Die Vordenkerin

Mary Wollstonecraft (1759-1797)
Artikel teilen

Sie hat es schon vor über zwei Jahrhunderten gewusst. Und jetzt, zwei Generationen nach den erneuten feministischen Warnungen vor der Sackgasse Hausfrau, bestätigten es die deutschen VerfassungsrichterInnen endgültig: Hausfrau und Mutter-Sein ist kein lebenslanger Job mehr. Maximal drei Jahre lang hat heutzutage der Ehemann die Pflicht, die Frau zu finanzieren – danach müssen auch alleinerziehende Mütter ökonomisch eigenständig sein.

Anzeige

"Wie sehr beleidigen uns diejenigen, die uns dazu anleiten, dass wir uns selbst zu sanften Haustieren machen!" konstatierte Mary Wollstonecraft (1759–1797) schon anno 1792. Und die zweifache Mutter warnte: "Aber die geschlechtsspezifische Schwäche, die die Frauen wegen ihres Unterhaltes vom Mann abhängig macht, erzeugt eine Art katzenhafter Zuneigung, die eine Frau dazu bringt, um ihren Ehemann herumzuschnurren, wie sie es bei jedem anderen Mann täte, der sie füttert und streichelt. Männer sind jedoch zufrieden mit dieser Art der Zuneigung, die sich in tierischer Weise auf sie beschränkt."

Das schrieb die Frauenrechtlerin 1792 in ihrem bekanntesten Werk, "Zur Verteidigung der Frauenrechte", in dem die Pionierin auch die "vorherrschende Meinung, über das, was geschlechtstypisch ist", diskutiert. Sie kommt zu dem Schluss, dass man Frauen gar nicht erlaube, "ausreichend Geistesstärke zu besitzen, um das zu erreichen, was wirklich die Bezeichnung Tugend verdient". Lange vor Simone de Beauvoir erkannte Wollstonecraft, dass Frauen "zu schwachen und elenden Geschöpfen gemacht werden".

Mary Wollstonecraft stammte aus einer verarmten, achtköpfigen Familie mit einem jähzornigen Vater und einer unterwürfigen Mutter. Doch: "Die Schläge ihres Vaters stimmten sie keineswegs demütig, sondern empörten sie vielmehr. Bei solchen Gelegenheiten fühlte sie ihre Überlegenheit und neigte dazu, ihre Verachtung auch zu zeigen", schrieb ihr zweiter Partner, der große Humanist und Frauenrechtler, William Godwin 1798 in seinen Erinnerungen an seine Frau. Die war wenige Tage nach der Geburt ihrer zweiten Tochter Mary Shelley (der späteren Autorin des Gruselklassikers "Frankenstein") am Kindbettfieber gestorben.

Ihrer ersten Tochter, mit dem Sklavenrechtler Gilbert Imlay, hatte Wollstonecraft den Namen "Fanny" gegeben. So hieß auch ihre Seelenverwandte, die sie mit 16 Jahren zwischen mehreren Familienumzügen kennengelernt hatte. Fanny Blood war zwei Jahre älter als Mary und "eine junge Frau von ungewöhnlichen Vorzügen", schreibt Godwin. "Sie sang und musizierte mit Geschmack." Fanny unterrichtete Mary im professionellen Schreiben und 1784 gründeten die beiden Frauen eine Schule. Doch ein Jahr später ging Blood nach Lissabon, um zu heiraten. Wollstonecraft konnte die Schule finanziell nicht halten und arbeitete zunächst als Erzieherin. 1786 schrieb sie ihr erstes Buch über die Erziehung von Töchtern und beschloss, von nun an als Schriftstellerin ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Ein bisschen Gouvernante ist Mary Wollstonecraft auch in ihrem bekanntesten Werk, "A Vindication of the Rights of Women", geblieben. "Lehrt sie zu denken!" lautete ihre Maxime – womit sie aber nicht nur Frauen meinte. Denn auch Männern und potenziellen Vätern sollte klar werden, dass nur eine Frau mit einer eigenen Persönlichkeit eine interessante Gesprächspartnerin und souveräne Mutter sein kann.

Neben der Anregung zu selbstständigem Denken zählte aber auch die gleiche Bildung von Jungen und Mädchen zu ihren grundlegenden Erziehungsmaßstäben. Sie kritisierte: "Das Kind, besonders das Mädchen, wird keinen Moment seiner eigenen Führung überlassen, und wird so abhängig – diese Abhängigkeit nennt man dann natürlich."

Mit den Ansichten des Franzosen Jean Jacques Rousseau über Frauen legte die Engländerin sich offensiv an. Der war ja der Auffassung, "die Frau" sei ein Naturwesen und ihre wichtigste Aufgabe sei es, "dem Mann" zu gefallen und Mutter zu werden. Wollstonecraft setzte dem entgegen: "Von Kindesbeinen an gelehrt, dass die Schönheit das Zepter einer Frau ist, formt sich der Geist dem Körper entsprechend, bewegt sich in seinem goldenen Käfig und will nur sein Gefängnis schmücken."

Mit ihrer "Verteidigung der Frauenrechte" beeinflusste Wollstonecraft entscheidend die Frauenbewegung in England und den USA. "Wer sich ein bisschen damit beschäftigt hat, wird schnell die Ähnlichkeiten bei Elizabeth Stanton, Lucretia Mott oder Margaret Fuller erkennen", so die Herausgeberin der neuen Auflage, Ursula Meyer. Doch ahnte Mary Wollstonecraft offenbar schon vor über 200 Jahren, dass es noch lange dauern könnte: "Wer kann sagen, wie viele Generationen nötig sein werden, der Tugend und den Talenten einer befreiten Nachkommenschaft von elenden Sklavinnen Kraft zu verleihen?"

Sulamith Sparre: "Denken hat kein Geschlecht." (Edition AV)
Karin Priester: "Mary Wollstonecraft: Ein Leben für die Frauenrechte" (Langen-Müller)
Mary Wollstonecraft: "Zur Verteidigung der Frauenrechte" (ein-Fach-verlag)

Artikel teilen
 
Zur Startseite