Die Gefahr wächst täglich

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Für ihn ist der politische Islam, sind die fundamentalistischen Gotteskrieger "das Problem des nächsten Jahrhunderts". Und das nicht nur in Algerien oder Afghanistan. Der neue Verfassungsschutzpräsident, Peter Frisch (61), schließt "gewalttätige Auseinandersetzungen" auch mitten in Deutschland nicht aus. Also bürgerkriegsähnliche Verhältnisse. Frisch, Jurist und Sozialdemokrat "aus Überzeugung", wurde Verfassungsschützer, "damit nie mehr solche Verbrechen passieren können wie in der Nazizeit". Ein EMMA-Gespräch.

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EMMA: In einem Interview der Süddeutschen Zeitung haben Sie den islamischen Fundamentalismus das Sicherheitsproblem Nummer eins für Deutschland genannt.
Frisch: Das ist ein Problem, das die Sicherheitsbehörden wahrscheinlich im nächsten Jahrhundert vorrangig beschäftigen wird.
Dennoch ist Ihre Warnung von den Interviewern nicht weiter aufgegriffen worden. Warum wohl?
Die Gefahr ist bei uns noch nicht hinreichend erkannt. Andere westeuropäische Staaten sind akuter davon bedroht. In Deutschland gibt es zwar viele Anhänger eines fundamentalistischen Islam, aber zu Gewaltakten ist es bislang noch nicht gekommen. Auch das deutsche Bestreben, Ausländern Verständnis entgegen zu bringen, spielt eine Rolle. Doch unter dem Schutzmantel Islam kann viel versteckt werden. Ich setze darum auf die Aufklärung über den Islamismus. Wir müssen eine saubere Trennung zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als politischer Offensive ziehen. Ich appelliere an die deutsche Gesellschaft, sich auf die demokratischen Werte unseres Gemeinwesens zu besinnen und sie zu verteidigen. Auch den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Sie unterscheiden zu Recht zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als Politik. Aber ist nicht die Verwischung zwischen beiden und die Gleichsetzung von Gotteskriegern und Gläubigen gerade in Deutschland eine islamistische Strategie? Stichwort "Feindbild Islam", wo so getan wird, als sei jede Kritik an den religiösen Fanatikern eine Kritik an der Religion und ergo Rassismus?
Ich bin auch schon heftig angegriffen worden, weil ich öffentlich darauf hingewiesen habe, daß der Islamismus eine Gesellschaftsordnung anstrebt, die unsere Grundordnung nicht kennt. Einen "Gottesstaat" nämlich, in dem alle demokratischen Prinzipien abgeschafft werden. Deshalb hat mich die 'Milli Görüs' attackiert. Diese türkische Vereinigung nannte sich früher 'Vereinigung der neuen Weltsicht' (AMGT); ihr politischer Zweig heißt heute 'Islamische Gemeinschaft Milli Görüs' (IGMG). Sie steht Necmettin Erbakans Wohlfahrtspartei nahe und unterstützt sie. Sie ist der größte islamistische Zusammenschluß in Deutschland. Die 'Milli Görüs' hat zwar noch nicht zur Gewalt aufgerufen, doch sie läßt keinen Zweifel daran, daß sie eine islamische Weltordnung will, einen Gottesstaat. Dem stehen weder die Ungewißheit über die Ausformung einer solchen Staatsform noch Lippenbekenntnisse zur Demokratie entgegen. Ihr rückwärtsgewandtes Islamverständnis wird zum Beispiel deutlich, wenn sie sich in ihrem Rechenschaftsbericht 1995 damit brüstet, gerichtlich durchgesetzt zu haben, daß deutsche Lehrer mit Disziplinarstrafen belegt worden sind, weil sie Schülerinnen das Tragen von Kopftüchern in der Schule verboten hatten. 'Milli Görüs' beschäftigt eine eigene Rechtsabteilung, die den getrennten Sportunterricht für Jungen und Mädchen in Deutschland erstreiten will, der unter "Achtung der mohammedanischen Kleiderordnung" durchgeführt wird. Also Weitsprung dann mit langem Rock und Schleier.
Wieviele Mitglieder hat diese Gruppierung?
Etwa 27.000. Insgesamt haben wir hier 31.800 organisierte Anhänger eines islamischen Gottesstaates.
Sind diese 31.800 in islamistischen Männerclubs nicht nur der harte Kern? Und müßte man nicht, wenn man das familiäre Umfeld dieser organisierten Islamisten einbezieht, eher von einer Viertelmillion ausgehen? Was hieße, jeder und jede fünfte hier in Deutschland lebende Türke und Türkin über 18 ist schon heute AnhängerIn der Gottesstaatler.
Das scheint mir recht hoch gegriffen.
Der Bielefelder Jugendforscher Heitmeyer hat herausgefunden, daß zwei von drei aller türkischen Jugendlichen eine "starke türkische Nation" wichtiger ist als die Demokratie. Jeder dritte Jugendliche fühlt sich von der islamistischen 'Milli Görüs' bestens vertreten - jeder Fünfte wünscht sogar, daß die Scharia Gesetz wird, nach der Frauen sich zwangsverschleiern müssen und auf "Ehebruch" Tod durch Steinigung steht. Für Frauen.

Ja, und man kann in zunehmenden Maße feststellen, daß türkische Mädchen den Schleier anlegen. Die jungen Leute werden eingeschworen auf fundamentalistische Vorstellungen von der verderblichen Lebensweise der westlichen Welt. Wie viele deutsche Jugendliche auch suchen die türkischen Jugendlichen nach Halt und finden ihn bei den Imamen in den Koranschulen.
Wird da nach Ihrer Kenntnis auch mit Druck gearbeitet?
Die Kinder werden sicherlich intensiv beeinflußt.
Verstößt die Existenz von Koranschulen - die gegen Menschenrechte und Demokratie predigen - nicht gegen die deutsche Verfassung?
Weisen Sie das mal nach! Da müßten wir schon reingehen in die Koranschulen. Aber das ist schwierig, weil die Verfassung Religionsfreiheit garantiert.
Und wenn Religion nur Vorwand ist und es in Wahrheit um Machtergreifung geht, wie im Iran, in Algerien und Afghanistan?
Viele Mädchen hier tragen die Kopftücher freiwillig. Wobei man lange darüber diskutieren könnte, was es mit dieser Freiwilligkeit auf sich hat. Aber darüber stellen wir keine Ermittlungen an. Da sind wir wegen unserer Geschichte zu größter Zurückhaltung verpflichtet. Wir gehen zum Beispiel grundsätzlich nicht in die Moscheen und Koranschulen.
Aber Moscheen sind traditionell auch Hochburgen der politischen Agitation. Sie wollen ja eben die Trennung zwischen Staat und Kirche aufheben. Das Wort der Imane wiegt schwerer als das der Politiker - das sehen wir auch jetzt im Iran, wo die Imane das iranische Volk gegen deutsche Staatsanwälte aufhetzen, denen mit dem Tode gedroht wird.
Wenn ich konkrete Anhaltspunkte habe, daß in einer Koranschule dazu aufgerufen wird: Dieser Staat muß beseitigt werden! Ja dann ...
Und wenn in den Koranschulen gelehrt wird, Frauen sind minderwertige Wesen und müssen sich zwangsverschleiern - das genügt nicht?

Erst wenn es zum politischen Ziel erhoben wird, daß alle Frauen verschleiert gehen müssen, daß sie nur eingeschränkt als Zeuginnen vor Gericht zugelassen sind und keine Richterinnen werden dürfen wie im Iran, können wir aktiv werden.
Und was ist ein "politisches Ziel"?
Wir müssen uns immer fragen: Wird hier ein Einfluß auf die Staatsgestaltung ausgeübt? Gegen den einzelnen Verfassungsverstoß unternehmen wir nichts. Individuelle Rechte zu schützen, ist nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes. Zunächst einmal ist die Moschee für uns eine Kirche. Noch ist das für die meisten Türken die Stätte ihrer Andacht. Doch sobald Islamisten nach außen mit politischer Zielsetzung auftreten, Schriften herausgeben und Versammlungen durchführen wie die 'Milli Görüs', dann ist ein solches Verhalten verfassungsschutzrelevant.
Hätte eine Partei mit islamistischen Zielen heute Chancen in Deutschland?
Zur Zeit wohl noch nicht, aber die Gefahren des islamischen Extremismus müssen gesehen werden. Hitler ist dadurch an die Macht gekommen, daß er sich - mit welchen Tricks auch immer - eine Mehrheit im Parlament verschaffte. Eine legal zustande gekommene Mehrheit. Im Besitz dieser demokratisch erworbenen Macht hat er dann die Demokratie abgeschafft. Das wollten die Schöpferinnen und Schöpfer des Grundgesetzes durch die Schaffung der wehrhaften Demokratie und durch die Einrichtung des Verfassungschutzes künftig verhindern. Deshalb beobachten wir nicht nur Gruppen, die mit Gewalt vorgehen, sondern alle, die darauf aus sind, diese Grundordnung zu beseitigen.
Sie sagten, bisher gäbe es noch keine Gewalt von dieser Seite. Aber wir haben den Eindruck, daß inzwischen sogar deutsche Professoren und Journalisten regelrecht Angst haben, sich kritisch über den islamischen Fundamentalismus zu äußern.
Mir fällt auch auf, daß man da sehr vorsichtig ist ... Das ist vielleicht die Angst, als Ausländerfeind dazustehen.
Nehmen wir den deutschen Botschafter im Ruhestand, Murad Hofmann, der nicht nur zum Islam konvertiert ist, sondern auch offen für einen fundamentalistischen Gottesstaat eintritt. Reden Sie über so jemanden mit dem Außenminister?
Über Einzelfälle möchte ich nicht reden, unabhängig davon ob ein Vorwurf zutrifft oder nicht.
Beobachten Sie eigentlich die zunehmende islamische Missionierung unter Deutschen, auch von den 'Islamischen Zentren' aus?
Ja, dort wird den männlichen Mitgliedern sogar ausdrücklich nahegelegt, deutsche Frauen zu heiraten! Diese Frauen sollen dann zum Islam übertreten und ihre Kinder zum Islam erziehen.
Und wer finanziert diese ‚Islamischen Zentren'?
Das in Hamburg ist eine iranische Einrichtung. Das in Aachen wird von der syrischen, das in München wird von der ägyptischen Muslimbruderschaft betrieben. Es gibt aber auch erhebliche Unterstützung von Islamisten durch Saudi-Arabien in anderen Ländern, das kann sich auch in Deutschland auswirken.
Wie das neue islamische Zentrum in Bonn. Fühlt sich der Verfassungschutz beim heutigen Staatsproblem Nr. 1, dem islamischen Fundamentalismus, nicht von der Politik im Stich gelassen?

Zumindest hat man solchen Warnungen nichts entgegengesetzt. Ich werde weiter vor der islamistischen Gefahr in Deutschland warnen, die ja mit dem Voranschreiten des islamischen Fundamentalismus in der Welt täglich wächst. Käme es eines Tages mit einem islamistischen Staat zum Konflikt, dann hätten wir hier natürlich ein Potential im Lande, das wirklich gefährlich wäre. Das ist bis jetzt noch Spökenkiekerei. Aber ich habe schon Angst davor. Das könnte bis zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in unserem Lande gehen.
Vielen Dank für das Gespräch.
EMMA Januar/Februar 1997

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