So Kinderarmut bekämpfen?

Foto: Florian Gaertner/Photothek/IMAGO
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Ich kann kaum fassen, wie wenig von der ursprünglichen Idee der Kindergrundsicherung übriggeblieben ist. Betroffenen Familien wurden weniger Bürokratie und mehr Geld in Aussicht gestellt. Die meisten von ihnen werden nichts davon bekommen!“, empörte sich die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, nachdem das Bundeskabinett am 27. September den Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung beschlossen hatte. 

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Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie und das Deutsche Kinderhilfswerk schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, sie sehen das Vorhaben als gescheitert an. Selbst die mageren 2,4 Milliarden werden höchstwahrscheinlich in der Umstrukturierung der Bürokratie verschwinden. Damit werde keinem einzigen Kind geholfen, so die Sozialverbände einstimmig.

Da klingt es wie Hohn und Spott, wenn Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) gänzlich unbeeindruckt von der Kritik sämtlicher Sozialverbände und Kinderschutzorganisationen ist, ja, ihren Entwurf als „Systemwechsel“, sogar als „Meilenstein“ feiert und verkündet, ihre Reform sei „der Einstieg in die Abschaffung der Kinderarmut“.

Doch damit nicht genug. Alleinerziehenden, die seit Jahren auf mehr Kindergeld und echte Reformen hoffen – etwa auf die steuerliche Gleichstellung zu Paarfamilien –, bringt nicht nur die neue Kindergrundsicherung nichts – sie müssen nun auch noch zusätzlich um Unterhaltszahlungen bangen. Denn: Unterhaltszahlungen sollen sich künftig stärker danach richten, wie stark sich der vom Kind getrennt lebende Elternteil bei der Betreuung engagiert. Das sieht die Reform zum Unterhaltsrecht vor, deren Eckpunkte Bundesjustizminister Marco Buschmann vorstellte. Diese soll, wie die Kindergrundsicherung auch, Teil einer „großen Reform im Familienrecht“ sein.

Buschmann reichen für die Kürzung des Unterhalts 29 Prozent Betreuungszeit. Im Klartext: Wenn Papa mit dem Kind öfter mal ins Kino geht, muss er auch weniger Unterhalt zahlen. Bislang ist das nur der Fall, wenn getrennte Eltern das sogenannte „echte Wechselmodell“ auch wirklich 50/50 umsetzen. Grund für die Reform des FDP-Politikers: Buschmann möchte Alleinerziehenden „einen Anreiz geben, arbeiten zu gehen“. Einen Anreiz … Dabei sind schon drei Viertel aller Alleinerziehenden berufstätig. 43 Prozent arbeiten sogar in Vollzeit. Zum Vergleich: Bei Müttern in Paarfamilien sind es nur 32 Prozent.

Und noch einen weiteren wesentlichen Fakt scheint der Justizminister zu ignorieren: 2,2 Millionen Kinder wachsen in einer Ein-Eltern-Familie auf, 88 Prozent davon bei ihren Müttern. Rund 700.000 Väter (und in wenigen Ausnahmefällen Mütter) kommen ihrer Unterhaltspflicht überhaupt nicht nach. Viele Mütter verzichten sogar auf Unterhaltszahlungen, weil sie Angst vor Repressalien durch den Vater haben, etwa wenn Gewalt in der Ehe der Scheidungsgrund war. Damit die Kinder dennoch finanziell versorgt sind, springt Vater Staat mit einem Unterhaltsvorschuss ein. 2022 waren das 2,5 Milliarden Euro!

Die „Mütterinitiative für Alleinerziehende“ (MIA) spricht in Bezug auf Buschmanns Reformvorhaben von „finanzieller Gewalt“. „Das Aufrechnen von Mitbetreuungszeit gegen Unterhalt setzt falsche Anreize und liefert eine weitere Möglichkeit, Frauen und Kinder unter Druck zu setzen und finanzielle Gewalt gegen sie auszuüben“, so die Vorsitzende Stefanie Ponikau.

Und auch der „Verband alleinerziehender Mütter und Väter“ (VAMV) meldet starke Bedenken an. „Wenn das Unterhaltsrecht erneut die Lebenswirklichkeit in Familien und am Arbeitsmarkt überholt, wird das Armutsrisiko für Alleinerziehende weiter verschärft!“, warnte die Bundesvorsitzende Daniela Jaspers.

Für die Einführung der „Kindergrundsicherung“ strebt die Bundesregierung den 1. Januar 2025 an. Die „Bundesagentur für Arbeit“, die für die Abwicklung der Kindergrundsicherung zuständig sein wird, hat bereits kritisiert, dass selbst dieses Datum für die Re-Organisation nicht zu halten sein wird. Die Behörde brauche nach Bundesratsbeschluss schon allein zwölf Monate für die Umstellung ihrer IT, die einen Großteil der „Kindergrundsicherung“ schlucken wird.

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