Alice Schwarzer schreibt

Oscar: Krieg gegen Kitsch

Cillian Murphy bekam den Oscar als „Bester Hauptdarsteller“ seine Rolle in "Oppenheimer".
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Der bunte Werbefilm für Barbie ging leer aus, das (teilweise) schwarz-weiße Anti-Kriegsdrama Oppenheimer bekam sieben Oscars, u.a. für den „Besten Film“, die „Beste Regie“ (Christopher Nolan) und den „Besten Hauptdarsteller“ (Cillian Murphy). Ebenso der „Beste Nebendarsteller“ Robert Downey jr. Er dankte bei der Entgegennahme des glitzernden Oscars nicht nur seiner Frau, sondern auch seiner „schrecklichen Kindheit“. Will sagen: Wer den Schmerz überlebt, lernt nicht nur als Schauspieler fürs Leben.

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Die beiden Filme waren im Sommer gleichzeitig rausgekommen: der mit allen Mitteln des Marketings lancierte Barbie – und der mit allen Mitteln der Kunst inszenierte Oppenheimer. Er zeigte den „Vater der Atombombe“, Robert J. Oppenheimer (1904-1967), als leidenschaftlichen Forscher, der die Büchse der Pandora öffnet – und seine eigene furchtbare Erfindung nicht zurückgeholt bekommt.

Wir sehen sein Entsetzen nicht nur beim ersten Atomtest, sondern auch bei seiner Verteidigung gegen die Hexenjäger der McCarthy-Ära, die in Robert Oppenheimer einen der von ihnen gehassten und verfolgten „Kommunisten“ oder einfach nur einen Linken vermuten. Darauf deuteten in den Augen der Selbstgerechten nicht nur die Lebenszusammenhänge des Forschers hin, sondern auch die Tatsache, dass der Humanist nach der Erfindung der Atombombe lebenslang dafür kämpfte, dass die Weltmächte Amerika und Russland sich mit ihrem Wissen um die Bombe zusammentun sollten, um das Grauen gemeinsam zu bannen. Das Gegenteil geschah, wie wir heute wissen.

Nie war die Gefahr, dass die Großmächte die Atombombe einsetzen, so groß wie heute 

Am 6. August 1945 warfen die Amerikaner eine Atombombe über der japanischen Hafenstadt Hiroshima ab, drei Tage später eine zweite über Nagasaki. Angeblich, um das mit Nazi-Deutschland verbündete Japan zur Kapitulation zu zwingen – doch die war eigentlich längst erfolgt. In Wahrheit warfen sie die Bombe ab, um sie auszuprobieren. Die Folge: zehntausende Tote und ebenso viele Verstümmelte – von den Städten und der Natur ganz zu schweigen. Das Leid dauert bis in die Gegenwart an.

Heute dräut wieder die Atombombe. Nie war, sagen Experten, die Gefahr der Bombe nach 1945 so nah wie heute. Eine Bombe, geworfen von Russland oder Amerika, den beiden Ländern, von deren verantwortungsvollem Zusammengehen der „Vater der Atombombe“ geträumt hat, zum Schutz der Menschheit? Damit sie gemeinsam die Garantie dafür übernehmen, dass die Bombe nie mehr eingesetzt wird.

Der Film Oppenheimer ist nicht nur gut gemeint, sondern er ist ebenso gut, ja großartig gemacht: vom eindringlichen Spiel nicht nur des Hauptdarstellers Murphy bis hin zu dem erschreckenden Schauspiel der ersten Probezündung der Bombe. Selten war ein Film so brennend aktuell.

Der Spiegel schafft es dennoch, die Oscar-Verleihung als „so unpolitisch“ zu bezeichnen. Wirklich bemerkenswert.

Rudolf Höss wurde in Auschwitz gehängt, Hedwig starb 1989 unbehelligt in Virginia. 

Bemerkenswert auch der „Beste internationale Film“: „Zone of Interest“ des Briten Jonathan Glazer. Er zeigt die Familie Höß. Da lebt der Lagerkommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, mit Frau und Kindern in einer Kleinfamilienidylle direkt neben dem Vernichtungslager, Mauer an Mauer. Es geht ihnen gut, es stört sie nichts. Seine Frau, Hedwig Höß, lässt KZ-Häftlinge in ihrem üppig-schönen Garten malochen. Sie schaut noch nicht einmal weg. Sie sieht gar nicht erst hin.

Rudolf und Hedwig Höß mit ihren Kindern im Jahr 1943.
Familie Höß im Jahr 1943.

Übrigens: Lagerkommandant Rudolf Höß wurde 1947 von den Polen in seinem Garten in Auschwitz gehängt, mit Blick auf die Gaskammern. Seine Frau Hedwig starb unbehelligt 1989 in Arlington/Virginia, bei ihrer Tochter. Die war erst nach Franco-Spanien gegangen, dann Balenciaga-Model in Paris geworden und hatte einen Amerikaner geheiratet. Die Frau des Lagerkommandanten war nie zur Rechenschaft gezogen worden - eben nur eine Ehefrau….

Doch im beklemmenden Spiel von Sandra Hüller verrät schon der Körper und der Gang von Hedwig Höß ihre Unberührbarkeit und Undurchdringlichkeit. Der Film des Briten Jonathan Glazer erhielt zu Recht den Regie-Oscar für den „Besten internationalen Film“.

Und die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller, die auch in dem Beziehungsdrama „Anatomie eines Falls“ zwischen einer starken Frau und einem schwachen Mann in dem ebenfalls nominierten französischen Film tief beeindruckend ist? Sie ging leer aus. Diesmal. Sie wird noch reichlich Gelegenheit haben, Oscar-prämiert zu werden.

ALICE SCHWARZER
 

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