Nuhr in EMMA

Foto: WDR/Jutta Hasshoff-Nuhr
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Liebe Leserinnen und Leserinnen,

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ich betrachte es als besondere Ehre, mich als Mann in „Emma“ äußern zu dürfen, einem Magazin, das völlig zu recht und bewusst nicht „Heinz“ oder „Jürgen“ heißt. Allerdings schreibe ich hier nicht in meiner Funktion als Mann.

Im Moment wird ja viel über Identität geredet. Bei den Rechten über das „Identitäre“, also die volksgenetische Identität, die aufgrund geistiger Inzucht zum unkontrollierten Absingen der ersten Strophe des Deutschlandliedes führt. Bei den Linken über „Identitäten“, die im Wesentlichen die Forderung unterstreichen: Der alte, weiße Mann muss weg! Da ich selbst inzwischen nicht mehr ganz jung bin, hellhäutig und biologisch maskulin, löst beides bei mir gruselige Gefühle aus.

In der Flüchtlingskrise habe ich gelernt, dass man Menschen nicht als Identitäten, sondern individuell beurteilen muss. Was damals am Silvesterabend auf der Kölner Domplatte passiert ist, so sagte man mir, sei kein Flüchtlingsproblem, das man auf Migranten generell projizieren könne, also mithin auch nicht auf ihre Identitäten als Nordafrikaner, Muslime oder Araber. Nein, all dies sei Fehlverhalten Einzelner gewesen. Gut. Gebongt. Verstanden.

Trotzdem glaube ich, dass Verhalten durchaus auch von der Kultur und der Realität geprägt wird, in der man sozialisiert wird. Und dass es prägt, wenn diese Kultur massenhaft und bewusst sexuelle Gewalt erzeugt. Und dass man ein kulturelles Kollektiv, das sexuelle Diver­sität mit dem Tode bedroht, kritisieren darf.

Ich bin eine Frauen- und Fremdenfreundin

Heute gilt Kritik am fundamentalistischen Islam als rechts, warum auch immer, wird doch in islamischen Staaten häufig gerade das unterdrückt, was Linken wichtig ist. Beispielsweise Gleichberechtigung oder Diversität der Lebensentwürfe.

Ich selbst bin eine Frauen- und Fremdenfreundin, weiß aber, dass beides zusammen manchmal schwierig ist. Was ist, wenn ein Fremder frauenfeindlich ist? Dann schmilzt der ideologische Kern, und Frauenfreunde gelten plötzlich als Fremdenfeinde, Fremdenfreunde als Frauenfeinde. So wird man als Frauenrechtlerin ganz schnell Rassistin.

Hier gibt es noch reichlich identitären Klärungsbedarf. Leider will mancher Fremde, der aus religiösen Gründen, also unbegründet glaubt, der Schöpfer hätte ihm die Frauen untertan gemacht, an klärenden Gesprächen über Identitäten gar nicht teilnehmen. Manchmal schicken sie ihre Frauen vor, die – muslimisch einwandfrei vermummt – von ihrem Glück erzählen, mit Gottes Liebe und seiner Kleiderordnung leben zu dürfen! In den seltensten Fällen schwärmen diese Damen mit Kopftuch dann von sexueller Diversität, werden dabei aber begeistert von Frauen unterstützt, deren diverses Denken ansonsten eher unislamisch erscheint. Alles Einzelfälle natürlich. Man darf hier kein Muster erkennen, sonst gibt es Ärger.

Auch ich möchte nicht auf eine Identität reduziert werden, schon gar nicht auf meine Identität als Mann. Ich fühle mich als meine eigene Identität, also als identisch mit mir als Einzelfall. Ich bin die einzige männliche Person, die ich einigermaßen gut kenne, die häufiger an Frauenabenden teilnehmen darf, und ich bin stolz darauf!

Ich weiß auch nicht, warum ich keine Frau geworden bin

Was Frauen oft unterschätzen, ist: Wir Männer haben oft weniger Solidarität mit unseren Artgenossen, als manche Damen glauben. Ich fühle mich weder mit rüpelnden Sangria-aus-dem-Eimer-­Trin­kern noch mit Internet-Trollen oder wutgestörten Systemfeinden solidarisch, nur weil sie über ein längliches Geschlechtsteil verfügen, das in wesent­lichen Bestandteilen mit meinem übereinstimmt.

Was ich sagen will, ist: Ich weiß auch nicht, warum ich keine Frau geworden bin. Wahrscheinlich bin ich lesbisch. Aber auch daraus möchte ich mir ungern eine Identität basteln. Ich brauche keine. Ich schreibe hier als „ich“, als frauenliebender Mann im Körper eines Ironikers, der offenbar alles ein bisschen zu wenig ernst nimmt.

Das bringt mir häufig, wie auch der Herausgeberin dieser Zeitschrift, einigen Ärger ein. Da kann man nichts machen. Ich nehme das mit weiblicher Gelassenheit hin. Das habe ich von Alice Schwarzer gelernt, die im Geschlechterkampf immer mannhaft gekämpft hat! Sie ist für mich als Frau eine ­Inspiration! Danke!

Dieter Nuhr

 

Dieter Nuhr ist einer der erfolgreichsten Kabarettisten Deutschlands. Er ist als Kabarettist solo auf Tournee und im TV: „Nuhr im Ersten“.

 

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Lässt sich Dieter Nuhr mundtot machen?

Dieter Nuhr nimmt Stellung.
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Den ZuschauerInnen, die am Samstag zum Auftritt von Dieter Nuhr wollten, bot sich vor der Osnabrückhalle ein in Deutschland bis dato nie gesehenes Bild: Rund 30 Männer und Jungen – Frauen waren keine dabei - hatten sich mit Plakaten vor der Halle postiert und forderten den Kabarettisten sinngemäß auf, den Mund zu halten. „Stoppt den Hassprediger!“ stand dort und: „Politische Reden gehören in den Landtag und nicht auf die Bühne!“

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Angeführt wurden die Demonstranten von Erhat Toka. Dem Deutschen mit den türkischen Wurzeln und dem langen Bart wird laut Neue Osnabrücker Zeitung eine „Nähe zu islamischen Hardlinern“ nachgesagt. Der Besitzer einer Kampfsportschule und „bekennender Fan“ des islamistischen Präsidenten Erdogan hat Dieter Nuhr angezeigt: wegen „Beleidigung von Religionsgemeinschaften“. Der Stein des Anstoßes: Ein altes Youtube-Video, in dem Nuhr Sätze sagte wie: „Wüsste man nicht, dass der Koran das Wort Gottes ist, könnte man glauben, ein Mann habe ihn geschrieben“. Oder: „Im Islam ist die Frau zwar frei, aber in erster Linie davon, alles entscheiden zu müssen.“

Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Islamisten versuchen würden, den quasi einzigen deutschen Kabarettisten einzuschüchtern, der es überhaupt wagt, den islamistischen Fundamentalismus in seinen Sendungen zum Thema zu machen. Und offenbar schien Herrn Toka die Zeit jetzt, da im Irak der IS wütet und in Wuppertal die Scharia-Polizei patroulliert, reif zu sein. Zumal Dieter Nuhr auf die Solidarität seiner Kabarett-KollegInnen augenscheinlich nicht hoffen darf.      

Harald Schmidt hatte schon vor Jahren erklärt, von Satire über den islamischen Fundamentalismus lasse er „lieber die Finger“. In seinem Beruf brauche man eben „die nötige Portion Feigheit“. Auch sein deutsch-türkischer Kollege Bülent Ceylan antwortete kürzlich in einer Talkshow auf die Frage, warum der Islamismus in seinem Programm kein Thema sei: Er wolle „nicht so egoistisch sein“, seine Familie zu gefährden. Man wisse ja schließlich, dass es in der Szene Fanatiker gebe.

„Armselig“ fand Dieter Nuhr diesen blinden Fleck seiner Kollegen schon im Herbst 2011 im Gespräch mit EMMA (siehe unten). „Ich finde es beschämend, dass die Linke, solange der Gegner leicht war, das Maul aufgerissen hat: ‚Wir lassen uns den Mund nicht verbieten! Wir brauchen Meinungsfreiheit!‘ Das war mit der CSU in Bayern ja noch relativ einfach. Und dann kommt mal ein Gegner und sagt: ‚Dann hauen wir euch auf die Fresse!‘ Und plötzlich heißt es: ‚Na, dann war das nicht so gemeint mit der Meinungsfreihheit…‘ Das finde ich jämmerlich.“

Die Taktik der Salafisten ist, Muslime und Nichtmuslime gegeneinander aufzubringen.

Auch jetzt scheut der 54-Jährige, der ursprünglich „selbst aus dieser Multikultiszene“ kommt, nicht vor Kritik an den eigenen KollegInnen zurück: „Kabarettisten versuchen gern, das Klischee vom aufgeklärten Menschen zu erfüllen. Das ist aber in vielen Fällen nur ein Geschäftsmodell. Sonst würden sich die Kabarettkollegen anders verhalten“, erklärt Nuhr im Interview mit der Welt. „Ich habe kein Verständnis dafür, dass die bei uns lange erkämpfte Meinungsfreiheit nicht mehr ernst genommen wird, sobald sich Islamisten dagegenstemmen.“

Es war wiederum nur eine Frage der Zeit, bis Nuhr der Vorwurf entgegenschallte: Der Kabarettist fördere „die Islamophobie“, befand Prof. Reinhold Mokrosch, seines Zeichens Sprecher des „Runden Tisches der Religionen“ in Osnabrück. Für die Proteste gegen Nuhr habe er Verständnis. Und Islamwissenschaftler Bülent Ucar von der Universität Osnabrück warf Nuhr „geschmacklose Zoten auf Kosten einer religiösen Gemeinschaft“ vor.  

Nuhr hingegen lässt nicht den kleinsten Zweifel daran, dass er zwischen der Religion Islam und ihrer politischen Instrumentalisierung, dem Islamismus, klar unterscheidet – und das Spaltungsmanöver der Islamisten durchschaut: „Ich betone immer wieder, wie traurig ich das finde, dass unter der Salafisten-Diskussion die Mehrheit der Muslime leiden muss, die mit Radikalen nichts am Hut hat“, sagt Nuhr. „Die Taktik der Salafisten ist ja, Muslime und Nichtmuslime gegeneinander aufzubringen.“

Glücklicherweise scheint Nuhr von dem Einschüchterungsversuch unbeeindruckt. Vielleicht zeigen sich davon ja seine KollegInnen beeindruckt – und tun das, was zur Stellenbeschreibung eines politischen Kabarettisten gehört: Stellung zu den brisanten gesellschaftlichen Themen nehmen.     

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