Endometriose: im Schmerz gefangen

Foto: imago images
Artikel teilen

Jede zehnte Frau in Deutschland leidet an Endometriose. Zum Vergleich: Ähnlich hoch ist die Zahl der DiabetikerInnen. Trotzdem ist diese chronische Erkrankung nahezu unbekannt. Ich bin eine von ihnen.

Anzeige

"Wenn Sie die Hormone nicht mehr nehmen wollen, dann sind Sie selbst schuld an Ihrer Situation“, sagte mir der Arzt, der im Endometriose-Zentrum vor mir saß. Als Patientin schuld sein – das ist ein großes Kapitel beim Thema Endometriose. Seit 30 Jahren leide ich an dieser rätselhaften Frauenkrankheit, deren Ursachen und genauen physiologischen Vorgänge bis heute ungeklärt sind.

In erster Linie ist Endometriose eine Entzündungskrankheit, bei der sich Fibrosen, also verhärtete Gewebefasern bilden, vor allem im Unterleib um die Gebärmutter herum, an Eierstöcken oder Eileitern. Aber auch an Blase, Darm oder Nieren. Endometriose-Gewebe kommt sogar außerhalb des Beckens vor, etwa am Zwerchfell, in der Lunge oder in der Nase. Außer im Herzen und in der Wirbelsäule wurde das Gewebe schon überall im Körper gefunden.

Endometriose-Patientinnen haben massive Einschränkungen in der Lebensqualität

In den Entzündungsherden finden sich häufig Zellen, die an Zellen der Gebärmutterschleimhaut erinnern. Die meisten Theorien zur Erforschung der Krankheit drehen sich daher um die Gebärmutterschleimhaut. So auch eine der ersten von dem Gynäkologen John A. Sampson, der 1921 die Theorie aufstellte, nach der Gebärmutterschleimhautzellen mit dem Menstruationsblut, das rückwärts über die Eileiter in den Bauchraum fließt, mittransportiert würden, sich hier ansiedelten und so Endometriose-Herde bildeten. Diese Theorie, die bis heute angewendet wird, konnte nie bestätigt werden und kann vieles nicht erklären.

Zum Beispiel das Vorkommen von Endometriose-Gewebe außerhalb des Bauchraumes oder in Föten und Kleinkindern. MedizinerInnen rätseln aktuell, ob sich Stammzellen eventuell in Endometriose-Zellen umwandeln, oder ob Endometriose-Gewebe sogar etwas ganz Normales ist und man „nur“ herausfinden muss, warum es zu den Entzündungen kommt. Entzündungen, die in der Tat häufig – aber nicht ausschließlich – durch Hormonschwankungen des Monatszyklus getriggert werden.

Eines der ersten Symptome ist oft extremer Schmerz während der Menstruation. Es gibt aber auch Frauen mit riesigen Endometriose-Befunden, die gar keine Symptome haben. In diesen Fällen hat die Endometriose keinen Krankheitswert. Die Krankheit beginnt da, wo es zu Menstruationsschmerzen, Rückenschmerzen, Schmerzen in den Beinen, beim Urinieren oder beim Stuhlgang kommt oder sogar Organe in ihrer Funktion eingeschränkt werden und Frauen unfruchtbar werden. Wie es genau durch Endometriose zu Schmerzen und Unfruchtbarkeit kommt, ist ebenfalls nicht vollständig geklärt. Zudem erlebt mehr als die Hälfte der Patientinnen Schmerzen beim oder nach dem Geschlechtsverkehr.

Wie es durch Endometriose zu den extremen Schmerzen kommt, ist nicht geklärt

Auch ich hatte die schlimmste Sorte erwischt. Bei mir hatten sich die Herde an Bauchfell, Blase, Harnleiter, Eierstöcken und tief in der Darmwand gebildet, was teilweise täglich zu massivsten Schmerzen geführt hatte. Schließlich hatte ich eine große OP, bei der mir ein Teil des Darms entfernt wurde – ein Eingriff, der bei Endometriose oft gemacht wird.

Die großen Probleme beginnen für Frauen immer dann, wenn die Endometriose über das Stadium von zwei Tagen Menstruationsschmerzen im Monat hinausgeht und ein normaler Alltag und die volle Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sind. Wenn die Schmerzen unberechenbar jederzeit auftreten können. Wenn Fatigue, eine chronische Erschöpfung, für die laut der australischen Forscherin Alison Hey-Cunningham durch Endometriose ein 200-fach höheres Risiko vorliegt, schon junge Frauen in die Knie zwingt. Wenn sie Frauen in Depressionen stürzt.

Laut einer Befragung durch die Fachzeitschrift Standard Life sind 87 Prozent der betroffenen Frauen der Meinung, dass die Erkrankung ihre langfristige finanzielle Situation massiv beeinträchtigt. Hilfen gibt es aber kaum. Auf Ablehnungsbescheiden von AmtsärztInnen heißt es immer wieder: „Endometriose ist kein Grund.“ Und das, obwohl Studienergebnisse zeigen, dass das Sinken der Lebensqualität von Endometriose-Patientinnen durchaus mit der von Krebspatientinnen vergleichbar ist.

Nicht die Wirksamkeit der Medikamente, sondern die Frau wird in Frage gestellt

Ein Heilmittel gibt es bis heute nicht. Häufig werden Hormone eingesetzt, die Gestagen-Pille ist die häufigste, weil so ziemlich einzige Therapieform. Sie verhindert die Östrogen-Ausschüttung und den Eisprung, gaukelt quasi eine Schwangerschaft vor. Die Endometriose-Herde sollen dadurch „ruhig gehalten“ werden. Eine weitere, aber seltenere Therapie ist, schon junge Frauen künstlich in die Wechseljahre zu schicken. In manchen Fällen hilft das gegen die Schmerzen. Die Nebenwirkungen sind jedoch unberechenbar – und unerforscht. Bei den Frauen, bei denen die Schmerzen trotzdem bestehen bleiben, heißt es hingegen oft: Dann muss es wohl die Psyche sein.

Da wären wir wieder bei der Schuldfrage. Nicht die Medikamente, die Frau wird in Frage gestellt. Das ist schnell das herrschende Prinzip bei Frauen- oder seltenen Krankheiten. Nur ist Endometriose keine seltene Erkrankung: Jede sechste bis zehnte Frau ist betroffen! Das sind etwa 200 Millionen Frauen weltweit! Die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher liegen. Uns Frauen wird ja schon früh beigebracht, Schmerzen zu ertragen. Und „Regelschmerzen, die sind doch normal“. Endometriose ist eine Krankheit ohne Lobby. Im Schnitt dauert es vom ersten Symptom bis zur Diagnose acht Jahre.

In Ermangelung von Wissen und Forschung ist die Diskussion um die Entstehung von Endometriose zu einer Art Glaubensfrage unter MedizinerInnen geworden. Und John A. Sampson ist noch immer vorherrschend.

Glaubt man aber der australischen Soziologie-Professorin Kate Sear und den US-amerikanischen Endometriose-SpezialistInnen, die sich unter dem Namen „Endometriosis Summit“ organisieren und für mehr Forschung und Aufklärung kämpfen, dient das Aufrechthalten der Sampsons-Theorie vor allem einer Sache: dem Erhalt von Machtstrukturen.

Wie Endometriose entsteht, ist eine Art Glaubensfrage unter MedizinerInnen

Einer der um Aufklärung kämpfenden Experten ist David Redwine, Pionier der Exzisions-Chirurgie bei Endometriose, dem tiefen Herausschneiden der Herde. Er nennt die Theorie nach Sampson die „gefährlichste Theorie in der Medizingeschichte überhaupt“. Es sei eine Entschuldigung für die ineffektive Behandlung von Generationen von Frauen. In seiner eigenen Forschung wies Redwine Endometriose in einem von neun Embryonen nach und entdeckte typische Wachstumsbahnen der Zellen. Er kam zu dem Schluss:
Wenn es gelänge, die von Geburt an angelegte Endometriose von allen Wachstumsbahnen mittels Exzision zu entfernen, könne man sie für immer loswerden. Seiner Meinung nach hat sich die Exzision bei Endometriose vielerorts nicht durchgesetzt, weil viele ÄrztInnen nicht bereit seien, den langen Ausbildungsweg zu gehen. Es sei bequemer und vor allem lukrativer, Frauen Halbwahrheiten zu erzählen und Medikamente zu verschreiben. Dann haben GynäkologInnen auch erst einmal eine Verschnaufpause von den schwierigen Schmerzpatientinnen. Denn: ÄrztInnen sind genervt von uns. Sie nennen Endometriose oft „verwirrend“.

Jüngeren Endometriose-Patientinnen wird geraten, so schnell wie möglich schwanger zu werden. Auch dieser Rat beruht auf Sampsons Theorie. Es wird erzählt: Je mehr Zyklen man vor der Schwangerschaft habe, desto schlimmer würde die Endometriose werden. Das heißt im Umkehrschluss: Selbst schuld, wenn Frauen erst so spät Kinder kriegen. Zudem würde eine Schwangerschaft wie eine Therapie wirken.

Die Untersuchung der Gebärmutter
ist immer noch nicht Routine

Die Realität aber sieht ganz anders aus: Schon bei Teenagern können ausgeprägte Befunde vorliegen, und bei manchen fingen die Beschwerden erst nach der Schwangerschaft richtig an. Laut Kate Sear würden Frauen, die Hormone und Schwangerschaft ablehnten, geradezu als „unartige Individuen“ wahrgenommen. Noch immer gehört die Untersuchung der Gebärmutter nicht zu den Routineuntersuchungen, die Anfänge der Grundlagenforschung sind erst von 2002.

Ich beschäftige mich nun seit 15 Jahren mit der Literatur und Forschung zur Endometriose, ich besuche Fachkongresse und rede mit ExpertInnen. In meinem ersten Buch („Nicht ohne meine Wärmflasche“) habe ich all meine Erfahrungen und Erkenntnisse festgehalten, und ich gebe eine erste Orientierung aus Patientinnen-Sicht nach der Diagnose. Nach all den Jahren muss ich die ernüchternde Frage stellen: Will man uns überhaupt helfen?

Nein. Frau muss also selbst nach Wegen suchen. Nach einem langen Leidensweg bin ich heute schmerzfrei. Mein persönlicher Weg aus dem Schmerz begann mit der Aufarbeitung eines Traumas. Das macht meine Endometriose aber noch lange nicht zu etwas „Psychosomatischem“, denn ein Trauma steckt im Nervensystem fest, was sich wiederum auf das Immun- und Hormonsystem auswirkt. Daher kann Trauma-Arbeit die Selbstheilungskräfte des Körpers aktivieren. Aber nicht jede Betroffene hat ein Trauma zu bewältigen.

Manchmal bginnt der Weg aus dem Schmerz mit der Aufarbeitung eines Traumas

Aktuell wird vermutet, dass es sich bei Endometriose um eine multikausale Erkrankung, also eine Erkrankung mit mehreren möglichen Ursachen und verschiedenen Unter-Erkrankungen handelt, ähnlich wie bei Brustkrebs. Das wird die Forschung hoffentlich eines Tages für uns herausfinden.

Ich möchte anderen betroffenen Frauen Hilfe zur Selbsthilfe und vor allem mehr Selbstbewusstsein geben, um für sich in einem System einzutreten, das uns nicht ernst nimmt und die Schuld bei uns sucht. Wir müssen uns als Betroffene zusammenschließen und um vollumfängliche Aufklärung, Rehabilitationsmaßnahmen, staatliche Unterstützung und Forschung zu Therapien kämpfen. Die Medizin darf diese schwerwiegende Krankheit von zehn Prozent der Weltbevölkerung nicht länger ignorieren!

MARTINA LIEL
 

Weiterlesen
Martina Liel: "Nicht ohne meine Wärmflasche – Leben mit Endometriose (KomplettMedia, 18.99 €). Endometriose und Psyche (Komplett Media, 20 €).

Filmtipp
Österreichische Filmemacherinnen haben den ersten deutschsprachigen Dokumentarfilm über Endometriose gedreht: „Nicht die Regel“.

Artikel teilen
 
Zur Startseite