Im Zweifel für den Angeklagten…: …

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In der Urteilsverkündung am 31. Mai 2011 begnügten sich die Richter des Mannheimer Landgerichts nicht mit dem Freispruch für Jörg Kachelmann nach dem Grundsatz: „Im Zweifel für den Angeklagten“. Sie betonten ungewöhnlich explizit: „Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist.“ Gleichzeitig forderten sie, an die Medien gerichtet, zu bedenken, dass „auch umgekehrt Frau X möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war.“ Liest man heute, anderthalb Jahre danach, gewisse Medien, scheinen die diese Urteilsverkündung nie gelesen bzw. nicht verstanden zu haben.

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So schreibt zum Beispiel der als seriös geltende Mediendienst Meedia: „Keine Frage: Jörg Kachelmann wurde fälschlich beschuldigt“ – der Journalist scheint also mehr zu wissen als die Richter nach acht Monaten Verhandlung. Und der Spiegel veröffentlichte gerade ein willfähriges, Stichworte gebendes Interview mit dem Ehepaar Kachelmann, das er mit den Worten ankündigt: „Über die Macht moderner Frauen und den Wahnsinn der deutschen Justiz.“
Deutlicher kann man nicht mehr sagen, um was es im Fall Kachelmann ging und geht: Um einen Generalverdacht gegen alle „modernen Frauen" - die würden die Lüge von der sexuellen Gewalt (vom Missbrauch bis zur Vergewaltigung) als Waffe gegen die Männer richten. Und im Gegenzug um die Unschuldsbehauptung (also weit mehr als die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung) für alle beschuldigten Männer.
– Zur Information veröffentlicht EMMA darum Auszüge aus der Presseerklärung zum Mannheimer Urteil.
EMMAonline, 9.10.2012

Auszug aus der Pressemitteilung vom 31.05.2011 - Freispruch für Jörg Kachelmann

I. Die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Mannheim hat den Angeklagten Jörg Kachelmann heute vom Vorwurf der schweren Vergewaltigung und der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen. (…) Des weiteren wurde dem Grunde nach die Entscheidung getroffen, dass der Angeklagte für die erlittene Untersuchungshaft sowie für die aus den sonstigen Zwangsmaßnahmen (Durchsuchungen, Beschlagnahme) entstandenen Schäden zu entschädigen ist.


II. Der Vorsitzende hat zu Beginn seiner rund einstündigen Urteilsbegründung auf folgendes hingewiesen: „Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist. Es bestehen aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann. Er war deshalb nach dem Grundsatz ‚in dubio pro reo’ freizusprechen.“ (…)


Im Verlauf der weiteren Urteilsbegründung erklärte der Vorsitzende: „Angesichts des Umstandes widersprechender Angaben des Angeklagten und der Nebenklägerin sowie angesichts der Feststellungen, dass beide in Teilbereichen nachweisbar die Unwahrheit gesagt haben, stellt sich die Frage, ob durch außerhalb der Aussagen liegende Beweise begründete Anhaltspunkte für die Richtigkeit der einen oder anderen Schilderung der Ereignisse nach dem Ende des Trennungsgesprächs gefunden werden können. 


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass keiner der außerhalb der Aussagen liegenden Beweise für sich gesehen geeignet ist, die Schuld oder gar die Unschuld des Angeklagten zu belegen. 
Es ist vielmehr festzuhalten, dass die objektive Beweiskette in die eine wie in die andere Richtung immer wieder abreißt. Die unzureichende objektive Beweislage lässt sich auch durch die von dem Vertreter der Nebenklage in seinem Plädoyer aufgeworfenen Sinnfragen nicht auffüllen. Diese zu Recht in den Raum gestellten Sinnfragen belegen zwar begründete Zweifel an einer Falschbeschuldigung durch die Nebenklägerin; die Zweifel an der Schuld des Angeklagten können sie jedoch nicht ausräumen.“


III. Der Vorsitzende ging anschließend auf einzelne Beweisergebnisse näher ein, die Staatsanwaltschaft und Verteidigung unterschiedlich gedeutet hatten. Abschließend führte er zum Ergebnis der Beweisaufnahme aus, dass auch in der Gesamtschau der Beweisergebnisse keine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung von Herrn Kachelmann bestehe, dass aber umgekehrt angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht von einer Falschbeschuldigung durch die Nebenklägerin ausgegangen werden könne (…):


„Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben. Befriedigung verspüren wir dadurch jedoch nicht. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht: ihn als potentiellen Vergewaltiger, sie als potentielle rachsüchtige Lügnerin. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin aber auch mit dem Gefühl, ihren jeweiligen Interessen durch unser Urteil nicht ausreichend gerecht geworden zu sein. Bedenken Sie, wenn Sie künftig über den Fall reden oder berichten, dass Herr Kachelmann möglicherweise die Tat nicht begangen hat und deshalb zu Unrecht als Rechtsbrecher vor Gericht stand. Bedenken Sie aber auch umgekehrt, dass Frau X. möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war. Versuchen Sie, sich künftig weniger von Emotionen leiten zu lassen. Unterstellen Sie die jeweils günstigste Variante für Herrn Kachelmann und Frau X. und führen Sie sich dann vor Augen, was beide möglicherweise durchlitten haben. Nur dann haben Sie den Grundsatz ‚in dubio pro reo’ verstanden. Nur dann kennt der Grundsatz ‚in dubio pro reo’ nicht nur Verlierer, sondern neben dem Rechtsstaat auch Gewinner.“

Dr. Joachim Bock

VRLG und Pressereferent
Landgericht Mannheim

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