Meisterinnen des Wortes

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Sie machen dichtend Furore, von Manhattan bis Kreuzberg. "Wir gehen einen Schritt weiter als unsere rappenden Schwestern. Die sind noch völlig auf den Mann fixiert." - MC Shä-Key

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„Eines Nachts hatte ich es satt, weiter gegen Stimmengebrabbel und Gläsergeklirr anzusingen.“ Dana Bryant, heute ein Star der New Yorker „spoken word“- Szene, hebt amüsiert die Augenbraue, während sie erzählt, wie sie dem gepflegten Blues abtrünnig wurde: „Genervt beschloß ich, endlich das zu tun, was mir schon lange auf der Seele brannte. Mitten im Auftritt stoppte ich die Band und gab dem Bassisten ein Zeichen... Dann legte ich los: mit einem Gedicht von Ntzozake Shange. Das Publikum war schlagartig still – und hörte endlich zu.“ An jenem Abend vor fünf Jahren entdeckte Dana Bryant, 30, die Macht des Wortes wieder, das jetzt als spoken word nicht nur in Amerikas Black Community Triumphe feiert. Und auf der Bühne stehen meist Frauen, schwarze Frauen.
In schummrigen Cafés und in schicken Discos von New York lauscht das Publikum gebannt der Wortkunst junger Bardinnen. Sie deklamieren, zelebrieren, inszenieren ihre Verse pur, mit karger Instrumentalbegleitung oder sekundiert von Jazzformationen. Gedruckt lesen sich die Poeme der new talkerin hattie gosset wie Prosa von Toni Morrison, Alice Walker oder Zora Neal Hurston. Wenn sie jedoch ihre Texte von der Bühne herab singt, schreit und spricht, ist sie eine wilde Mischung aus Bessie Smith, Aretha Franklin und Chaka Khan. Publikumsmagneten sind vor allem die „slams“ – eine Art Wettkämpfe, bei denen die „poets“ gegeneinander antreten und eine Jury Punkte gibt. Die Poetin/der Poet mit der höchsten Punktzahl gewinnt.
Der erste spoken word slam wurde Mitte der 80er im Chikagoer Green Mill Jazz Club ausgetragen – und gleich beim allerersten Mal trug eine Frau den Sieg davon: Patricia Smith. Trobadora Smith trug seither noch viermal die Siegestrophäe davon – zum Ärger der dichtenden Brothers. Denn es geht im 20. Jahrhundert nicht nur um die Ehre, es geht auch um Geld: Die Siegerinnen werden von der Musikindustrie heftig umworben, die Zahl der verkauften CDs schnellt in die Höhe.
Zentrum der spoken word scene ist heute Manhattan. Hier trafen die beiden großen Ströme zusammen: die alten Tradition des rhythmischen Erzählens – und die neue Kraft des rhythmischen Aufschreis: des Rap. Diese beiden Ströme befruchten sich gegenseitig. „Ich bin ein Kind des Hip-Hop: Der Rhythmus, der Reim, die Botschaft – Rap ist mein Leben“, sagt speaking woman 99 (bürgerlich: Dietra Moses, 23). 99 ist die Jüngste unter den erfolgreichen Poets, auf der Bühne aber stand sie zum erstenmal als Sängerin (bei Prince und den Beasty Boys).
Herz der spoken word scene ist das Nuyorican Poets Café. Das Nuyorican, das in einem heruntergekommenen Mietshaus auf der Lower East Side liegt, war schon in den 70ern als Dichter- und Beatnikspelunke bekannt. Damals waren die rauhbeinigen, genialen Jungmänner noch unter sich. Dann aber hat das Nuyorican der 90er so beeindruckende Meisterinnen des spoken word wie Dana Bryant, Tracie Morris, Dael Orlandersmith und Samantha Coerbell hervorgebracht. Die „Friday night slams“ des Cafés sind inzwischen weit über die Szene hinaus bekannt.
Doch endgültig durchgesetzt haben sich die „spoken word“- Poetinnen im „Fez“, einem In-Club der Hip-Hop-Metropole. In den Jahren 1992-1993 wurde dort die Session „Rap meets Poetry“ veranstaltet. „Ayatollah’s Granola“ (sinngemäß: die Haferflocken des Ayatollah) hieß das  monatliche Spektakel in Rapmanier, das bald von den Talentscouts der Musikindustrie frequentiert wurde. Im nächtlichen Showdown erwiesen sich die „female poets“ rasch als die Wortgewaltigeren und Wortgewandteren. Das Publikum jubelte.
„Wir gehen einen Schritt weiter als unsere rappenden Schwestern. Die sind noch völlig auf den Mann fixiert“, erklärt die 24jährige Poetin M.C. Shä-Key selbstbewußt ihren Erfolg: „Die heischen in Weibchenmanier nach männlicher Anerkennung. Oder sie imitieren die Kerle möglichst perfekt. Das haben wir nicht nötig. Wir machen unser eigenes Ding.“ M.C. Shä-Key, die sich wie ihre Rapschwester M.C. Lyte lieber „Master of Ceremonies“ nennt als „female poet“, debütierte 1994 mit ihrer ersten CD mit dem rapgemäß kryptischen Titel „A Headnadda’s Journey to Adid-Skism“.
Als Rapper Essence Donn sich im „Fez“ eines Tages das Mikro schnappte, um die Hip-Hop-Botschaft zu verkünden: Alle Frauen sind Nutten, Schlampen und Huren! – da wurde er vom Publikum minutenlang ausgebuht. Als das nichts half, schaltete Bardin Bahiyyih Watson dem Kerl den Strom ab und verwies ihn des Saals. Längst haben die MeisterInnen des Worts auch ihre eigene TV-Sendung: MTV Spoken Word Unplugged. „Ins Fez geht frau, um die Karriere zu pflegen“, prahlt 99, die inzwischen auch als Dramenautorin reüssiert.
Die speaking women wissen natürlich, daß das Vortragen von Versen weder neu noch spezifisch schwarz oder weiblich ist. In der Antike trugen schon die alten Griechen Versdramen vor, oft zu Musik, um Mythen und Legenden an die Nachfahren weiterzugeben. Im Mittelalter erzählten die Griots, westafri- kanische Geschichtenerzähler, ihre Sagen und Märchen zur Kora, und die französischen Troubadore zogen von Hof zu Hof, um die Taten ruhmreicher Ritter oder ein Minnelied zur Laute vorzutragen – und so manche Troubadora tat es ebenso.
Für die SklavInnen in Amerika war im 18. und 19. Jahrhundert der Sprechgesang das einzige Mittel, um die Erinnerung an ihre afrikanische Heimat zu bewahren. Daraus entstand der „talking blues“. Langston Hughes, der bekannteste afroamerikanische Dichter des 20. Jahrhunderts, rezitierte seine Verse gern in Begleitung einer Jazzband.
„Wenn in unserer Nachbarschaft jemand zum Banjo oder zur Gitarre griff, sprang garantiert jemand anderes auf und begann, etwas zur Musik vorzutragen“, erinnert sich Jayne Cortez, die als „Großmutter des spoken word“ gilt. Die Sängerin war immer auch Poetin: „In der Heimat meiner Vorfahren trugen die Griots ihre Geschichten zur Kora vor, einem Saiteninstrument.“ Zeitweilig hatte die Jazzsängerin, die seit 30 Jahren auf den Bühnen der Welt steht, auch eine eigene Band, die „Spitfires“ (Feuer- schlucker). Rap-Pionierin Cortez war im letzten Jahr der Star bei den Berliner Jazztagen. Selbst Macho-Rapper wie „Public Enemy“ haben bei Cortez geklaut. Spoken-word- Meisterinnern Dana Bryant und Tracie Morris nennen Cortez als ihr großes Vorbild.
Schon in den 70ern und 80ern rezitierten schwarze Dichterinnen öffentlich. Die bekannteste ist Maya Angelou. Die 1928 in Missouri als Tochter ehemaliger Sklaven Geborene war bis zu ihrem sechsten Lebensjahr stumm. In ihrem autobiographischen Band „I know why the caged bird sings“ (Ich weiß, warum der Vogel im Käfig singt) erinnert sie sich, daß sie erst zu sprechen begann, als eine Nachbarin ihr eindringlich erklärte, warum gerade ein Mädchen nicht schweigen darf. Der Auftritt von Maya Angelou 1992 bei Präsident Clintons Inauguration war ein Höhepunkt der Feier.
Erfolg am Broadway errang Ntzozake Shange schon 1975 mit ihrem Versepos „For colored girls who have considered suicide when the rainbow is enuf“ (sinngemäß: Für farbige Mädchen, die an Selbstmord dachten, weil das Ende des Regenbogens so fern war). Mit diesem „Choreopoem“, wie Shange ihr Werk bezeich- net, fordert sie die Sistas und Brothas auf, ihrem Beispiel zu folgen: „Somebody/Anybody/Sing a black girl’s song/Bring her out/To know herself/To know you“ (Singt doch endlich/Das Lied des schwarzen Mädchens/Stellt sie vor/Damit sie sich kennenlernt/Und dich).
Die Sistas vernahmen den Ruf. Die Schauspielerinnen Robbie McCauley und Laurie Carlos, die in San Francisco zum Ensemble des Stücks „For colored girls“ gehörten, gründeten die Gruppe „Thought Music“. Und Poetin Sapphire gründete Ende der 70er zusammen mit zwei Kolleginnen die NAPS, eine schwarze, lesbische Theatergruppe. Die Gruppe gibt es nicht mehr, aber Sapphire ging ihren Weg weiter und wurde zur Wegbereiterin des spoken word der 90er.
Ihrem Beispiel folgend, packt Poetin Tracie Morris Tabus wie Inzest und sexuelle Belästigung an. In einem Stück wippt Morris im Rock’n’Roll-Rhythmus und lüpft dabei plötzlich die Röcke: darunter blitzen schwere Fußfesseln. Ihre messerscharfen Worte machen auch vor sexistischen Brothas nicht halt. Clarence Thomas, zum Beispiel, erster schwarzer Richter am Obersten US-Gerichtshof, wurde ernannt, obwohl ihn seine schwarze Kollegin Anita Hill in einer Kongress-Anhörung schwerer sexueller Belästigung beschuldigte. Bardin Morris bezichtigt den Richter des Verrats an den schwarzen Frauen: „Solange Brothas wie dieser das Sagen haben, hat es keinen Sinn, so zu tun, als wären wir befreit.“
Auch Sex kommt in den Versen der Sistas nicht zu kurz. Jedesmal, wenn 99 gnadenlos genau erzählt, wie sie ihren Lover zwingt, ein Kondom zu tragen, bricht bei den Frauen im Publikum Begeisterung aus, während sich die Männer verlegen abwenden. „Romantik“ nennt Samantha Coerbell ihr Poem über Vergewaltigung: Blumige Verse über eine „verlorene Unschuld“ kippen über in die Schilderung eines „date rape“. Es ist ihre eigene Vergewaltigung durch einen Kommilitonen.
In „Canis Rufus“, einer Ode an die Funksängerin Chaka Khan, preist Dana Bryant die ungezügelten Kräfte der geliebten Sista, deren wilde Schreie dem Publikum durch Mark und Bein gellen: „Ich sage/SCHREI, SISTA/Deine verrückte Stimme/Schreit für mich“. Bryant ist fasziniert von der ‘wilden schwarzen Frau’: „Chaka Khans Schreie reißen die Mauern der Selbstzensur in mir nieder, die ich zur Abwehr gegen die Übersexualisierung des schwarzen Frauenkörpers aufgebaut habe.“ Zugleich weiß sie: „Es ist gut, die wilde Frau in uns rauszulassen. Aber wir müssen auch erkennen, daß uns die Männer gern als wildes Biest sehen, das von ihnen gezähmt werden muß.“
Nachdem die emanzipierten Sistas in der Arena des spoken word als Siegerinnen das Terrain abgesteckt haben, tauchen bei den spoken word slams neuerdings Konkurrentinnen auf mit Namen wie „Pussy Poets“. 99 sauer: „Wir Frauen haben der Poetry- Szene längst unseren Stempel aufgedrückt. Wir haben es doch nicht mehr nötig, uns nach unseren Körperteilen zu nennen, um uns gegenseitig Plattenverträge abzuluchsen.“
Bryant, 99 und Shä-Key sind überzeugt, daß sie sich ihre Freiheit innerhalb des Musik-Business bewahren können. Morris ist da skeptischer. „Man übt schon Druck auf mich aus. Man sieht es gern, wenn ich die aufsässige schwarze Schöne bin, und natürlich ist das ein Teil meiner Ausstrahlung. Klar möchte ich als starke Frau auftreten, schon um zu zeigen, daß Frauen keine passiven, schwachen Opfer sind. Es gibt zwei Klischees, die sich widersprechen – das schwarze Biest, und das hilflose Ghetto-Opfer. Beide werden mir um die Ohren gehauen.“
Mit diesen beiden Klischees hat Multitalent Me’Shell NdegeOcello jedenfalls nichts am Hut. Mit ihrem ersten Album, „Plantation Lullabies“ (Wiegenlieder auf der Plantage) bewies die 25jährige Mutter eines Fünfjährigen, daß Erfolg auch gegen den Strom möglich ist. Der Glatzkopf mit den schweren Tretern und dem unaussprechlichen Namen (NdegeOcello bedeutet: frei wie ein Vogel) hat keine Angst vor Tabus – Me’Shell macht kein Geheimnis daraus, daß sie sich zu beiden Geschlechtern hingezogen fühlt („Ich denke, man liebt eine Person“). Ihre spoken words verwebt sie mit Rock, Funk, Rap, Blues. „Die meisten Männer im Musikgeschäft haben keine Antenne für das, was ich ausdrücken möchte, Deshalb schreibe und komponiere ich meine Stücke selbst und spiele auch alle Instrumente, die ich einsetze.“
Als Vorbilder nennt die Poet-Bardin drei Rap-Sistas: M.C. Lyte, Queen Latifah und Yoyo: „Bei Yoyo kriege ich immer Herzklopfen“, gesteht sie grinsend. Me’Shell ist vom Go-go beeinflußt. Dana Bryant arbeitet mit Free-Jazzern zusammen. Und 99 ist Hip-Hop-Poetin. That’s it! Keep going, Sistas!

Die Autorin hat das Buch „Rock She Wrote“ veröffentlicht. Ihr Text erschien im US-Magazin „Ms.“.

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