Erzählen als Widerstand

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„Der Novize, der bei meiner Beichte anwesend gewesen war, nutzte mein Vertrauen aus. Er benutzte meine Isolation: Ich hatte kein (West)Geld, kein Telefon, keinen Kontakt mit Familie, Freunden, Mitschwestern. Am Ende nötigte er mir Geschlechtsverkehr auf, unter Verweis auf den Willen Gottes und auf die angeblich heilende Wirkung in Bezug auf die in der Beichte angesprochenen Verletzungen.“

Ellen Adler ist nach der Maueröffnung auf der Durchreise in einen Frauenorden in Österreich, als sie zwei Monate Wartezeit in einem Männerorden in Süddeutschland verbringt. Dort vergeht sich der Novize an ihr. Als die verstörte junge Frau schließlich in dem Frauenorden ankommt, erklärt die Oberin: Sie sei jetzt keine Jungfrau mehr und deshalb „untauglich für das Gelübde“. Ellen steht auf der Straße.

Als im Jahr 2010 der Missbrauchsskandal aufbricht, geht es immer um Kinder, die Opfer wurden, in den allermeisten Fällen: Jungen. Im Januar 2020 ruft Ellen Adler bei der Missbrauchsbeauftragten des Männerordens an. „Die erklärte mir, dass es Missbrauch an erwachsenen Frauen gar nicht geben könne. Frauen könnten ja einfach Nein sagen.“

Gerade ist ein Buch erschienen, das nicht nur das Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Frauen in der katholischen Kirche aufdeckt, sondern auch zeigt, mit welch perfiden Methoden die Täter den Missbrauch anbahnen, begründen, entschuldigen. Herausgegeben haben es vier Mitglieder der Theologischen Kommission des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB). „Obwohl es Studien gibt, die Fälle sexualisierter Gewalt gegen erwachsene Frauen in der katholischen Kirche in einem Umfang belegen, dass nicht mehr von Einzeltaten gesprochen werden kann, kommen diese als Betroffene in der Öffentlichkeit kaum zu Wort“, beklagen die Theologinnen. 23 Frauen erzählen jetzt ihre Geschichte.

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