer“). Durch Themenwechsel und Filmeinspielung beendet der Moderator schließlich das wüste Durcheinander – zum Nachteil der Sprecherin („Können Sie, Frau Schwarzer, wir haben hier gesprochen, Frau Schwarzer, über verfehlte Klientelpolitik …“).

Der Gesprächsteilnehmerin Alice Schwarzer, die in punkto Eloquenz den dominanten Mitdiskutanten durchaus ebenbürtig ist, gelingen in dieser Runde immerhin 24 Redebeiträge, die fast ausnahmslos – wie hier – massiv gestört werden. Mehrfach versucht Schwarzer vergeblich zu Wort zu kommen, in den meisten Fällen verhindert das Hans-Ulrich Jörges, indem er ganz einfach die Stimme hebt, lauter, schneller, gestenreicher und vehementer (zweimal bis zur Heiserkeit) durchredet. Dreimal sogar indem er die Gesprächspartnerin anfasst, ihren Unterarm herunter auf die Tischplatte drückt und so unmissverständlich deutlich macht, dass jetzt gerade ihre Wortmeldung, wenn es nach ihm geht, unerwünscht ist. Und es geht nach ihm, denn der Moderator greift nicht ein.

Mit brachialem Behauptungswillen setzt sich der Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges durch, während er der Bundeskanzlerin Angela Merkel mangelnde Durchsetzungskraft anlastet („Kann sie überhaupt führen, in Machtfragen sich durchsetzen, Rivalen ausschalten?“ – „Sie lässt sich bevormunden“ – „Sie hat noch nie durchgezogen“). Er beansprucht die bei weitem längste Redezeit an diesem Abend und macht mit Abstand die meisten Redebeiträge: Bei nur drei offiziellen Worterteilungen bestreitet Jörges in 35 Redebeiträgen eine mehr als drei mal solange Redezeit wie Miriam Böhm (13 Redebeiträge) und Dieter Hallervorden (14), er redet mehr als doppelt so lang wie Klaus Bednarz (13) und spricht jeweils ungefähr ein Drittel länger als Alice Schwarzer und Arnulf Baring.

Ein einziges Mal nur nimmt Moderator Frank Plasberg gegenüber dem solcherart dominant agierenden Stern-Journalisten seine Moderationsverpflichtung massiv intervenierend wahr, und zwar „als Anwalt von Herrn Bednarz“: Er stellt sich – im Wortsinn, auch physisch, – gegen einen abgefeimten eristischen Kunstgriff Hans-Ulrich Jörges’, um eine Guido Westerwelle-Schmähung bezüglich dessen Homosexualität zu entkräften, die der Stern-Mann indirekt und völlig zu Unrecht Klaus Bednarz unterstellt hatte.

So sehr ereifert sich der Talk-Gast Jörges, dass der Moderator nach mehreren erfolglosen Anläufen genötigt ist, sein Pult zu verlassen und sich direkt vor seinem Gast aufzubauen, um zu ihm durchzudringen: „Das ist Schwachsinn!“ Der allerdings schert sich seinerseits um die Beiträge des Moderators so wenig wie um die der anderen GesprächsteilnehmerInnen, er unterbricht alle, auch Frank Plasberg, der ihn mitunter nur noch durch die Ankündigung einer Filmeinspielung stoppen kann.

In nahezu allen Fällen ergreift der Stern-Mann Hans-Ulrich Jörges durch Unterbrechung der Redebeiträge anderer Gäste das Wort, häufig macht er an nicht übergaberelevanten Stellen Einwürfe, mehrfach stört er durch insistierend wiederholte Unterbrechungsversuche, die nach Überlappung nicht gleich gelingen oder abgewehrt werden.

Am häufigsten unterbricht er Miriam Böhm und Alice Schwarzer, die beiden weiblichen Gäste. Nicht ein einziges Mal greift Moderator Plasberg zugunsten dieser beiden mäßigend ein.

Für den in dieser Talk-Runde für die EMMA-Herausgeberin generierten Gesprächsstatus bezeichnend ist, dass eine Moderatoren-Frage, die an sie gerichtet worden war, wieder einmal, wie schon zuvor wiederholt, an ihrer Stelle von Jörges beantwortet wurde. Schwarzers kurze nachgereichte Antwort, als sie doch endlich zu Wort kommt, wird von sechs (!) Einwürfen gestört: drei von Baring, zwei von Jörges und einem – semantisch aufschlussreichen – von Hallervorden. Die Sequenz ist repräsentativ als pars pro toto:

Schwarzer: „Wie war die Frage, lieber Herr Plasberg?“ Plasberg: „Die Frage war tatsächlich, ob der Vergleich mit dem Kohl’schen Aussitzhandwerk berechtigt ist.“ Schwarzer: „Nein, ich finde der Vergleich mit Helmut Kohl hinkt total. Wir haben …“ Baring: „Nee, der hinkt nicht!“ Schwarzer. „Wir haben, – Moment, jetzt rede ich …“ Hallervorden: „Das kann dauern!“ Schwarzer: „Wir haben, – nicht so lang wie bei den Herren –, wir reden hier von einem Führungsbegriff …“ Baring: „Das ist doch etwas vollkommen anderes!“ Jörges: „(überlappend, unverständlich) heißt nicht Führung!“ Schwarzer: „(überlappend, unverständlich) kann sie mitreißen?“ Baring: „Das kann keiner von denen allen!“ Jörges: „Sie lässt sich bevormunden!“

Statt Schwarzers Rederecht zu sichern, statt ihr endlich die erforderliche Zeit und den Raum für eine Antwort auf seine Frage zu gewährleisten, entzieht der Moderator ihr jetzt das Wort („Dazu sag ich Ihnen gleich noch was, Frau Schwarzer, jetzt sind wir wieder bei unseren Zuschauern!“). Und es folgt eine der in dieser Sendung üblichen, die eigentliche Talk-Runde unterbrechenden Verlesung von per E-Mail eingegangenen Publikumsmeinungen.

Frank Plasberg demontiert den Gesprächsstatus seines weiblichen Gastes Alice Schwarzer nicht nur indem er ihr fair moderierende, unterstützende Interventionen verweigert, sondern auch, indem er selbst unter Ausbeutung seiner Moderatorenrolle der Gesprächsteilnehmerin systematisch das Rederecht beschneidet, unverhältnismäßig selten das Wort an sie vergibt und sie – und nur sie! – strategisch mithilfe semantischer Uneindeutigkeit, abgefedert durch Herumalbern und Witzelei unnötigerweise rügt und wie ein Schulmädchen maßregelt („Ruhe bitte, Frau Schwarzer, es geht um unsere Zuschauer!“; „Beantworten Sie erst meine Frage!“) ja, sie sogar lächerlich macht und diskreditiert.

Von der die Zuschauer-Mails vorlesenden hartaberfair-Mitarbeiterin wird eine Fernsehzuschauerin mit der Ansicht zitiert, sie halte Angela Merkels präsidialen Führungsstil, ihr Sich-Heraushalten aus tagespolitischen Querelen für einen weiblichen Stil, da Frauen nicht zu Schaukämpfen neigten. An dieser Stelle lässt Frank Plasberg demonstrativ ein Prusten hören. „Ich musste gerade niesen“, feixt er und grinst maliziös, als seine Mitarbeiterin fragt: „Warum lachst Du?“

Mit dieser szenischen Einlage werden vom Moderator Plasberg süffisant die sattsam bekannten Klischees über die angebliche verbale Dominanz von Alice Schwarzer aufgerufen, und der Coup gelingt – auch wenn diese Klischees der realen Gesprächssituation in dieser TV-Runde mitnichten entsprechen. Das Saalpublikum greift dienstfertig und genau wie die Herren Mitdiskutanten komplizenhaft schmunzelnd den suggerierten wohlfeilen Seitenhieb des Moderators gegen die sich in dieser Runde vergeblich abmühende Alice Schwarzer auf.
Denn sie müht sich wahrhaft, kämpft um faire Gleichbehandlung, pocht auf ihr Recht, angemessen zu Wort zu kommen. Sie blickt den Moderator mehrfach auffordernd an, protestiert, wenn sie übergangen oder unterbrochen wird („Moment, Herr Jörges, ich möchte auch mal …“, „Da kommt man nicht dazu! Hallo!“, „Das ist jetzt nicht wahr!“, „Hallo!“, „Kuckuck!“, „Moment, Moment!“).

Schließlich, nachdem Frank Plasberg allzu lange durch Verzicht auf moderierende Intervention zugelassen hat, dass nicht nur Baring und Jörges sie systematisch unterbrechen, dass sich der Stern-Mann sogar über Worterteilungen an sie hinwegsetzt und wiederholt an ihrer Stelle das Wort ergreift, wendet sie sich auf der Metaebene direkt an den Moderator. Sie versucht es mit Ironie: „Herr Jörges ist im Prinzip klüger als ich, vielleicht sollte er antworten! Er ist einfach – er weiß alles!“ und erntet anstatt der eingeklagten überfälligen Unterstützung vom Moderator Spott: „Er is ’n Mann, Frau Schwarzer!“

Hier wird dem Saal- und dem TV-Publikum von Frank Plasberg – hart, aber unfair – immer locker und jovial aus den uralten, maroden Schläuchen der trübe, allzu bekannte alte Wein serviert. In dieser TV-Sendung ist für den eklatanten Niveauverlust eine Moderation verantwortlich, die systematisch in manipulativer Weise machtabstinent bleibt, wo es geboten wäre, zu intervenieren, aber rügt und eingreift, wo kein Bedarf besteht; die mit gezielt platziertem Unernst, scherzend und flachsend Partei nimmt; die marginalisiert, lächerlich macht und systematisch konversationellen Misserfolg herstellt auf der einen Seite, koaliert, kungelt und fraternisiert auf der anderen.

Schon die frühen Analysen von strukturell sexistischen Kommunikationssituationen zeigten bereits vor Jahrzehnten, dass konversationeller Erfolg nicht möglich ist, wenn in einer solchen Konstellation Moderationsmacht systematisch ausgebeutet und Gesprächsstatus für die Teilnehmenden asymmetrisch hergestellt wird.

Was die rein zahlenmäßige Asymmetrie der Teilnehmenden anbelangt – ein Moderator, vier Teilnehmer, zwei Teilnehmerinnen –, äußerte sich Moderator Plasberg auch schon neidvoll über weibliche Kolleginnen: „Illner und Christiansen haben es insofern viel leichter, weil sie – ohne dass es negativ auffällt – reine Männerrunden machen können, weil sie als Frau dazwischen sitzen.“

Aus der sprachwissenschaftlichen Humorforschung sind Witzhierarchien bekannt, es wird von oben nach unten gescherzt, und die so genannten in-group-identity-marker, die in heterogenen Settings als Ausschlussmechanismen fungieren. Hier in der hartaberfair-Sendung erfüllen diese Funktionen so genannte Herrenwitze (Hallervordens „negative Erektion“), Zweideutiges und Anzüglichkeiten, die nicht im Sportumkleideraum von pubertierenden Schülern, sondern öffentlich, vor einem Millionenpublikum im Fernsehen dargeboten werden.
Ausgerechnet der faire, wohltuend höfliche Klaus Bednarz – ihm allein gelang es, im Abschlussspielchen der Schlussrunde elegant die Antwort zu verweigern – wird unbeabsichtigt zum Ausgangspunkt jenes Wortspiels von Hans-Ulrich Jörges, das während der Sendung als anzüglicher Witz zum running gag wurde. Bednarz hielt sich im Verlauf des Abends zunehmend zurück und ließ sich nicht verleiten, in den Pöbel-Duktus seiner Mitdiskutanten einzustimmen. Er findet, „dass im Verhältnis FDP zur Kanzlerin im Grunde der Schwanz mit dem Hund wackelt und nicht umgekehrt“. Jörges setzt mit dem Einwurf: „Zwei Schwänze wackeln mit dem Hund!“ die Verwendung dieser Redensart auf ein anderes Gleis.

Moderator Plasberg kommt, als er eine Filmeinspielung mit Westerwelle und Seehofer ankündigen möchte, ins Stolpern.

Plasberg: „Herr Jörges hatte eben das Beispiel genannt, dass da zwei Schwänze mit dem Hund wackeln, und da ist viel Platz, vielleicht für ein Machtwort. Schauen wir uns doch mal an, wieviel Spaß eigentlich diese beiden haben, die für die Schwänze stehen. (Gelächter) Das Wortspiel geht völlig in die Irre, Herr Jörges!“ (Gelächter bei Jörges und im Saal). Jörges: „Hören wir auf damit!“ Plasberg: „Hören wir damit auf. Herr Jörges, Sie haben damit angefangen und das ist einfach ne Sackgasse.“

Aber es ging weiter in der Sackgasse, so funktioniert der Ausschlussmechanismus. Die Herren fühlen sich ermuntert, im weiteren Verlauf der Sendung so fortzufahren, als sei man unter sich.

Jörges: „… Wir haben von zwei Schwänzen geredet, der eine wird eingekniffen werden, das sage ich Ihnen jetzt schon …“ Plasberg: „Fangen Sie wieder an, Herr Jörges!“ Jörges: „Zum letzten Mal, weil das halt so nahe liegt …“

Später konnte es auch Baring sich nicht verkneifen. Auch er griff den anzüglichen running gag auf: „… Die beiden Schwänze, Herr Jörges, (Gelächter) wir werden die Schwänze heute nicht loswerden …“

Am Ende dieser Sendung zeigte die Kamera das fassungslose Gesicht einer jungen Gymnasiastin, deren Wahl in dem Abschlussspielchen „Mit wem aus dieser Runde würden Sie sich jetzt ein Doppelzimmer teilen?“ laut und deutlich auf Alice Schwarzer, die zweite weibliche Anwesende in der Runde gefallen war, und die jetzt – wie das gesamte Publikum auch – aus einem der Großvätermünder (Dieter Hallervorden) zu hören bekam: „Miriam ist bereits an mich vergeben.“ Großes Gelächter im Saal, Moderator Plasberg spricht zufrieden den Abspann.

Alleinerziehende Mütter, Kinderarmut, Ehegattensplitting, wen interessieren schon diese „Frauenthemen“, wo wir jetzt ganz andere Sorgen haben! Wenn in Zeiten der Krise ein solcher Altherren-Talk als „Schlagabtausch“ mit populistischen Themen wieder Quote macht; wenn selbst weniger und kürzere Redebeiträge wieder als zu lang („Das kann dauern!“) gehört werden, weil frau – besonders wenn kinderlos – eigentlich am besten „den Mund nicht aufmachen“ sollte; wenn längst überwunden geglaubte sexistische Kommunikationsmuster wieder salonfähig werden – ja, dann sollte die „postfeministische, emanzipierte Moderne“ zumindest alarmiert sein.

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