Verlegerin: Mutig gegen Zensur

Alles nicht korrekt genug: Der Verlegerin Monika Osberghaus und ihre Kinderbücher. Foto: privat
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Frau Osberghaus, was wollten Sie denn mit Ihrem Verlag anders machen?
Ich hatte den Wunsch, eine Lücke zu füllen. Die Kinderliteratur der 2000er Jahre war mir viel zu brav. „Prinzessin Lillifee“ und „Harry Potter“ gaben den Ton an, Geschichten aus reinen Fantasie-Welten. Ich wollte puren Realismus, auch mal schlimme Themen, die Erwachsene zu heikel finden, Kinder aber brennend interessieren.

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Welche Themen sind das?
Nacktheit, Alter, Tod, Essensgewohnheiten auf der ganzen Welt, Patchwork- und Regenbogen-Familien, Behinderung oder Flucht. Wir machen aber auch anarchische Quatsch-Bücher. Wir überschreiten oft das, was Erwachsene bei Kinderbüchern gewohnt sind. Nicht alle sind ein kommerzieller Erfolg, aber wir füllen erfolgreich eine Nische.

Was ärgert Ihre KritikerInnen denn?
Konservative haben sich zum Beispiel darüber aufgeregt, dass wir in „Alles Familie“ gleichgeschlechtliche Eltern zeigen. Für unser Buch „Alles lecker“, in dem Schweine in Massentierhaltung gezeigt werden, ernteten wir einen Shitstorm vom Bauernverband, und „Peta“ hat uns kritisiert, weil wir den Schwerpunkt nicht auf veganes Essen gelegt haben. Für das Buch „Alle Kinder“, das mit etwas makabren Reimen arbeitet, gab es Kritik von so ziemlich allen Seiten. Gegenwind sind wir also gewohnt. Aber nun verschärft sich die Kritik, weil wir einigen LeserInnen nicht „politisch korrekt“ genug sind. Es hagelt negative Kommentare aus einer Leserschaft, die sich wohl als „woke“ bezeichnen würde.

Wie äußert sich das?
Unser Buch „Überall Popos“ erzählt zum Beispiel von einem kleinen Mädchen, das mit den Eltern schwimmen geht und die nackten Frauen in der Dusche hochinteressant findet. Es wird gezeigt, wie unterschiedlich Frauenkörper sind. Die Kritik: Es sei „nicht divers genug“, es wären ja gar keine nackten Männer zu sehen. Meine Frage: Entspräche es denn der Realität, wenn ein kleines Mädchen in der Männerdusche unterwegs ist und sich dort eingehend die Geschlechtsteile anschaut? Ein anderes, von diesen Kreisen kritisiertes Buch, zeigt auf einem Bild eine lachende Familie mit dunkler Hautfarbe. Der Vorwurf: Damit zeigten wir Afrikaner als lustige Menschen.

Weitere Beispiele?
Für den Comic „Hugo und Hassan“ sind wir zum Beispiel als „rassistisch“ und „islamophob“ heftig beschimpft worden. Hugo ist Däne und konfessionslos, Hassan ist Araber und Muslim. In einem Kapitel macht Hassan zum ersten Mal den Ramadan mit und fastet, Hugo verführt ihn mit Rosinen. Es ist eine witzige Geschichte, in der der Islam nicht wirklich Thema ist. Aus islamischen Kreisen aber heißt es, wir würden den Islam verunglimpfen. Diese Kreise sind radikal intolerant.

Noch etwas?
In dem Buch „Alle behindert“ zeigen wir Kinder, die Trisomie 21 haben, unter Muskelschwäche leiden, gehörlos oder kleinwüchsig sind. Daneben zeigen wir Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, die nicht im engeren Sinn behindert sind: ein Mädchen, das eine absolute Tussi, oder einen Jungen, der ein totaler Angeber ist. Tenor: Alle sind behindert. Wir haben das Buch mit 200 Betroffenen gemacht. Kürzlich wurden wir in einem Offenen Brief von ProfessorInnen aus dem Bereich Inklusionspädagogik angegangen. Sie fordern, dass unser Buch verboten wird. Begründung: Wir führten Behinderte vor – und vor allem hielten wir uns nicht an die korrekte Definition.

Was glauben Sie, woran liegt das?
Ich habe das Gefühl, dass viele AktivistInnen die Beschäftigung mit ihrem jeweiligen Thema als identitätsstiftend empfinden. Wenn bei „ihrem Thema“ die Kategorien von anderen – und sei es durch ein Kinderbuch – verschoben oder in Frage gestellt werden, gilt das als Affront.

Welche Erwartungen werden heute an Kinderbücher gestellt?
Sie werden zu moralischen Instanzen erhoben. Jeder glaubt, sich hier einmischen zu dürfen, weil es ja um Kinder geht. Die Kunstfreiheit spielt dann keine Rolle mehr. In den großen Verlagen werden Kinderbücher vor dem Druck auf alle möglichen Probleme abgeklopft, damit sich bloß niemand in seinen Empfindlichkeiten gestört fühlt. Das Resultat sind komplett abgeschliffene Bücher, in moralisch vorauseilendem Gehorsam.

Haben Sie ein Beispiel, wie sich das auswirkt?
Unser Buch „Ein Schwein im Kindergarten“ wurde von Empfehlungslisten gestrichen, weil ein Schwein als sympathische Hauptfigur muslimische MitbürgerInnen verletzten könnte. Ein Mädchen mit Kopftuch zu zeigen – was ich durchaus für kritisierbar halte –, ist hingegen kein Problem. Das ist dann ein Zeichen für kulturelle Vielfalt.

Und diese Bücher bestimmen den Diskurs?
Das Thema „Diversity“ ist jedenfalls bei Kinderbuch-ExpertInnen in aller Munde. In vielen die dieser Bücher werden zum Beispiel Kinder mit Rollstuhl gezeigt. Der Rollstuhl ist zu einer Art Icon geworden. Die meisten Behinderungen sind aber gar nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Auf sehr vielen Kinderbuch-Covern sehen wir neuerdings schwarze Kinder. In der Realität sind andere Migrationsgruppen aber sehr viel größer. Die Botschaft soll sein: Wir sind superdivers unterwegs. Es ist Marketing für die Woke-Kultur. Und es ist eine Ersatzhaltung.

Wofür?
Dafür, die wahren Themen anzugehen. Diese neuen Kinderbücher lullen ein. Weil sich Erwachsene selbst einlullen und beruhigen und trösten wollen. Hier zeigt sich auch ihr schlechtes Gewissen ihren Kindern gegenüber, weil echte Probleme ausgeblendet werden.

Welche sind das Ihrer Meinung nach?
Viele Erwachsene haben ein schlechtes Gewissen, weil wir die Welt so gestaltet haben, wie sie jetzt ist. Und sie erwarten von Kinderbüchern, das zu heilen und ihnen bei der Erziehung zu helfen. Statt dagegen zu kämpfen, dass Kinder mit einem Klick im Internet auf Pornoseiten kommen könkönnen, regen sie sich lieber über eine etwas derbe Sprache in einem Kindercomic auf. Das ist ja auch viel einfacher als die Probleme der frühen Pornografisierung oder die ständige Beschäftigung mit Computerspielen und dem Handy anzugehen. Dagegen regt sich kaum Widerstand.

Können Sie sich dem Ganzen mit Ihrem Verlag widersetzen?
Ja. Jeder kann das. Es ist gar nicht so schwer. Ich fände es viel schlimmer, Zugeständnisse zu machen und rumzueiern. Meine Erfahrung als Verlegerin: Shitstorms tun Büchern gut! Und wir merken auch zunehmend: Die Leute, die das machen, überspannen den Bogen. Ich glaube fest an unangepasste Bücher, und die Kinder lieben sie.

Das Gespräch führte Annika Ross.

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