Kathryn, die Große

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Keine macht so gewaltvolle Filme wie Hollywood-Regisseurin Bigelow. Eine Hommage in Dortmund.

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Wer Kathryn Bigelow fragt, welche Erfahrungen sie als einzige Action-Regisseurin in Hollywoods Männerriege macht, muss sich auf einiges gefasst machen. Die 44-Jährige ist bekannt dafür, dass sie Interviews bei „Frauenfragen“ abbricht. Oder, was fast noch schlimmer ist, mit spöttischen Antworten kontert, wie: Das ist ja ein ungewöhnlicher Aspekt. Bigelow hat wenig Hemmungen, einfach alle Erwartungen an sie zu enttäuschen. Was das Schlimmste und gleichzeitig natürlich das Beste an ihr ist: „Schließlich ist es nicht mein Job, Komplimente zu machen, sondern Filme“, sagt die Amerikanerin cool.
Entschlossen lässt sich die Regisseurin auf das Hotelsofa fallen, in Cowboystiefeln, weißer 70er Jahre-Satinbluse und blauem Anzug macht die Action-Spezialistin den Eindruck, dass sie nichts dem Zufall überlässt. Kaum hat man eine Frage gestellt, hat sie schon eine schlaue Antwort parat. Sie denkt anscheinend doppelt so schnell wie Normalsterbliche. Im schnellebigen Hollywood nennt man sie auch deshalb respektvoll „Katharina, die Große“.
Als einzige Frau dreht sie Actionfilme mit millionenschweren Stars und Millionenbudgets. Und wie für vieles andere, hat sie auch dafür eine einleuchtende Erklärung: „Mich begeistern Stories und Charaktere in intensiven Ausführungen. So landet man eben beim Actionkino.“ Für die Tochter eines Fabrikmanagers und einer Bibliothekarin ist es Gewohnheit, Grenzen zu überschreiten.
Ursprünglich studierte sie in San Francisco Malerei, begann, mit Performance-Künstlern zu arbeiten und entdeckte ihr Interesse an bewegten Bildern. 1987 drehte sie "Near Dark" und schuf mit der dichten Mischung aus Vampirdrama, Western und Roadmovie einen Kultfilm, der es bis in das Museum of Modern Art schaffte. 1988 dirigierte sie Jamie Lee Curtis als mörderjagende Polizistin in "Blue Steel" und empfahl sich mit dem kühlenThriller für die vielgelobte TV-Mini-Serie "Wild Palms".
Würde sie gern mehr fürs Fernsehen arbeiten? „Eigentlich schon“, sagt Bigelow, „wenn ich denn mal ein herausforderndes provokatives Buch bekäme. Aber das meiste, was in Amerika gedreht werden soll, ist mir zu konservativ.“ Ihre Fans müssen sich deshalb mit wenigen Filmen zufrieden geben. Erst drei Jahre nach "Blue Steel" erschien "Gefährliche Brandung", in dem Lori Petty mit Keanu Reeves und Patrick Swayze um die Wette surfte. Der Film wird, zusammen mit drei weiteren, darunter ihr Erstling von 1978, auf dem Dortmunder Frauenfilmfestival "femme totale" zu sehen sein.
Eine kleine Entschädigung für das bislang schmale Lebenswerk der Bigelow ist, dass ihre Filme so vielschichtig sind, dass man sie sich problemlos fünfmal nacheinander ansehen kann. Jedes Mal entdeckt man eine neue Ebene – statt fluchender Muskelkerle, die plump das Boy-meets-Girl-Schema bedienen oder oberflächlicher Effekt-Orgien inszeniert die gebürtige Kalifornierin komplexe rasante Stories. Scheinbar mühelos kombiniert sie in ihren Geschichten hohen Unterhaltungswert und anspruchsvolle Handlungen, immer gibt es darin sozialkritische Momente.
So behandelt Bigelows letzter Film "Strange Days", der 1996 in die Kinos kam, auch den Rassenhass vieler weißer Amerikaner. „Genaugenommen soll der Film so etwas wie ein Weckruf für unser Bewusstsein sein. Nicht zuletzt der Fall Rodney King hat gezeigt, dass Rassismus und soziale Spannungen bittere Wirklichkeit sind. Ich finde, wir müssen dafür Verantwortung übernehmen“, stellt Bigelow klar. In dem Science-Fiction über Liebe, Drogen und Mord entwirft sie die Vision eine bedrohlichen Zukunft.
Was hat sie am Film mehr gereizt, die Science-Fiction-Effekte oder die Entwicklung der Charaktere? Bigelow überlegt, und dann redet sie plötzlich doch über den "Frauenaspekt" im Action-Kino. „Es waren auf jeden Fall die Charaktere“, sagt die Regisseurin. „Vor allem die Tatsache, dass hier mit Ralph Fiennes mal der Mann der gefühlvolle, in seiner Liebe schwer verwundete ist und die weiblichen Charaktere stark und selbstbewusst sind.“
Unter Hollywoods Filmfinanziers sagt man über Kathryn Bigelow, dass sie hohes kreatives Potential, Perfektionismus und verantwortungsvollen Umgang mit Millionensummen vereint. Sie blüht merklich auf, wenn sie über ihren Ruf als gewiefte Geschäftsfrau redet. Sie entspannt sich – und bei der Frage: „Warum machen sie als Frau so brutale Filme?“ gleich wieder hochzuschnellen. Die Frage wird der Regisseurin bei mindestens jedem zweiten Interview gestellt. Kein Wunder, dass sie eine Antwort parat hat: „Gewalt ist kein Privileg der Männer. Warum sollte ich mich für etwas rechtfertigen, was für Männer selbstverständlich ist?“ Sagt es und lächelt kühl.

 

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