Legale Abbrüche verboten!
Wer geglaubt hatte, die skandalöse Bevormundung ungewollt schwangerer Frauen – die auch Nicht-konservative-Regierungen in den vergangenen 50 Jahren nicht beendet haben – sei nicht mehr zu toppen, wurde am 7. August eines Besseren belehrt. Da fällte das Arbeitsgericht Lippstadt ein Urteil, das man leider als historisch bezeichnen muss. Es gab einer katholischen Klinik Recht, die einem Arzt Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation untersagt.
Prof. Joachim Volz war 13 Jahre lang Chefarzt des „Zentrum für Frauenheilkunde“ am Evangelischen Krankenhaus Lippstadt. Im Jahr 2024 fusionierte das Krankenhaus mit dem katholischen Krankenhaus. Im Februar 2025 bekam Volz die Anweisung, dass man ab jetzt „die katholischen Belange hinsichtlich der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen beachten“ müsse. Das bedeutet: Abtreibungsverbot. Einzige Ausnahme: Das Leben der Mutter ist gefährdet. Dass so etwas für die Schwangere immer wieder tödlich endet, sehen wir in Polen. Dort sind mehrere Frauen an Sepsis gestorben, weil die Ärzte aus Angst vor Strafe zu lange warteten, bis sie den Fötus holten.
Die Sache hat System. Selbst CDU und auch CSU scheint klar zu sein, dass sie besser daran tun, den – eh schon faulen – Abtreibungskompromiss im §218 nicht etwa noch zu verschärfen. Aber da gibt es ja noch eine andere Stellschraube: die ÄrztInnen. Schon heute gibt es in Deutschland ganze Landstriche, in denen keine Klinik mehr Abtreibungen durchführt. Die Zahl der Krankenhäuser und ÄrztInnen, bei denen Frauen eine Schwangerschaft beenden können, hat sich in den letzten 20 Jahren halbiert, von rund 2.000 auf 1.089. Und es werden immer weniger, denn die alten ÄrztInnen schließen ihre Praxen und die jungen wollen sich weder die Bedrohung durch sogenannte „Lebensschützer“ aufbürden, noch eine medizinische Leistung erbringen, die im Strafgesetzbuch steht.
Schon heute gibt es Landstriche, in denen keine Klinik mehr Abtreibungen durchführt
Hinzu kommt: Mit der Krankenhausreform der Ampel werden immer mehr Kliniken fusionieren – und in katholischer Trägerschaft Abtreibungen aus dem Leistungskatalog streichen. „Ein Abtreibungsverbot durch die Hintertür“, nennt das Chefarzt Joachim Volz. Für den 67-jährigen Spezialisten für Pränataldiagnostik ist klar: Das lässt er sich nicht bieten! Er klagte auf Einhaltung seines Arbeitsvertrags, der ihn berechtigt, medizinisch indizierte Abbrüche durchzuführen.
Mit seinem Widerstand befindet sich der Gynäkologe in bester Tradition. 1974 hatten 329 ÄrztInnen im Spiegel erklärt: „Wir haben abgetrieben und werden das auch weiterhin tun!“ Denn: „Abtreibung ist keine Gnade, sondern ein Recht.“ Sie solidarisierten sich mit dieser mutigen Aktion mit den Frauen, die in Deutschland seit der Stern-Aktion 1971 zu Zehntausenden auf die Straße gegangen und für die Fristenlösung demonstriert hatten. Wenige Wochen vor der Abstimmung im Bundestag hatten Feministinnen, initiiert von Alice Schwarzer, die Aktion „Letzter Versuch“ gestartet und dazu auch die Ärzte mobilisiert. Mit Erfolg: Mit den Stimmen von SPD und FDP beschloss der Bundestag die Fristenlösung. Doch die wurde bald darauf vom Bundesverfassungsgericht gekippt.
Ein halbes Jahrhundert später klagt nun Joachim Volz für die „Würde meiner Patientinnen“, wie er sagt. „Die werden entmündigt, es wird ihnen das Recht auf ihre freie Entscheidung abgesprochen.“ Doch das Gericht gab der Klinik Recht: Die habe als Arbeitgeber das Weisungsrecht. Und dieses Recht, so befand der Richter, erstrecke sich auch auf die private Kinderwunschklinik, die Joachim Volz gemeinsam mit seiner Frau betreibt. Auch dort soll Prof. Volz nun keine Abtreibungen mehr durchführen dürfen. Volz ist fassungslos und stellt die entscheidende Frage: Wie kann die Politik das zulassen? EMMA sprach mit dem Arzt nach dem Urteil.
Herr Prof. Volz, haben Sie mit dem Urteil gerechnet?
Ich habe damit gerechnet, dass mir untersagt wird, Schwangerschaftsabbrüche am Klinikum durchzuführen, weil der Richter schon vorab signalisiert hatte, dass er hier ein Weisungsrecht des Arbeitgebers sieht. Aber dass er der Klinik auch darin Recht gibt, dass sie mir Abbrüche in meiner eigenen Praxis verbieten will – das hätte ich nicht gedacht. Das ist ungeheuerlich!
In Ihrem Fall geht es noch nicht einmal um normale Abtreibungen bei ungewollt schwangeren Frauen, sondern um Abbrüche bei einer medizinischen Indikation. Was sind das für Fälle?
Wir sind ein staatlich anerkanntes Pränatal-Zentrum der Stufe 1, also das höchste Level, das es gibt. Die Frauen kommen zu mir und wollen wissen, ob ihre Schwangerschaft gut verläuft. Ich mache einen Ultraschall und stelle fest: Das Kind hat keine Schädeldecke, hat einen offenen Bauch oder einen offenen Rücken. Es geht also um Föten, die meist gar nicht lebensfähig sind. Oder es droht ihnen eine schwere geistige Schädigung. Wir klären die Frau dann darüber auf, wie schwer die Behinderung voraussichtlich sein wird und was sie für das Leben dieses Kindes bedeuten würde. Dann entscheidet sie, ob sie sich das zumuten möchte, für die Schwangerschaft und für ihr Leben. Und das ist selbstverständlich ihre Entscheidung.
Das sieht der katholische Träger der Klinik anders.
Er möchte aufgrund seiner eigenen Moralvorstellungen alle Abbrüche, im Gegensatz zu meinem ursprünglichen evangelischen Träger, kategorisch verbieten und uns alle, mich und meine Mitarbeiterinnen, diesen Vorstellungen unterwerfen. Ich kann das nicht akzeptieren. Unser Gesetzgeber hat klar verboten, Ärzte an einer legalen Abtreibung zu hindern. Genauso gut könnte man uns sagen, wir seien ab jetzt der Scharia unterworfen. Oder die Zeugen Jehovas würden mir Bluttransfusionen verbieten. Das ist dieselbe Logik. Ich bin vor vielen Jahren bewusst aus der Kirche ausgetreten. Wieso soll ich mich jetzt einer katholischen Moral unterordnen, der ich nie zugestimmt habe.
Sie sind der erste Arzt, der nun klagt. Aber ihr Fall ist nicht der erste.
Nein, es gibt viele solcher Fälle. Der bekannteste ist in Flensburg, aber auch hier in der Nachbarschaft, in Soest, ist das gleiche passiert. Ich habe mit vielen Chefinnen und Chefs von katholischen Frauenkliniken gesprochen. Dort gilt ausnahmslos ein striktes Abtreibungsverbot. Und jede neue Fusion wird dazu führen, dass noch eine Klinik keine Abbrüche mehr durchführt. Die katholische Kirche macht Politik über die Fusion von Krankenhäusern. Deshalb klage ich. Um diesen Automatismus zu durchbrechen, dass selbst der legale medizinische Schwangerschaftsabbruch in Deutschland zurückgedrängt wird. In Bayern gibt es jetzt schon kaum noch Stellen, wo Frauen einen solchen Abbruch machen lassen können. Mittlerweile fahren jährlich über 1.500 Frauen wieder nach Holland - für einen Abbruch nach medizinischer Indikation, das muss man sich mal vorstellen! Das ist eine furchtbare Entwicklung.
Was müsste die Politik tun?
Jedes Krankenhaus, das eine Frauenklinik hat, hat gefälligst zu tun, was der Staat gesetzlich festgelegt hat! Auch die Krankenhäuser in konfessioneller Trägerschaft sind doch zu 100 Prozent staatlich finanziert. Nur, weil ein katholischer Träger mal vor hundert Jahren ein Grundstück und ein Gebäude gekauft hat, kann er doch nicht bestimmen, dass Frauen eine so lebenswichtige Gesundheitsleistung verweigert wird. Der Staat darf sich diese Entscheidung nicht wegnehmen lassen und irgendwelche Sonderregeln akzeptieren. Kein Mensch zwingt die katholische Kirche, eine Frauenklinik zu übernehmen. Warum machen sie das also? Weil sie ihre Moral durch die Hintertür diktieren will. Es ist nicht akzeptabel, wie sich diese katholische Männerorganisation über die fundamentalen Rechte von Frauen hinwegsetzen kann.
1974 haben 329 Ärztinnen und Ärzte bekannt: „Wir haben abgetrieben!“ und sich mit dem Kampf der Frauen gegen den §218 solidarisiert. Sind Sie Einzelkämpfer - oder tut sich die Ärzteschaft angesichts solcher Gerichtsurteile womöglich wieder zusammen?
Leider kann ich so ein Aufbäumen der Ärzteschaft im Augenblick nicht erkennen. Von der „Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe“ hat es jedenfalls keine Solidaritätsbekundung für mich gegeben. Der ehemalige Präsident der DGGG hat mich zwar angerufen und mir versichert, dass er mich unterstützt, aber das läuft eher auf der privaten Ebene. Die Bundesärztekammer hatte sich im Mai dieses Jahres zwar dafür ausgesprochen, Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch zu nehmen, aber seitdem hat man nichts mehr von ihnen gehört. Unsere zuständige Ärztekammer hat immerhin ein Statement abgegeben. Ich bin natürlich in Kontakt mit Kristina Hänel und den „Doctors for Choice“. Aber ich hatte gehofft - und das war auch ein Grund für meine Klage -, dass ich meine Kollegen in den Verbänden mobilisieren kann. Aber diesen Aufschrei höre ich leider noch nicht. Aber vielleicht kommt das noch.
Sie sind jetzt 67, in zwei Jahren gehen Sie in Pension. Hätten Sie auch geklagt, wenn Sie 30 wären und Ihre Karriere noch vor sich hätten?
Auf jeden Fall! Ohne eine Sekunde zu zögern. Wenn etwas so sehr meiner Grundüberzeugung von ärztlichem Handeln widerspricht, dann nehme ich das nicht hin. In dieser Beziehung bin ich sehr konsequent. Abgesehen davon: Meine Petition hat über 250.000 Unterschriften. Daran sehe ich, dass mein Anliegen in der Bevölkerung auf ganz breite Zustimmung stößt. Und ich sehe meine Aufgabe auch darin, diesen Menschen eine Stimme zu geben. Wenn wir in die USA schauen, sehen wir, wie schnell Frauen das Recht auf Abtreibung wieder genommen werden kann.
Wie geht es jetzt weiter?
Ich hoffe auf die nächste Instanz. Und falls ich wieder verlieren sollte, gehe ich, wenn es möglich ist, bis zum Europäischen Gerichtshof.
Das Gespräch führte Chantal Louis.
Hier geht es zur Petition: "Ich bin Arzt und meine Hilfe kann keine Sünde sein! Stoppt die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen!"