Ilda la Rossa: Sie jagt Berlusconi

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Wenn Silvio Berlusconi am 6. April ab 9 Uhr 30 vor seinen drei Richterinnen in Mailand steht, dann hat er das vor allem einer vierten Frau zu verdanken: der Staatsanwältin Ilda Boccassini, auch „Ilda la Rossa“ genannt, und das nicht nur wegen ihrer flammend roten Haare. Boccassini, 61, jagt Berlusconi, 74, seit rund 20 Jahren. Einmal hätte sie den Staatschef fast gehabt: wegen Korruption. Doch der sprang ihr wieder von der Schüppe. Jetzt scheint der Gerissene in der Klemme seines „Rubygates“ gefangen. Die Anklage lautet: Sex mit einer Minderjährigen (der 17-jährigen Ruby) sowie Amtsmissbrauch. Denn der Staatschef hatte persönlich zum Telefon gegriffen, um zu veranlassen, dass die als Prostituierte arbeitende, marokkanischstämmige Ruby aus der Untersuchungshaft entlassen wird, wo sie wegen Diebstahls einsaß. Er hatte einfach behauptet, Ruby sei „die Nichte von Mubarak“ (Was inzwischen auch nicht mehr so gut käme).

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Ilda Boccassini ist die Tochter und Enkelin von Richtern und wurde, wie sie sagt, „mit dem Gesetzbuch in der Wiege geboren“. Und da sie aus Neapel stammt, lag der Kampf gegen die Mafia für die Juristin nicht nur nahe, sondern war unvermeidlich. Als ihr Mitstreiter, der sizilianische Richter Giovanni Falcone, am 24. Mai 1992 mit einer 700 Kilo schweren Autobombe von der Mafia in die Luft gejagt wird, schwört sie Rache.

Die verheiratete Mutter von zwei Kindern lässt sich von ­Mailand nach Palermo versetzen und jagt zwei Jahre lang Tag und Nacht die Mafia. Ihre Ehe zerbricht darüber – doch sie schafft das eigentlich Unmögliche. 1995 sitzen 50 Mafiosi auf der Anklagebank, darunter Salvatore Riina, der international ­gesuchte Pate. Falcones Mörder sind gefasst.

Die Mafia vor Gericht zu bringen, ist schwer, noch schwerer aber ist es, den Staatschef zu überführen. „Denn der kann jederzeit die Gesetze nach Belieben zu seinen Gunsten ändern“, klagt die rote Ilda. Jetzt aber scheint Berlusconi am Ende seines ­Lateins. Bleibt ihm nur noch die Diffamierung seiner KritikerInnen bzw. die Verharmlosung seines Verhaltens.

Das Ganze sei nichts als eine „linke Kampagne“ gegen ihn und die Ermittler würden seine und „die Würde Italiens in den Schmutz ziehen“, lamentiert er. Und Berlusconi redet nicht nur, er handelt auch. Schon vor Jahren zögerte er nicht, der gefährdeten Staatsanwältin die ihr zustehenden Leibwächter zu entziehen und in seinen Gazetten Fotos von Boccassini zu veröffentlichen: schutzlos vor ihrem Haus. Jetzt streuten seine Blätter das Gerücht, die Staatsanwältin habe 1981 (!) ein Verhältnis mit einem Journalisten gehabt. Na, wenn es mehr nicht ist.

In Italien ist Ilda Boccassini längst so etwas wie eine Heldin. Am 13. Februar gingen im ganzen Land Hunderttausende von Frauen auf die Straße und protestierten gegen Berlusconi und die „Bordellisierung“ ihres Landes. Sie wollen nicht länger ein Staatsoberhaupt hinnehmen, das für seine Bunga-Bunga-Partys mit Minderjährigen berüchtigt ist und sich mittels Gesichts-OPs forever young glaubt. Im Ausland stellt man sich allerdings schon länger die Frage, wie es überhaupt sein kann, dass eine Mehrheit der ItalienerInnen diesen so offensichtlich fragwürdigen Mann immer wieder wählt. Der Einfluss der Berlusconi-­Medien allein zugunsten des Medientycoons und Staatschefs kann es nicht sein.

Der mutige Roberto Saviano, der mit seinem Buch und Film „Gomorrha“ die Verführung und Rekrutierung der süditalienischen und sizilianischen Jugend durch die Mafia anprangert und seither auf der Flucht und im Untergrund leben muss, glaubt zu wissen, warum. Er kritisiert die tiefgreifende Rechtlosigkeit seines Volkes. Die Italiener fänden es nicht etwa skandalös, wenn ein Staatschef das Recht bricht, sondern bewunderten ihn dafür.

Verschärfend kommt hinzu, dass die Mafia – die auch in Deutschland längst angekommen ist – in Italien mehr ist als ein Problem: Sie ist eine Art Gegenstaat, der nicht nur oft stärker als der Rechtsstaat ist, sondern diesen längst unterwandert hat. Immer wieder werden höchste Politiker, ja, Staatschefs der ­Kollaboration mit oder sogar Abhängigkeit von der Mafia ­überführt, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. Und quasi konsequenzlos.

Ihre Stärke verdankt die Mafia nicht zuletzt der Förderung durch Amerika nach 1945. Die Amerikaner wollten mit der Mafia ein Bollwerk gegen die in Italien starken Kommunisten errichten. Damit haben sie – ganz wie bei ihrer Aufrüstung der Taliban in den 1990er Jahren gegen die Sowjetunion – den ­Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.

Das Problem ist also komplex, aber Silvio Berlusconi ist sein Symbol. Und es sieht fast so aus, als wären nicht nur die italienischen WählerInnen es langsam doch leid mit ihm, sondern als würde auch die nationalistische Liga Nord, Teil seiner politischen Hausmacht, auf Distanz zu ihrem Silvio gehen. Wenn es so ist, sind Berlusconis Tage gezählt.

Das Foto rechts zeigt Ilda Boccassini, die laut Time Magazine „eine der hundert einflussreichsten Frauen der Welt“ ist, in ihrem Büro im vierten Stock des Mailänder Justizpalastes. Bettina Flitner fotografierte die pressescheue Frau dort im Jahr 2002. Als die Fotografin sie bat, wegen des Lichts näher ans Fenster zu treten, weigerte die Staatsanwältin sich. Grund: Es wäre lebensgefährlich für sie. Boccassini hätte von Scharfschützen durch das Fenster im vierten Stock erschossen werden können.

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