Königin des Fado

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Schon zwei, drei Jahre nach dem Tod der großen Fado-Sängerin Amália Rodrigues im Herbst 1999 trat die damals knapp dreißigjährige Mariza ihre Nachfolge an. Sie mischte den Fado, diesen portugiesischen Blues, mit Jazz und Folk, gab dem wehmutsvollen traditionsreichen Gesang einen neuen, modernen Sound.

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Der Fado kommt aus den düsteren Hafenspelunken der Lissabonner Armenviertel, Treffpunkt von Seeleuten, Zuhältern, Prostituierten und Bohemiens. Er wird begleitet von einer Gitarre und der dickbauchigen "guitarra portuguese", und er erzählt von Fernweh und Heimweh, Schmerz und Sehnsucht, von "Saudade", wie die Portugiesen sagen.

Mitten in dieses Milieu gerät die dreijährige Mariza, als ihre Eltern mit ihr aus der ehemaligen portugiesischen Kolonie Mosambik ins gelobte Land ziehen. Doch das ist noch nicht das Portugal im Aufbruch und im Verbund der Europäischen Union. Erst kurz zuvor, 1974, hatte das Land sich mit der "Nelkenrevolution" nach Jahrzehnten von dem faschistischen Diktator Salazar befreit. Doch noch immer lasten Hunger und Angst auf den Menschen – aber auch Hoffnung kommt auf.

Die Saudade schleicht durch die Gassen der düsteren Altstadt mit den scheibenlosen Fenstern und kriecht die Wände hoch. Kein Entkommen für die kleine Mariza: Zu der aus der alten Heimat mitgeschleppten Last gesellt sich die Melancholie der neuen Heimat. "Ich will nicht sagen, dass wir Portugiesen alle depressiv und traurig sind. Aber es hat sich eine gewisse Nostalgie in unsere Herzen eingenistet", sagt die Sängerin. Mariza macht etwas daraus.

Mariza dos Reis Nunes steht nach dem Wegzug aus ihrem Geburtsland – das der portugiesische Vater und die afrikanische Mutter verlassen, weil das "gemischte" Paar vielen Anfeindungen ausgesetzt ist – schon im Kindesalter in der Kneipe der Eltern im Herzen von Lissabon und singt. Hier ist die Fado-Bohème zu Gast, und der Vater zeichnet seiner Tochter, die noch nicht lesen kann, kleine Cartoons auf, damit sie sich die Geschichten und Texte der Lieder merken kann. Über die Mutter macht das Mädchen bald auch Bekanntschaft mit seinem afrikanischen musikalischen Erbe von Miriam Makéba bis Césaria Évora.

In Teenager-Kreisen ist es nicht angesagt, "Folklore" zu singen. Zumal der fatalistische Fado der jungen postrevolutionären Generation als Symbol für Portugals dunkle diktatorische Zeiten und daher hoffnungslos rückwärtsgewandt gilt. "Es war damals unüblich, Fado außerhalb der eigenen Nachbarschaft zu singen", erzählt Mariza. Bevor sie selbst den Fado modern macht, gibt sie kurzfristig dem Gruppendruck nach und singt coolere Genres: Jazz und Soul. Anfang zwanzig geht sie auf Reisen und landet unter anderem in Brasilien, wo sie sich weitere musikalische Inspiration holt und, zwecks Finanzierung des Projekts, zum ersten Mal für Geld singt.

Als sie wiederkommt, kehrt sie zu ihrer großen Liebe, dem Fado, zurück. Bald darauf stirbt Amália Rodriguez, und Mariza tritt bei zwei gigantischen Gedächtniskonzerten für die Fado-Legende auf. Das portugiesische Fernsehen strahlt die Konzerte live aus, und die 25-Jährige wird prompt zum "Besten Newcomer" und zur "Besten Fadostimme des Jahres 2000" gekürt. Ein Produzent für Marizas Debutalbum ist schnell gefunden. 2001 debütiert Mariza in Portugal mit der CD "Fado em Mim" – und holte aus dem Stand viermal Platin. Zwei Jahre später folgt "Fado Curvo". "Das Leben verläuft nun mal nicht in geraden Bahnen", kommentiert sie den Titel. Diese beiden ersten CDs von Mariza gehen als die meistverkauften Fado-Alben aller Zeiten in die Musikgeschichte ein.

Schon bald tritt die platinblonde Portugiesin zur musikalischen Welteroberung an. Ihr drittes Album "Transparente" stürmt die Top Ten in Island und Finnland. Dänemark ernennt die Portugiesin gar zur "Internationalen Botschafterin für Arbeit und Geist von Hans Christian Andersen". Die Begründung der Nordeuropäer: Der Fado habe die gleiche poetische Melancholie wie Andersens Geschichten.

Unicef macht Mariza ebenfalls zur Botschafterin. Sie ist auch dabei beim großen von Bono und Bob Geldof organisierten "Live 8"- Konzert am 2. Juli 2005. Weil kritisiert wurde, dass unter den Stars kaum afrikanische KünstlerInnen sind, tritt Mariza in Cornwall unter dem Motto "Africa Calling" an der Seite von Youssou N’Dour und Angélique Kidjo auf. "Es ist mir eine Ehre, bei einem solchen Event aufzutreten, weil Solidarität mit Afrika so wichtig ist", sagt Mariza. "Schließlich liegen dort meine Ursprünge."

Jetzt erscheint das Album "Terra", das noch einen Schritt weiter über den traditionellen Fado hinausgeht. Es ist das wohl kosmopolitischste Album von ihr und eine wahrhaft multikulturelle Produktion. Sting-Gitarrist Dominic Miller ist ebenso dabei wie die kubanische Jazz-Legende Chucho Valdès. Produzent ist Javier Limón, der auch die Fugees und Alicia Keys unter seinen musikalischen Fittichen hat. Kein Zweifel, Mariza ist dabei, ein Weltstar zu werden. Doch: "Ich möchte für die Welt singen", sagt sie, "aber ich weiß, dass ich immer zu meinen Wurzeln zurückkehren werde." Saudade.

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