Ohne Kopftuch schlauer

Foto: Remi Dugne/MAXPPP/IMAGO
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Ein langer schwarzer Überwurf, dazu ein Kopftuch oder Gesichtsschleier: In vielen autoritären muslimischen Staaten der Golfegion wie Saudi-Arabien und Katar ist die Abaya ein religiöses und traditionelles Gewand für Frauen. Frauen müssen zu jeder Jahreszeit die Abaya tragen, sobald sie den öffentlichen Raum betreten. Die Verhüllung der Frau wird mit Argumenten wie „Bescheidenheit“ und „Frömmigkeit“ legitimiert. Doch im Grunde geht es darum, dass im öffentlichen Raum kein Platz für Frauen vorgesehen ist. So wollen es die Männer: Der öffentliche Raum ist ihr Herrschaftsgebiet, die Frau lediglich geduldet.

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Das Kopftuchverbot hat die Leistungen muslimischer Mädchen erheblich verbessert

Es ist ein Frauenbild, das Islamisten weltweit durchzusetzen versuchen: Der Körper der Frau soll im öffentlichen Raum als Zumutung und Versuchung für den Mann verstanden werden und hat darum ganz verhüllt zu sein, amorph, dunkel und ohne Eigenschaften. Derartige Frauenbilder werden im Westen direkt oder indirekt gefördert. Für Modehäuser wie Dior, Chanel oder Zara ist die sogenannte „modest fashion“ ein Millionengeschäft.

Gestützt auf ein Gesetz aus dem Jahr 2004 verbietet Frankreich an Bildungseinrichtungen das Tragen von Kleidern und Symbolen, die die religiöse Zugehörigkeit zur Schau stellen. Dazu zählen auch Kippa und Kopftuch. Da die Abaya auch in diese Kategorie gehört, wurde sie kurz vor Schulanfang 2023/24 ebenfalls verboten.

Denn auch in Frankreich sind Frauen oft einem starken sozialen (männlichen) Druck ausgesetzt, sich „bescheiden“ zu kleiden. Das Verbot religiöser Symbole kann diesen Druck zumindest lindern, wie der französische Ökonom Éric Maurin kürzlich dargelegt hat. Er hat untersucht, inwiefern das Gesetz aus dem Jahr 2004, welches das ostentative Tragen religiöser Symbole in der Schule untersagt, einen Einfluss auf die Entwicklung von muslimischen Schülerinnen und Schülern hat. Sein Befund ist klar: Das Verbot von Kopftüchern hat die Leistungen muslimischer Mädchen „erheblich verbessert“ und sogar die Zahl der Mischehen erhöht.

Das Verbot von auffälligen religiösen Symbolen in der Schule ist laut Maurin ein Faktor, der soziale Ungleichheiten verringert und die soziale Durchmischung und Integration fördert. Überdies stellt er fest, dass Mädchen, die nach dem Kopftuchverbot eingeschult wurden, kaum noch die Schule abbrechen. Bei muslimischen Jungen liegt der Anteil der Schulabbrecher dagegen weiterhin massiv über dem Durchschnitt.

Dies sollte eigentlich zu einer großen Akzeptanz durch die Linke führen. Doch ein Teil der französischen Linken, namentlich „La France insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon, zieht es mit Blick auf muslimische Wählerstimmen vor, sich dem Islamismus gegenüber nachgiebig und „solidarisch“ zu zeigen. Mélenchon selbst hat in den letzten Jahren eine Kehrtwende vollzogen. Betende, so sagte er einst, hätten nichts auf der Straße verloren, die Instrumentalisierung des Frauenkörpers durch Fundamentalisten bezeichnete er als „niederträchtig“. Inzwischen gehört er zu jenen Linken, die Kritik an islamistischen Praktiken als „islamophob“ brandmarken.

Der Vater einer Schülerin hat dem Schuldirektor mit Enthauptungen gedroht

Laizität ist in den Augen dieser Linken ein „überholtes Konzept“, das die angeblich strukturelle „Islamophobie“ und den Rassismus des Staates verschleiern soll. Vertreter dieser Richtung verkennen jedoch hartnäckig, dass Teenager, die provokativ mit ihrer religiösen Zugehörigkeit in der Schule spielen, sehr oft von islamistischen Organisationen oder Personen aus ihrem Umfeld instrumentalisiert werden.

So hat kürzlich in der französischen Stadt Clermont-Ferrand der Vater einer Schülerin, der das Tragen einer Abaya in der Schule untersagt wurde, dem Rektor des Gymnasiums mit Enthauptung gedroht. Natürlich weckte der Fall Erinnerungen an den Geografieund Geschichtslehrer Samuel Paty, der 2020 von einem Islamisten auf offener Straße geköpft wurde. Er hatte seinen Schülern das Prinzip der Meinungsfreiheit erklärt und ihnen religionskritische Karikaturen gezeigt, worauf ihn Islamisten in sozialen Netzwerken der „Islamophobie“ bezichtigten. Der Vater der Schülerin wird sich Ende Oktober dafür vor Gericht verantworten müssen.

Abgesehen von den Drohungen aus lokalen islamistischen Kreisen befindet sich Frankreich seit dem Verbot der Abaya erneut im Visier islamistischer Organisationen im Ausland, die eine breit angelegte digitale Diffamierungskampagne lancierten. Auch die terroristische Organisation al-Kaida hat in der aktuellen Ausgabe ihres Magazins „Sada al-Malahim“ mit Anschlägen gedroht. Ihre Rhetorik richtet sich namentlich gegen Schweden und Dänemark, wo ein irakischer Aktivist mit Koranverbrennungen provoziert, aber auch gegen Frankreich. Laut al-Kaida geht es um Länder, die „Gott bekämpfen“.

Der hier leicht gekürzte Text erschien zuerst in der NZZ.

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