Ich Jägerin. Du Sammler!

Eine Jägerin in den peruanischen Anden vor 9.000 Jahren. Foto: UC Davis IET
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"Die frühe Jagd war nahezu genderneutral!" Zu diesem Ergebnis kommt eine umfangreiche Studie der Universität Kalifornien, die nun im Fachmagazin Science Advances veröffentlicht wurde. Auf einer Hochebene im Süden Perus entdeckten WissenschaftlerInnen rund 9.000 Jahre alte Gräber, in denen Männer und Frauen mit Werkzeugen und Waffen bestattet worden waren. Das bedeutet: Auch Frauen gingen auf die Jagd.

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Anschließend durchforschten die WissenschaftlerInnen die Daten zu 429 steinzeitlichen Toten aus 107 Fundorten in Nord- und Südamerika. Das Ergebnis: Von 27 Individuen, die als Jäger zu erkennen waren, waren elf weiblich und 16 männlich. "Der Frauenanteil bei den Großwildjägern war damals keineswegs vernachlässigbar", sagt dazu der federführende Forscher Randall Haas. Er und sein Team gehen mittlerweile davon aus, dass im nacheiszeitlichen Nord- und Südamerika 30 bis 50 Prozent der Jäger weiblich waren.

Fast die Hälfte aller Jäger in der Nacheiszeit war weiblich!

In der Ärchäologie gibt es schon seit längerer Zeit Zweifel an den tradierten Geschlechterrollen. Eine Ausstellung in Freiburg dokumentierte bereits 2017, wie sehr die subjektive Sicht der vorrangig männlichen Forscher die Geschichte veränderte: „Ich Mann. Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten?“ fragte die Schau im Archäologischen Museum Colombischlössle und gab eine klare Antwort: Feste Rollen? Nö, gab’s gar nicht. „Die Idee vom steinzeitlichen Jäger alias ‚Ernährer‘ und der Sammlerin alias ‚Hausfrau und Mutter‘ ist eine Fiktion“, erklärte die Kuratorin Brigitte Röder.

Kein Wunder: Über rund 400 Jahre waren Archäologen und Ethnologen ein reiner Männerverein, der seine Funde zielsicher in sein patriarchales Koordinatensystem einordnete. Das änderte sich erst mit der Neuen Frauenbewegung der 1970er. Die brachte nicht nur Abtreibungs-Demos, sondern auch Archäologinnen-Netzwerke hervor. Hinzu kam eine fortschreitend höher entwickelte Technik, die immer präzisere Analysen der Funde ermöglichte.

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie ganze im Erdreich wühlende Forschergenerationen ihren Funden ihr Geschlechterrollen-Förmchen überstülpten und mit ihren Fehlinterpretationen genau jene Rollenklischees, die zu ihrem Fehlschluss geführt hatten, aufs Schönste bestätigt sahen.

Diesen Zirkelschluss aufzubrechen, trat die Freiburger Ausstellung an. Den AusstellungsmacherInnen, allen voran die federführende Brigitte Röder, war klar, welche Bedeutung der Blick auf die Steinzeit auch für das Heute hat. Die Professorin für ur- und frühgeschichtliche Archäologie an der Universität Basel hat als Forschungsschwerpunkt die „Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Prähistorischer Archäologie“.

Röder analysiert, welche Funktion das so selbstverständlich postulierte Bild vom steinzeitlichen Jäger, der ermattet von der Mammutjagd zurückkehrt und von seiner sammelnden Gattin und ihrer großen Kinderschar mit dem fertigen Braten am Lagerfeuer empfangen wird, in Zeiten des Gendertroubles hat: „Angesichts sich auflösender Gewissheiten soll der Blick zurück in die Vergangenheit Orientierung und festen Boden unter den Füßen verschaffen. In dieser Situation haben der Jäger und die Sammlerin mit ihren gemeinsamen Kindern ihren großen Auftritt.“

Sie werden zu „Kronzeugen für die angeblich ‚ursprünglichen Geschlechterrollen des Menschen‘ und rufen ein urgeschichtliches Geschlechterparadies aus, in dem Männer und Frauen ‚noch wussten‘, was sie aufgrund ihrer angeborenen biologischen Eigenschaften zu tun und zu lassen hatten – und sich auch daran hielten.“

Es wird Zeit für ein neues Bild der Frau in der jüngeren Steinzeit!

In einem Grab in Stetten an der Donau fand man in einem jungsteinzeitlichen Grab das Skelett einer Frau, die mit Knochenspitzen, einem Schleifstein und einer Feuersteinklinge beerdigt wurde. Neben dem größten bekannten Salzbergwerk der Bronze- und Eisenzeit im Salzkammergut liegen in einem Gräberfeld diejenigen begraben die um 1500 v.Chr. in dem Bergwerk schufteten: Männer, Frauen und Kinder. Alle Skelette zeigen die gleichen schweren Abnutzungsspuren durch die gleiche schwere Arbeit.

Und als das Archäologische Landesmuseum Baden-Württemberg 2010 die Ausstellung „Eiszeit – Kunst und Kultur“ ins Leben rief, widmete sich immerhin ein Kapitel des Begleitbandes der Geschlechterfrage: „Männer jagen, Frauen kochen?“ Das Fragezeichen erwies sich auch hier als äußerst berechtigt. Der Mann als Familienernährer, die Frau als Herdhüterin? „Hypothetisch“ und auf „kulturellen Vorurteilen über die Geschlechter und die Fähigkeiten von Frauen basierend“. Fazit: „Wir können ein neues Bild der Frau in der jüngeren Steinzeit erschließen.“

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Brigitte Röder (Hg): Ich Mann. Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten? (Rombach Verlag, 19.80 €).

 

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