Mandy: Sie hat überlebt

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Sie ist nicht zu übersehen, wie sie da an der Hotelbar sitzt. Die weißblondierten Haare, die rote Hose, die papageienbunten Schuhe. Vielleicht will sie nach zwei Jahrzehnten, in denen sie auf keinen Fall auffallen durfte – weil das sie oder ihre beiden Söhne das Leben hätte kosten können – genau das: endlich gesehen werden. Mit all ihren Verletzungen, ihrem Mut, ihrem Kampf um ihre Würde. Mandy Kopp, deren Name 20 Jahre lang nicht an die ­Öffentlichkeit gelangen durfte, hat sich entschlossen, aus der ­Deckung zu gehen. Das Buch, das sie über ihre Zeit im Leipziger Kinderbordell „Jasmin“ und ihre Erfahrungen im „Sachsensumpf“ geschrieben hat, heißt: „Die Zeit des Schweigens ist vorbei“.

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Morgen früh wird sie im ZDF-Studio Düsseldorf einen Fernsehauftritt haben, und auch an diesem Abend in der Bar des Hilton wird sie reden, vier Stunden lang. Mandy Kopp spricht schnell, wie jemand, der keine Zeit mehr verlieren will. Wie ein Mensch, der auf Hochtouren laufen muss, weil sonst die furchtbaren Bilder hochkommen, sobald es still wird. Es sind viele Bilder, viel zu viele, und deshalb ist es nicht immer leicht, ihren Erzählungen zu folgen. Sie springen von der rahmenlosen Brille, die der von ihr als Freier erkannte „Heinz“ niemals getragen haben will, die findige Journalisten dann aber doch auf einem Foto entdeckten; über die Flashbacks von den Horror-Nächten im „Jasmin“ bis hin zu ihrem Lebensgefährten Pierre, dem ersten Mann, mit dem körperliche Nähe endlich nichts mehr ist, was sie abwehren muss. Eins aber ist völlig klar: Mandy Kopp hat eine Riesenwut.

Die heute 36-Jährige hat viel mitgemacht in diesen Jahren. Dreimal hat sie ausgesagt: 1993, 2000 und 2008. Dreimal hat sie ihr Leben riskiert, dreimal verliefen die Ermittlungen nach den Freiern des Kinderbordells im Schlamm des Sachsensumpfes. Das alles hat sie irgendwie weggesteckt. Aber seit März 2012 steht sie nun selbst vor Gericht: wegen Verleumdung zweier Männer, die sie in Lichtbildmappen der Polizei als ehemalige Kunden des „Jasmin“ erkannt haben will. Der eine ist Präsident eines Landgerichts, der andere inzwischen pensionierter Vizepräsident eines Landgerichts. Eine zweite Frau, die damals mit Mandy Kopp im „Jasmin“ anschaffen musste, hat die beiden Männer ebenfalls identifiziert. Doch die streiten alles ab.

„Jetzt sind sie bei mir einfach zu weit gegangen!“ sagt Mandy und weil sie hier in der Bar nicht rauchen darf, um sich zu beruhigen, nimmt sie einen sehr großen Schluck Pils. Die Dresdner Staatsanwaltschaft hat sie in ihrer Anklageschrift als „Prostituierte“ tituliert. „Das ist eine Unverfrorenheit! Die tun so, als ob ich das freiwillig gemacht hätte. Dabei bin ich hier das Opfer!“

Bei der Befreiung aus dem „Jasmin“ war Mandys Körper mit Striemen übersät. Der Polizeiarzt kämpfte mit den Tränen. Das war 1993. Mandy war acht, als ihr Cousin anfing, sie zu missbrauchen und zehn, als ihre Mutter Anzeige erstattete. Aber eigentlich war Mandys Welt schon vorher aus den Fugen geraten. Als das Mädchen drei Jahre alt ist, erkrankt ihre schwangere Mutter an Gebärmutterhalskrebs. Die fünf ahnungslosen Kinder werden ohne Erklärung getrennt und vorübergehend in diverse Kinderheime gesteckt. Brüderchen Matthias stirbt kurz nach der Geburt an einem Gehirntumor. Die Eltern haben massive Alkoholprobleme und wenden sich einer freikirchlichen Gemeinde zu.

Mandy ist zwölf, als der Vater stirbt. Und sie ist 14, als sie immer öfter von zu Hause abhaut und sich, zusammen mit ihrer Freundin Lea, auf der Straße herumtreibt. Bis ihnen ein Typ von „Martins Mädchen-WG“ erzählt, in der es einen Platz zum Schlafen gäbe. Zuhälter haben einen Blick für Mädchen, die so was glauben. Mandy, 16, und Lea, 13, glauben es und gehen in die Wohnung in der Merseburger Straße, in der Zuhälter Martin Kugler sie am selben Abend mit K.o.-Tropfen betäubt und vergewaltigt. Jetzt beginnt, nur wenige Kilometer von Mandys Elternhaus, in einem ganz normalen Leipziger Altbau, die Hölle.

Wie kann das sein? „Das hab ich mich auch gefragt“, sagt Mandy Kopp. Die Mädchen haben Zigarettenschachteln aus dem Fenster geworfen, auf denen stand: „Hilfe, wir werden hier festgehalten!“ Später sagten die Nachbarn aus, man habe sich eben nicht einmischen wollen. „Sowas passiert nicht nur Rumäninnen“, sagt Mandy und dass sie den „Tatort“ mit Maria Furtwängler über den Sachsensumpf zwar „wichtig“ fand, aber da seien es ja auch wieder die Osteuropäerinnen gewesen. „Es passiert aber auch deutschen Frauen und Mädchen jeden Tag!“

Und jetzt steht Mandy Kopp, zusammen mit der anderen „Prostituierten“ vor Gericht. Nach drei Verhandlungstagen ist sie zusammengebrochen. Das war im November 2012. Immer wieder böte die Staatsanwaltschaft ihnen an, das Verfahren einzustellen, wenn sie ihre Vorwürfe zurücknähmen. Das kommt für Mandy Kopp nicht in Frage. „Ich halte es nur noch aus, indem ich aktiv werde“, sagt sie. Seit ihr Buch im März erschienen ist, ist sie wieder untergetaucht.

Es ist fast Mitternacht, als wir uns verabschieden. In der Lobby kommen wir am Ständer mit den vielen Kärtchen über Düsseldorfs Vergnügungsmöglichkeiten vorbei. Der Escort-Service number1 vermittelt „heisse Sexdates“, die Dolce Vita Erotic Lounge verspricht „50 Girls & More“. „Das kann ja wohl nicht wahr sein!“ sagt Mandy Kopp. Ist es aber. Sie geht zurück zur Bar und bestellt sich noch ein Bier.

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Mandy Kopp: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (Ullstein, 16.99€)

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