Alice Schwarzer schreibt

"Das Begehren des anderen riss mich mit"

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Alice Schwarzer: Wie erklären Sie sich, dass Sie selbst mit jemandem wie Sartre nicht in die Falle gegangen sind, "seine Frau" sein zu wollen? Dass Sie eben nicht zum relativen Wesen, zur "Frau an seiner Seite" degradiert wurden?
Simone de Beauvoir: Die Prägungen meiner ersten Lebensjahre. Dass ich immer schon meinen eigenen Beruf haben wollte! Dass ich immer schon schreiben wollte, lange bevor ich Sartre kannte! Dass ich Träume hatte, keine Phantasien, sehr kühne Träume, Wünsche, die längst vor der Begegnung mit Sartre feststanden! Zum Glücklichsein war ich es mir also schuldig, mein Leben zu erfüllen. Und Erfüllung war für mich in erster Linie die Arbeit.

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Und Sartres Haltung dazu?
Er vor allem war es, der mich dazu ermunterte. Nach meiner Promotion, ich hatte sehr viel gearbeitet, hatte ich Lust, mich ein wenig fallen zu lassen, ins Glück, in Sartres Liebe ... Da war er es, der mir gesagt hat: Aber Castor, warum denken Sie nicht mehr! Warum arbeiten Sie nicht mehr! Sie wollten doch schreiben! Sie wollen doch wohl keine Hausfrau werden, oder ...?! Er hat sehr darauf bestanden, dass ich meine Autonomie erhalte und schaffe, vor allem durch das Schreiben.

Das war wohl gegenseitig. Ohne die Begegnung mit Ihnen hätte Sartre sich vermutlich in sehr klassischen Liebesstrukturen wiedergefunden ...
Ein verheirateter Sartre? Das hätte ihm ganz sicherlich gestunken. Aber es stimmt, man hätte ihn leicht in die Enge treiben können. Das schlechte Gewissen ... Aber er pflegte sich dann auch schnell wieder davon zu befreien.

Kennen Sie das, das bei Frauen so weitverbreitete schlechte Gewissen, diese Schuldgefühle?
Nein, ich hatte noch nie ein schlechtes Gewissen in diesem Sinne. Manchmal Gewissensbisse, wenn ich Freundschaften auf brutale Art beendete. Darauf war ich nicht immer gerade stolz. Aber alles in allem hatte ich immer ein gutes Gewissen - das ist manchmal fast ein Unbewusstsein, denke ich.

Sie sind, glaube ich, ganz allgemein ein Mensch, der sich nicht so gern den Kopf über sich selber zerbricht ...
Das stimmt. Meine Analysen wende ich nicht allzusehr auf mich selbst an. Das ist mir fremd.

Genet hat einmal von Ihnen beiden gesagt, in Ihrer Beziehung seien Sie der Mann und Sartre sei die Frau. Was meinte er damit?
Er wollte damit sagen, dass Sartre seiner Meinung nach eine reichere Sensibilität hatte als ich, eine Sensibilität, die man also "weiblich" nennen könnte. Ich hingegen hätte viel schroffere Verhaltensweisen. Aber das hatte auch viel mit Genets Beziehung zu Frauen zu tun, die er nicht gerade sehr liebt ...

Aber es ist ja was dran. Sie können ein wahrer Maulesel sein - das sagen Sie ja auch selbst. Ihre Energie und Ihre scharfe Intelligenz, Ihre Heftigkeit und auch die Eisigkeit, mit der Sie Situationen und Menschen begegnen können, die Sie nicht mögen ... Da ist nichts von einer "weiblichen" Verbindlichkeit. Sie sind ein sehr absoluter Mensch.
Das stimmt.

Sind Sie also niemals in die Versuchung gekommen, zur Kompensation Ihrer "männlichen" Züge die "kleine Frau" zu spielen?
O nein, nie! Ich arbeitete, und ich hatte Sartre. Und die Dinge kamen, wie sie kamen, ich rannte ihnen nicht nach. Das heißt, als ich mich in Amerika in Algren verliebte - in diesem fremden Land, mit seinem Charme, mit all den Qualitäten, die er hatte -, da habe ich nicht viel anstellen, mich nicht verstellen müssen! Er war auch in mich verliebt.

War erotisches Begehren für Sie immer mit Gefühlen verknüpft?
Ich glaube, ja. Übrigens: Ich begehrte keinen Mann, wenn ich nicht auch begehrt wurde. Es war immer eher das Begehren des anderen, das mich mitriss.

Ganz schön vorsichtig ...
Ja. Vielleicht hatte ich manchmal andere Phantasien ... Aber in der Realität gab es keinen Mann, der mich berührt hätte, bevor uns nicht schon eine große Freundschaft verband.

Keine raschen Begierden? Keine kurzen Nächte, die mit irgend jemandem befriedigt wurden, egal mit wem?
O nein, das nie! Das ist mir ganz, ganz fern. Vielleicht ist es puritanisch, vielleicht das Ergebnis meiner Erziehung. Aber wie auch immer: Es ist nie, nie passiert! Nicht einmal dann, wenn ich nichts laufen hatte, also eine Zeitlang ohne Sexualität war. Dennoch hätte ich niemals daran gedacht, mir einfach einen Mann zu suchen ...

Ist diese Zurückhaltung "weiblich" ...?
Ich weiß es nicht.

Wenn Sie von Ihrer Sexualität sprechen, sprechen Sie immer nur von Männern. Haben Sie niemals Sexualität mit einer Frau gelebt?
Nein. Ich hatte zwar immer wichtige Freundschaften mit Frauen, sehr zärtliche, manchmal auch körperlich zärtlich. Aber daraus ist nie eine erotische Leidenschaft geworden.

Und warum nicht?
Das hat sicherlich mit meiner Konditionierung durch die Erziehung zu tun. Ich meine damit die gesamte Erziehung, nicht nur die häusliche, all die Lektüren und Einflüsse, die mich als Kind prägten und die mich in die Heterosexualität gestoßen haben. (...) Frauen sollten sich nicht länger ausschließlich auf das Begehren der Männer hin konditionieren lassen. Und überhaupt denke ich, dass schon heute jede Frau ein bisschen ... ein bisschen homosexuell ist. Ganz einfach, weil Frauen begehrenswerter sind als Männer.

Wie das?
Weil sie schöner sind, weicher, ihre Haut ist angenehmer. Und sie haben gemeinhin auch mehr Charme. So ist es bei einem ganz normalen Ehepaar sehr häufig der Fall, dass die Frau angenehmer ist, lebendiger, anziehender, amüsanter, selbst intellektuell.

Man könnte sagen, das sei ein bisschen sexistisch oder männerfeindlich, was Sie da sagen ...
Nein. Denn das hat natürlich auch etwas mit der unterschiedlichen Konditionierung und Realität der Geschlechter zu tun. Es ist einfach eine Tatsache, dass Männer heute oft diese ein wenig lächerlichen Züge haben, die auch Sartre so langweilten. Sie sind so abgehoben, so unlebendig, sie theoretisieren gern so wichtigtuerisch.

Stimmt. Aber ich finde, Frauen haben auch so ihre Fehler. Und neuerdings sind sie sogar wieder stolz darauf. In Deutschland zum Beispiel, und nicht nur da, haben wir es mit einer Renaissance der "Weiblichkeit" zu tun, der sogenannten "neuen Weiblichkeit": Gefühle statt Intellekt, "natürliche" Friedfertigkeit statt Entschlossenheit zur Auseinandersetzung, Mystifizierung der Mutterschaft statt Befreiung vom Zwang zur "Mütterlichkeit" und so weiter und so fort.
Ich denke, dass das ganz einfach eine Rückkehr in die Versklavung der Frauen ist! Die Mutterschaft ist schließlich immer noch die geschickteste Art, Frauen zu Sklaven zu machen. Damit will ich nicht sagen, jede Frau, die Mutter ist, sei damit automatisch auch Sklavin - es kann Lebensbedingungen geben, unter denen die Mutterschaft nicht diesen Preis kostet. Solange es als Hauptaufgabe der Frau gilt, Kinder zu bekommen, wird sie sich eben kaum um Politik oder Technologie kümmern, und: sie wird den Männern nicht ihre Überlegenheit streitig machen. Eine erneute Verklärung von "Mutterschaft" und "Weiblichkeit" ist der Versuch, die Frauen auf das Niveau von vorher zurückzudrängen. Da man den Frauen schlecht sagen kann, es sei eine heilige Aufgabe, Töpfe zu spülen, sagt man ihnen: Es ist eine heilige Aufgabe, Kinder zu erziehen. Aber Kinder großziehen, das hat, so wie die Welt heute ist, eben sehr viel mit dem Töpfe-Spülen zu tun. Auf die Art treibt man die Frauen zurück in die Lage eines relativen Wesens, eines zweitklassigen Menschen.

Woran liegt dieser neue Weiblichkeitswahn? Hat auch der Feminismus zum Teil versagt?
Ich denke, dass der Feminismus in der Tat bisher nur eine kleine Anzahl der Frauen wirklich tiefgreifend erreicht hat. Gewisse feministische Aktionen haben viele Frauen erreicht, so zum Beispiel der Kampf für das Recht auf Abtreibung. Aber da der Feminismus für viele Leute jetzt eine gewisse Gefahr zu sein scheint - wegen der Arbeitslosigkeit und der Infragestellung männlicher Privilegien -, reagiert man auf den Feminismus, indem man das, was ganz tief in vielen Frauen steckt, wieder hervorholt: Die meisten sind eben doch Weibchen geblieben ... Man gibt der Weiblichkeit einfach wieder einen gewissen ideologischen Wert und versucht so, das vom Feminismus angekratzte Bild der »normalen Frau« wiederzufinden: relativ, bescheiden und all das. Diesem Bild, das vom Feminismus immerhin zerstört wurde, wird jetzt nachgeweint.

Wie steht es also unter den gegebenen Umständen mit der Freiheit der Frauen? Und sind wir Feministinnen da Ihrer Meinung nach bisher den richtigen Weg gegangen?
Schwer zu sagen. Es ist schon gut, überhaupt etwas getan zu haben. Und die Umstände sind alles andere als günstig ... Aber es ist ja wahr, dass in dieser Bewegung schon sehr früh auch Dinge steckten, die nicht sehr gut waren. Zum Beispiel die Entschlossenheit gewisser Frauen, einfach alles, was von den Männern kam, abzulehnen. Nur nichts so machen zu wollen wie die Männer: sich nicht organisieren, keinen Beruf haben, nicht schöpferisch tätig sein, nicht handeln. Ich war immer der Meinung, dass man als Frau das Instrumentarium, das die Männer in Händen halten, einfach nehmen, sich seiner bedienen muss. Ich weiß, dass es da unter den Feministinnen eine Spaltung gibt: Sollen Frauen immer mehr Stellen einnehmen und mit den Männern in Wettstreit treten? Wenn sie das tun, werden sie ohne Zweifel gewisse Qualitäten der Männer ebenso übernehmen wie gewisse Fehler. Oder sollen Frauen sich im Gegenteil all dem ganz und gar verweigern? Im ersten Fall hätten sie mehr Macht, im zweiten verharren sie in der Ohnmacht. Sicher, wenn der Griff der Frauen zur Macht nichts anderes bringt als nur eine Machtausübung nach demselben Muster wie vorher unter den Männern ... so verändert man die Gesellschaft nicht. Und die wahre Perspektive von Feministinnen kann meiner Meinung nach auch die Veränderung der gesamten Gesellschaft und damit auch die Veränderung des Platzes von Frauen in der Gesellschaft sein.

Sie selbst haben, was Ihre Arbeit angeht, den ersten Weg gewählt: Sie haben so schöpferisch geschrieben und so frei gelebt "wie ein Mann". Gleichzeitig haben Sie versucht, diese Welt zu verändern ...
Ja. Und ich glaube, dass eine solche Doppelstrategie der einzige Weg ist. Wir Frauen dürfen nicht zögern, nach den sogenannten männlichen Qualitäten zu greifen! Viele davon sind ganz einfach menschliche Qualitäten, die auch uns Frauen zustehen! Wir müssen die Einmischung in diese Männerwelt, die weitgehend eben auch ganz einfach die Welt an sich ist, riskieren! Sicher, auf diesem Weg läuft eine Frau Gefahr, andere Frauen und den Feminismus zu verraten. Sie glaubt, sie sei entkommen ... Aber auf dem anderen Weg läuft sie Gefahr, in der "Weiblichkeit" zu ersticken.

Auf dem einen wie auf dem anderen Weg sind Frauen oft zurückgestoßen und erniedrigt worden.
Mein Glück ist, dass ich nie erniedrigt wurde. Ich habe unter der Tatsache, Frau zu sein, kaum gelitten. Wenn mich auch - ich sagte das schon im Vorwort zum "Anderen Geschlecht" - Dinge wie die Tatsache, dass die Leute mir immer wieder sagten: "Sie denken das, weil Sie eine Frau sind", sehr ärgerten. Ich antwortete dann einfach: Das ist wirklich lächerlich - denken Sie dieses und jenes, weil Sie ein Mann sind?

Allgemein, aber gerade auch in bezug auf die Literatur gibt es heute unter Feministinnen auch die Kontroverse: Soll man die Quantität oder die Qualität fördern? Das heißt: Soll man Frauen ebenso streng messen und kritisieren wie Männer? Oder soll man im Gegenteil zufrieden darüber sein, dass sie überhaupt schreiben, und sie zunächst einmal relativ kritiklos gewähren lassen?
Ich glaube, dass man den Frauen auch Nein sagen muss. Nein, so geht es nicht! Schreibt etwas anderes, versucht, besser zu sein! Seid anspruchsvoller mit euch selbst! Frausein genügt nicht. Die mir zugeschickten Manuskripte sind sehr oft Manuskripte von Frauen, die hoffen, dass ihre Texte gedruckt werden. Es sind Hausfrauen, 40 oder 50 Jahre alt, ohne Beruf, die Kinder sind aus dem Haus, sie haben Zeit. Viele Frauen fangen dann einfach so an zu schreiben. Meistens ihre Lebensgeschichte, fast immer mit einer unglücklichen Kindheit. Und sie glauben, das sei interessant ... Die Dinge aufschreiben, das kann eine wichtige Funktion für ihre seelische Verfassung haben, aber es muss ja deswegen nicht auch noch unbedingt gedruckt werden. Nein, ich glaube, Frauen müssen sehr fordernd mit sich selbst werden!

Hat die Existenz der neuen Frauenbewegung auch direkte Auswirkungen auf Ihr eigenes Leben gehabt?
Sie hat mich sensibler für die Details werden lassen, für diesen alltäglichen Sexismus, den man sonst nicht wahrnimmt, weil er dermaßen "normal" ist. Seit Jahren schreiben Pariser Feministinnen für "Les Temps Modernes" Texte über den "alltäglichen Sexismus", über diese Tatzenschläge mit Samtpfoten, die ich früher nicht gespürt habe.

Vor der Existenz der Frauenbewegung sagten Sie "sie", wenn Sie von den Frauen sprachen. Heute sagen Sie "wir".
Dieses Wir ist für mich nicht ein "wir Frauen", sondern ein "wir Feministinnen".

Der Begriff "Feminismus" ist inzwischen eine reichlich inflationäre Münze geworden. Heute gibt es zum Beispiel in der deutschen Friedensbewegung Frauen, die unter dem Etikett Feminismus für den Frieden kämpfen: als "Frauen und Mütter, die die Welt von morgen für die Kinder retten wollen", oder als "Frauen, die dem Leben von Natur aus näher sind", oder als "Frauen, die von Natur aus friedlicher sind als Männer" - Männer, die angeblich "von Natur aus destruktiv sind" ...
Das ist absurd! Absurd, weil Frauen den Frieden als Menschen fordern müssen und nicht als Frauen. Die Argumentation "als Mütter" ist völlig unsinnig, schließlich sind die Männer auch Väter. Außerdem haben Frauen sich bisher eher viel zuviel an die Kinder, an ihre Gebärfähigkeit und ihre "Mütterlichkeit" geklammert. Mit dieser Weiblichkeitsideologie dürfen sie nun nicht auch noch selbst hausieren gehen. (...) Frauen sollten diese "weibliche" Argumentation ganz und gar fallen lassen, auch wenn und gerade weil man sie ermutigt, im Namen ihrer Weiblichkeit oder Mütterlichkeit für den Frieden zu kämpfen: Denn das ist ja gerade der Trick der Männer, die damit die Frauen wieder mal auf ihre Gebärmutter reduzieren wollen! Übrigens sind Frauen, die an die Macht kommen, nicht anders als die Männer. Das sieht man doch bei Indira Gandhi, Golda Meir, Frau Thatcher und anderen. Sie werden dann keineswegs plötzlich zu Friedensengeln ...

Auszug aus: "Alice Schwarzer/Simone de Beauvoir: Weggefährtinnen im Gespräch" (Gespräche von 1972-1982, KiWi). Im EMMA-Shop kaufen

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