M. Bourke-White: Die rasende Reporterin

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Sie raste in Herrenanzügen um den Globus, eine Kamera im Gebäck und viel Frechheit auf Lager: Margaret Bourke-White, Starfotografin von "Life", rasende Reporterin, Kriegsberichterstatterin von Deutschland bis Pakistan und engagierte Sozialkritikerin. Sie galt als Erfinderin der Foto-Reportage in den USA und sie ersann das großformatige Cover-Gesicht. Bereits zu ihren Lebzeiten war sie Legende.

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März 1945, Köln, Wallrafplatz: Gegenüber dem Haus, in dem heute die EMMA-Redaktion ist, sitzt eine Amerikanerin in der Uniform der Air Force und wartet auf Dynamit: Sie macht mit bei einer "Befreiungsaktion", wie die Soldaten das nennen, und das Dynamit brauchen sie, um einen Safe zu sprengen, der da in den Trümmern liegt. Die Frau erinnert sich: "Das Schild ,Hohe Straße' hing immer noch an der Ecke, aber die eleganten Läden waren in Steinhaufen und Staub versunken, Jagdgründe für Soldaten, die hinter Souvenirs und Beute her waren."
Margaret Bourke-White war der erste Zivilist auf Kölner Boden, eingeflogen mit den US-Militärs, die gerade die Stadt eingenommen hatten. Hinter dem Dom schossen noch vereinzelt Heckenschützen, im Rundfunk ließ der Führer noch immer von Wunderwaffen erzählen.
Hier war Margaret Bourke-White - wie so oft - im wahrsten Sinne des Wortes "im Zentrum des Zeitgeschehens". Sie fotografierte als Fotoreporterin von Life die Einnahme Deutschlands vom Fall Kölns bis zum ersten Brückenschlag über den Rhein. Sie war in der Gruppe von Amerikanern, die als erste Buchenwald betrat, ihre Fotos aus dem KZ gingen um die Welt. Jahre später veröffentlicht sie den Bildband "Deutschland April 1945. Dear Fatherland rest quietly" (Lieb Vaterland magst ruhig sein) mit den ersten Fotos der zertrümmerten deutschen Städte.
Wenige Jahre später war Margaret Bourke-White die einzige ausländische Korrespondentin in der Sowjetunion. Bereits zu ihren Lebzeiten war sie Legende. Sie galt als Erfinderin der Foto-Reportage in Amerika, und sie ersann das großformatige Cover-Gesicht. Als Mann hätte sie nicht erfolgreicher sein können.
Geboren wurde sie am 14. Juni 1904 in New York City. Sehr früh schon interessierte sie sich für Biologie und Technologie, ihr Studium an mehreren amerikanischen Universitäten schloß sie als promovierte Fotografin ab.

Zwischendurch hatte sie geheiratet, einen Kollegen vom College, doch nach zwei Jahren Ehe ("Alles, was wirklich schrecklich war in meinem Leben, war in diese zwei Jahre gepreßt") ließ sie sich scheiden und stand da mit einer Ica Reflex (mit einem Sprung in der Linse) und - der Erfahrung, "wieder ein Individuum zu sein".
Ein Jahr nach der Scheidung beendet sie ihr Studium, beschließt, Berufsfotografin zu werden und ändert ihren Namen: Sie verbindet den Mädchennamen ihrer Mutter und ihren eigenen Mädchennamen zum Doppelnamen: Bourke-White.
Sie arbeitet in den ersten Jahren völlig im Stil und im Sinne der künstlerischen Avantgarde der 1920er Jahre: Industrie-Objekte, Fabriken, Montagen, Technik. Das Bauhaus fasziniert sie und die Arbeiten des Wegbereiters der Industrie-Fotografie in den Staaten, Sheeler, der durch seine Fotoserie über die Ford-Anlagen in River-Rouge berühmt war. Hier zeigt sich schon Spezifisches, eigener Anspruch, Ausbrechen bei der Anfängerin: Ihre Industrie-Fotos sind bewegt, zeigen Aktion, wirken laut, lärmig - life. Sheelers Arbeiten sind daneben ästhetisierend, kühl, statisch.
Bourke-Whites dramatische Licht-Effekte und Kontrastwirkungen sind von Anfang an erfolgreich. 1929 engagiert sie der Herausgeber der Time für sein neues Projekt: Fortune. Für Fortune entwickelt die Fotografin das neue Genre: Die Foto-Reportage, den Foto-Essay. Sie macht eine Foto-Serie über eines der großen Schlachthäuser in Chicago, "Hogs", in der die Abfolge der Bilder für sich eine Geschichte erzählt. Die Bilder emanzipieren sich vom Text zu eigner Erzählqualität. Zur gleichen Zeit arbeiten in Deutschland, in Berlin und München, Fotografen, die sich bewußt als Amateure begreifen, an genau derselben Idee. Wie die Fotografie selbst, wird auch die Foto-Reportage an verschiedenen Orten, Meilen voneinander entfernt, zugleich erfunden.

Margaret Bourke-Whites Serie gilt als Sensation, ihre Karriere als gesichert. Sie erhält die ersten Auslandsaufträge: Anfang der 1930er Jahre fährt sie mehrmals nach Deutschland, um die großen Industrie-Anlagen zu fotografieren, das Ruhrgebiet, die IG-Farben, die Lloyd-Docks in
Bremen. Ihr Hauptinteresse in dieser Zeit aber gilt der Sowjetunion. Die Fortune-Redaktion macht nicht mit, mit der Begründung, sie würde nie ein Visum erhalten.
Margaret Bourke-White setzt sich wütend, aber mit ungebrochenem Selbstbewußtsein nach Berlin ab, beantragt das Visum, nervt die Behörden sechs Wochen lang und setzt sich dann in die Transsibirische Eisenbahn. Als in einem der vielen Dörfer, die sie besucht, ein Funktionär sich besorgt nach ihrem Lebenswandel erkundigt: "Was macht sie denn abends?", erhält er von ihrem Übersetzer die nicht unbedingt beruhigende Auskunft: "Fräulein Bourke-White hat nur ein Verhältnis - das mit ihrer Kamera."
Zurück in den Staaten veröffentlicht sie 1931 ihr Buch über die Sowjetunion "Eyes on Russia" (Augen auf Rußland) und fährt ein Jahr später wieder hin, um für das New York Time Magazine sechs Foto-Reportagen über Rußland zu machen.
Zu Beginn der 1930er Jahre brach im Mittelwesten der Vereinigten Staaten die große Dürre aus und führte zu unbeschreiblichem Elend. Der amerikanische Kongreß gab ein Projekt in Auftrag, die Lage in den betroffenen Gebieten zu dokumentieren (die Fotografin Dorothea Lange wurde übrigens durch ihre Fotos für dieses Projekt berühmt). Alle Magazine entsandten ihre besten Leute.
Margaret Bourke-White war selbstverständlich auch dabei. In sieben Tagen und Nächten fotografierte sie ihre Reportage: "Das war der Beginn meiner Aufmerksamkeit für Menschen, und zwar in einem humanen, sympathisierenden Sinne, als Subjekte für die Kamera", sagt sie später in ihren Memoiren über diesen Auftrag.

1936 gibt Henry Luce ein neues Magazin heraus, das als Foto-Beilage zu Time gedacht ist: Life. Vier Fotografen stellen die erste Redaktion, Margaret Bourke-White ist eine davon. Sie erscheint in Herrenanzügen in der Redaktion, färbt sich das Haar und dirigiert ein Heer von
Assistenten. Sie läßt sich einmal pro Woche die Haare machen und kleidet sich, wenn nötig, im Taxi um.
Obwohl sie eine wahrlich schillernde Figur ist, die den Klatsch allerorten nährt, ist kaum etwas über ihr Privatleben bekannt. Sie hat das bis in ihre Memoiren hinein durchgehalten...
In Margarets internationalen Ruhm mischt sich prompt der Ruf "rücksichtslose Karrierefrau" (die ist sie wohl auch, doch sie unterscheidet sich darin wahrscheinlich in nichts von ihren männlichen Kollegen, deren Verhalten bloß niemand zur Kritik reizt). In den Ländern, die sie bereist, interessiert sie sich immer auch für die Situation der Frauen. Immer wieder verweist sie auf ihre Unterdrückung oder berichtet begeistert von Gleichberechtigungs-Erfolgen.
1937 schießt sie eines ihrer bekanntesten Fotos: Anläßlich der Überschwemmungskatastrophe im Ohio-Tal entsteht das Bild "There's no way like the american way", das bis heute den verschiedensten politischen Richtungen als Symbol für die soziale Ungleichheit in Amerika dient. Selbst Joseph Goebbels, seines Zeichens Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, bedient sich des Bildes, um den Deutschen zu zeigen, "wie's in Amerika wirklich aussieht".
Für Life entstehen ihre besten Arbeiten. Für die erste Ausgabe erhält sie den Auftrag, den großen Damm-Bau in Montana zu dokumentieren. Margaret Bourke-White, seit ihren Mittelwest- und Südstaaten-Erfahrungen neu sensibilisiert, beschränkt sich nicht darauf, die Konstruktion abzulichten. Sie fotografiert die Menschen dazu, die daran arbeiten.
Wenige Jahre später wieder ein Bourke-White-Foto auf dem Titel von Life: Ein einziges Gesicht, das Winston Churchills, über das ganze Cover - unerhört für Vorkriegs-Sehgewohnheiten. Wenn heute der stern die Leser mit dem Strauß-Konterfei auf dem Titel Aug in Aug postiert, geht diese Idee also zurück auf eine Frau...

1941, zehn Jahre nach ihrem ersten Besuch, ist Margaret Bourke-White wieder in der Sowjetunion. Sie, einziger zugelassener ausländischer Korrespondent überhaupt, dringt bei Stalin ein, um ihn zu fotografieren. Der Sowjet-Premier war zu keiner Bewegung zu erweichen, starr
posierte er und gab auf alle Auflockerungsversuche nur höfliche Antworten. Margaret erzählte ihm, sie habe schon seine Mutter und Schwester fotografiert, Stalin rührte sich noch immer nicht. Erst als sie auf allen vieren vor ihm auf dem Boden herumkroch (um einen halbwegs interessanten Winkel zu finden), vergaß sich das Denkmal für eine Sekunde und - grinste. Genau in diesem Moment drückte sie ab und schickte einen schmunzelnden Stalin in die Redaktion.
Nach der Bombardierung Moskaus durch die Deutschen holt sie eine Sondergenehmigung ein, um die amerikanischen Einsätze im Zweiten Weltkrieg als Berichterstatterin mitmachen zu können und fliegt in Militärmaschinen von Front zu Front. Im Frühjahr 1945 marschiert sie in
Deutschland mit ein und fotografiert hier als erste die Situation. Ihre Fotos geben ein sehr anschauliches Bild der Lage, doch ihre Kommentare sind die des Siegers. Hier vergißt die Amerikanerin ihre "sympathisierende Aufmerksamkeit für Menschen" und wittert nur Abgründe von Bösem in jedem und jeder Deutschen. Heute empören uns ihre zum Teil hämischen Bemerkungen über die Trümmerfrauen, doch darf auch nicht vergessen werden, daß ihr Blick von den frischen Eindrücken in Buchenwald geprägt war.
Als sie nach Kriegsende in die USA zurückkehrt, ist sie die Heldin der Nation. Sogar die Comic-Hefte machen sie zum Star, die Real Fact Comics starten eine Serie mit dem Titel "Der berühmteste Fotograf der Welt war ein Mädchen".
Das "Mädchen" hält es jedoch nicht lange aus zu Hause und fliegt direkt nach Indien, um auch hier wieder mitten ins Geschehen zu platzen. Sie fotografiert den indischen Unabhängigkeitskrieg, die Teilung in Indien und Pakistan und macht selbstverständlich auch vor Gandhi nicht halt. Um seine Haltung - Befreiung durch Gewaltlosigkeit - besser verstehen und fotografieren zu können, lernt sie sein Handwerk: Spinnen. Das Foto "Gandhi am Spinnrad" ist eines der seltenen Privatfotos des "Heiligen".
Margaret Bourke-White fährt nach Korea. Sie will sich ein genaues Bild machen über diesen Krieg, der ihr nicht ganz so geheuer ist wie der Kampf der Amerikaner gegen das faschistische Deutschland. In einem verseuchten koreanischen Guerilla-Dorf steckt sie sich an, rast jedoch zu Fuß und per Jeep zurück in die Hauptstadt, um ihre Bilder abzuschicken. Kurze Zeit später, zu Beginn der 1960er Jahre, beginnt die Krankheit: Die Parkinsonsche Krankheit, wie die Ärzte diagnostizieren. Sie selbst macht von Anfang an auf einen Zusammenhang mit der Seuche in Korea aufmerksam (der wird auch nach ihrem Tode medizinisch entdeckt).
Sie kämpft verbissen gegen die Symptome - Bewegungsunfähigkeit - indem sie tanzt, stundenlang spazierengeht, arbeitet. Erst als sie hinfällt und sich drei Rippen bricht, muß sie aufgeben. Drei Jahre später, 1971, stirbt sie 67-jährig.
Die Nachrufe sind ohne Ende, sie wird einhellig als "große Neuerin der Fotografie" gepriesen. Ihre Reportagen bleiben auch noch nach ihrem Tod bewegend. In ihren Memoiren frappiert die Leidenschaft für ihre Arbeit, eine Leidenschaft, die Frauen gemeinhin verwehrt ist: "Nachdem ich meine Kamera gefunden hatte, fühlte ich mich nie mehr als ganze Person, wenn ich nicht gerade Fotos vorbereitete oder machte."

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