Alice Schwarzer schreibt

Reichelt: Kein Opfer der Moral

Julian Reichelt, Ex-Chefredakteur der BILD. - Foto: Jörg Schüler/IMAGO
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Schon im März diesen Jahres waren die schmutzigen Geheimnisse aus der Bild-Redaktion nach draußen gedrungen. Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, hieß es, missbrauche seine Macht, um Verhältnisse mit Praktikantinnen und Volontärinnen anzufangen - und er belohne sie mit Posten in der Redaktion, denen sie beruflich nicht gewachsen seien. „Julians Mädchen“ hießen sie im internen Jargon.

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Reichelt, der Liebling von Verleger Mathias Döpfner, wurde für zwei Wochen freigestellt - und dann wieder eingestellt. Der Bild-Chef hatte dem Medienmogul Döpfner glaubhaft versichert, dass es so schlimm alles gar nicht sei, das Ganze auch Vergangenheit und Privatsache. Ihm zur Seite stellte der Verleger eine Frau, Alexandra Würzbach.

„Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen“, jammerte der Springer-Konzern nun. Ja weiß denn diese Redaktion noch nicht einmal, was innerhalb ihrer eigenen Räume passiert?! Sie will es nicht wissen. Reichelt habe „dem Vorstand die Unwahrheit gesagt“, heißt es jetzt. Wir reden vom mächtigsten Medienhaus Deutschlands, in dem Frauen, raunt man, nach ihrer „Fuckability“ eingestellt werden.

Nun enthüllte die New York Times was los war - und bis heute anscheinend noch ist. Es handele sich bei dem Vorgehen von Reichelt auch keineswegs nur um simple sexuelle Übergriffe, sondern um ein infames Konstrukt emotionaler und beruflicher Abhängigkeiten. Und dies beschränkte sich auch nicht auf einen Fall.

Medienmogul Mathias Döpfner
Medienmogul Mathias Döpfner

Warum die NYT darüber berichtet? Weil der Springer-Konzern in Amerika ins Mediengeschäft eingestiegen ist und es jetzt noch verstärkt plant. Doch in Amerika, da sind die Sitten inzwischen anders. Dank seiner sehr starken Frauenbewegung. Da stolperte selbst ein Billl Gates schon über den Flirt mit einer Angestellten , von solchen Machenschaften ganz zu schweigen.

Just zur Veröffentlichung der NYT hatte auch ein deutsches „Investigativ-Team“, wie recherchierende Journalisten heutzutage heißen, die anscheinend andauernden Missbräuche von Reichelt enthüllen wollen, in der Frankfurter Rundschau. Die gehört heute einem Drucker, Dirk Ippen, Besitzer eines bunten Kessels von Regionalzeitungen, vom Münchner Merkur bis eben zur Frankfurter Rundschau. Die deutschen Journalisten hatten dieselben Erkenntnisse wie die amerikanischen, aber sie kamen nicht weit. Verleger Ippen persönlich stoppte den kritischen Bericht über den Bild-Chef in seiner Zeitung. Ein Fall von Zensur? Ja. Wie zu verstehen ist, dass das möglich ist? Vielleicht hilft die Information weiter, dass ein Teil der Bild-Auflage in einer Druckerei von Verleger Ippen gedruckt wird…

In den USA sind die Sitten dank einer starken Frauenbewegung inzwischen anders

Reichelt war nicht der erste Bild-Chef, der wg. Vermischung von Beruf- und Sexlife ins Gerede kam. Da war doch auch schon mal was mit seinem Vorgänger, Kai Diekmann. Auch der fuhr damals sofort eine Armada von Rechtsanwälten gegen die anklagenden Frauen auf. Mit Erfolg (Stichwort "Unschuldsvermutung", „Rufschädigung“ und „Verleumdung“). Reichelt hatte den gleichen Erfolg mit den gleichen Methoden. Zunächst. Bis die Amerikaner kamen.

Deutschland ist und bleibt eben innerhalb der westlichen Hemisphäre Schlusslicht in Sachen Frauenrechte. Nicht nur beim Gender Pay Gap. Wenn wir sehen, wie Frauen weltweit auf die Straße gehen, dürfen wir uns über deren Erfolge nicht wundern. Und in Deutschland? Da diskutieren wir unermüdlich über Genderstriche und Gendersternchen, über Rassismus und Islamophobie. Aber Sexismus und sexuelle Gewalt? Symbolpolitik geht eben hierzulande vor Realitätsveränderung, zumindest beim akademisierten Feminismus. Auch darum ändert sich hierzulande auch in unserer Realität so wenig.

ALICE SCHWARZER

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