Homeoffice & meine tanzende Frau

Moritz Rinke mit seiner Frau Eylem. - Foto: Jim Rakete
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Das letzte Mal hatte mich Alice Schwarzer zum 40. Jahrestag der Frauenbewegung für die EMMA angefragt. Ich weiß gar nicht mehr, wann das war und wie alt die Frauenbewegung jetzt eigentlich ist, aber ich könnte mir vorstellen, dass gerade in den letzten Wochen all die Themen der Frauenbewegung wiederaufbereitet werden. Nicht auf Podien oder in Proseminaren, sondern im Nahkampf im Homeoffice bzw. dem Homekitafamilyoffice, vermutlich werden die Themen auch nicht „aufbereitet“, sondern sie kochen eher hoch, sie brechen vielleicht aus wie ein Vulkan, von dem man eigentlich dachte, dass er zur Ruhe gekommen sei. Zumindest geht mir das so, wenn ich jetzt in EMMA die Frauenbeiträge über Partnerschaften in der Corona- Zeit lese, lauter solche Vulkantexte.

Kristin zum Beispiel, die wollte eigentlich Markus heiraten. Nun sitzen sie zusammen im Homeoffice, vielmehr er sitzt, sie kümmert sich um die Kinder und die Wohnung. Markus macht auch nicht mehr sein Bett, lässt alles liegen: Wäsche, Kaffeetassen, Kristin will nicht mehr heiraten. Bei Sarah und Martin ist es ähnlich, er besetzt das Festnetz und den Computer im Homeoffice, sie kommt sich vor wie eine Hausfrau in den 50er Jahren mit den zwei Kindern. Abends geht er joggen, als Ausgleich.

Vielleicht könnte man es so sagen: Die Corona-Krise plus Homeoffice mit Kita- und Schulkindern ist gewissermaßen die verspätete Prüfung für die Frauenbewegung. Wie eine Abiturprüfung, die man eigentlich längst hinter sich hat, aber manchmal findet sie wieder nachts in den Träumen statt, in allen Einzelheiten. Und natürlich reicht es nicht, wenn wir nur von der Frauenbewegung sprechen. Die Frauenbewegung war, weil sie ja eben Erfolg hatte, immer auch eine Männerbewegung, denn wie hätte sich etwas ändern können, wenn die Männer sich nicht mitbewegt hätten?  So, das war die kleine Vorrede.

Im Gegensatz zur letzten EMMA- Anfrage von Alice Schwarzer habe ich jetzt auch zwei Kinder. Der Junge geht bzw. ging zur Kita und das Mädchen ist noch ganz klein. Nebenher mache ich Homeoffice und meine Frau tanzt, sie ist Tänzerin, sie tanzt übrigens jetzt gerade während ich für EMMA schreibe durch die Wohnung bzw. durch den Salon, wir nennen das Zimmer so, weil es das größte ist. Am 20. Mai hat sie eine Performance. Modern Dance, ich liebe es, ihr dabei zuzusehen.

Mein Sohn guckt „Jim Knopf“, die Kleine schaut mit, was ich nicht so gut finde, weil Frau Mahlzahn, der Drache, ja böse ist, zumindest am Anfang, bevor sie der Drache der goldenen Weisheit wird. Ich versuche derweil an meinem epochalen neuen Roman zu schreiben bzw. jetzt zwischendurch am EMMA-Text, Abgabe morgen. Naja, denke ich mir, Schriftsteller sind seit zirka 2.500 Jahren im Homeoffice, wir sind gewissermaßen die Gründungsväter und Pioniere des Homeoffice, Tolstoi hatte sogar 13 Kinder und hat dabei noch „Krieg und Frieden“ geschrieben, das schaffst du dann auch irgendwie. Allerdings war Tolstoi kein Mann, der die Frauenbewegung mitgemacht hatte, wie ich. Ich habe sie auch nicht wirklich mitgemacht, dafür war ich noch zu klein, aber meine Mutter, eher eine sanfte Feministin, hat mich so erzogen. Ich bin, mit Verlaub, eigentlich eine männliche Idealbesetzung für EMMA.

Gerade jetzt zum Beispiel springe ich auf, weil ich vergessen habe, den Kindern nach dem Frühstück Vitamin D zu geben, man kommt ja kaum raus, da muss ich an Vitamin D denken. Und ich müsste den Sohn mit irgendwas eincremen, er hat seit zwei Wochen so leichte Ausschläge an den Kniekehlen, bei der Ärztin war ich schon, die sagt, eine Kontakt allergie, aber mit was? Ich vermute, dass das irgendwas mit diesem dauernden Gerede über Corona zu tun hat, die Kinder hören ja auch nichts anderes mehr, sie malen Bilder mit Corona-Viren, sie spielen Ghostbusters bei der  Verfolgung von Corona-Viren, ich googele „Corona-Psyche-Kinder“, dann googele ich homöopathische Globuli, sogar Prinz Charles soll ja jetzt mit Globuli gegen Covid-19 behandelt worden sein.

Das Telefon klingelt. Für mein Beethoven-Projekt ruft der Regisseur an und will mit mir über den Cast für die Besetzung sprechen, wir brauchen auch eine Beethoven-Muse, wie ich denn die Sopranistin Corinna Ruba finde?

Einen Augenblick, sage ich, Frau Mahlzahn faucht im Hintergrund, das kann ich meiner Tochter nicht zumuten. Ich spule vor, damit die Kleine sich nicht erschrickt, aber der Junge will unbedingt Frau Mahlzahn fauchen hören, also spule ich wieder vors Fauchen und nehme die Kleine und den Regisseur am Telefon mit ins Schlafzimmer.

Okay, sage ich, Corinna Ruba googele ich. Noch was?

Ja, wann ist das Beethoven-Stück fertig?, fragt er.

Ich schreibe gerade etwas für EMMA, dann noch ein Kapitel am Roman, dann widme ich mich voll und ganz Beethoven.

Die Kleine schreit, sie denkt, sie soll schlafen, weil wir im Schlafzimmer sind. Ist ja gut, sage ich, du musst nicht schlafen, wir gehen wieder ins Wohnzimmer. Ich setze die Kleine neben ihren Bruder, aber der will nicht mehr gucken, er hat Hunger. Ich sage: Während du mit deiner Schwester jetzt noch die Lokomotivfahrt durchs „Tal der Dämmerung“ guckst, setze ich schon mal das Wasser für Spaghetti auf.

Parallel denke ich, eigentlich könnte ja meine Frau mal eine Tanzunterbrechung machen, ich will schon in den Salon, denke aber auch andererseits: So eine Tanz-Performance muss ja gut vorbereitet sein, der 20. Mai ist bald, weit vor der Abgabe von Beethoven und dem Roman, außerdem sind wir keine Corona-Opfer wie dieser Markus und diese Kristin oder Martin und Sarah, deren Beziehungen Corona vermutlich nicht überstehen werden.

Die Lokomotive ist jetzt durchs Tal der Dämmerung. Papa!, schreit der Sohn. Sind die Spaghetti fertig?

Noch einen winzigen Tick müssten sie kochen, rufe ich, während ich noch die Globuli googele und danach die Sopranistin Corinna Ruba. Die Kleine schreit, YouTube hat eine Werbung dazwischengehauen, mit irgendwelchen fiesen Ungeheuern, ich kann gerade noch zur Fernbedienung hechten, bevor irgendjemandem der Kopf abgerissen wird.

Es klingelt an der Tür. Der AmazonBote gibt ein Paket ab, das nicht für uns ist, obwohl mein Sohn auf einen Playmobil- Sanitäter-Rettungswagen wartet. Es ist leider nicht dein Sanitäter- Rettungswagen, sage ich, ich weiß auch nicht, warum der Bote bei uns klingelt, wenn es gar nicht für uns ist, sondern für die Jensens im Hinterhaus. Mein Sohn will nicht mehr Jim Knopf, er will sofort den Playmobil-Sanitäter-Rettungswagen. Vielleicht erstmal die Spaghetti? frage ich.

Das Telefon klingelt. Der Intendant will, sagt der Regisseur, dass wir das Tripelkonzert einbauen, unbedingt mit dem Hammerklavier, ich maile dir jetzt den Link.

Mach das, sage ich, ich muss die Spaghetti abgießen, tschüss. So lange wird ja meine Frau bestimmt nicht mehr tanzen, beruhige ich mich, ich frage mich auch, warum sie so selbstverständlich davon ausgeht, dass am 20. Mai die Performance stattfinden wird, wir leben in Zeiten einer Pandemie.

Der Junge hat das Amazon-Paket für die Jensens aufgerissen. Was ist das?, fragt er. Das glaube ich jetzt nicht, sage ich. Mein Sohn hält einen „SHINEHUA Dildo mit 20 cm Real Dong mit Hoden“ in der Hand, zumindest steht das auf der Verpackung, made in China. Gib das mal her, sage ich, die Nudeln sind fertig. Wir essen. Nach dem Essen räume ich, im Gegensatz zu diesem Markus, das Geschirr in die Spülmaschine und höre dabei das Tripelkonzert mit dem Hammerklavier.

Es klingelt in das Tripelkonzert hinein, meine Frau ruft an, außer Atem. – Häh, warum rufst du an? Ich bin doch nebenan in der Küche, sage ich. – Wenn ich jetzt rüberkomme, will mich die Kleine, sagt sie. – Aha, sage ich. – Was machen die Kinder?, fragt sie.

Die Kleine guckt Jim Knopf und unser Sohn guckt sich gerade eine Amazon-Sache für die Jensens an, antworte ich. Schön, ich mach weiter, sagt sie.

Sag mal, hast du mal zwischendurch Nachrichten gehört?, frage ich.  Am 20. werden vermutlich noch nicht mal die Restaurants offen haben! Glaubst du denn, deine Performance findet statt, mitten in der Corinna-Pandemie? Corinna??, fragt sie. – Corona!!, sage ich, Corinna ist Sopranistin!

Das liegt an der R-Zahl vom Robert-Koch-Institut, sagt sie. Wenn die in Ordnung ist, findet sie statt, die Performance!  Gut!, sage ich, dann verlange bitte, falls die R-Zahl in Ordnung ist, fünftausend Euro für deine Performance! Ob ich Beethoven und den epochalen Roman jemals schaffe, wenn du jetzt weiter tanzt, weiß ich nicht!

Da ich mir eigentlich auferlegt habe, in Corona-Zeiten nicht zu streiten (weil es einfach zu sehr auf der Hand liegt), sage ich: Ach, weißt du was? Ich schaffe das hier, tanz weiter!  Ich lege auf und leite meine Wut um auf die Bundesregierung. Wieso retten die eigentlich alles, außer Künstler?! Lufthansa, Autokonzerne, Angestellte mit Kurzarbeit, Milliarden, Billionen, aber die freischaffenden Künstler? Sogar die freien Künstler, die eigentlich immer arbeiten und in den letzten Jahren vielleicht sogar gut Steuern gezahlt haben, die sollen plötzlich ganz ohne Kurzarbeit ihre Altersvorsorge opfern und am Ende womöglich noch Jahre Steuern für die Billionen-Rettung der Schlüssel-Industrien zahlen! Unfassbar! Ich gründe eine Freie-Künstler-Gewerkschaft! Ganz abgesehen, dass ich auch noch persönlich die Kita ersetze! Ich bin stinksauer und knalle mit den letzten Anschlägen des Hammerklaviers die Nudelteller in die Spülmaschine.

Am Ende des Tages jogge ich nicht wie Martin, sondern laufe mit der Kleinen und dem Laptop durch den Park. Ich setze sie im Gras ab und zeige ihr, wie man Pusteblumen pustet. Dann setze ich mich selbst davor auf eine Bank und schreibe für EMMA, es ist der erste ruhige Moment des Tages. Wenn ich aufstehe, sage ich mir, ist der Text fertig. Danach rufe ich meine Frau an. Tanzt du noch?, frage ich. Nein, aber ich danke dir sehr für den heutigen Tag, antwortet sie.

Ach, sehr gern, sage ich. Dafür schreibe ich morgen so was ähnliches wie „Krieg und Frieden.“

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