Natze und Neid sind (Welt)Spitze!

© imago/ Jan Huebner
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Sie war schon wieder „überrascht“, dass sie gewonnen hatte. Das war sie schon im September 2013 gewesen, als sie nach einer fulminanten Leistung bei der Europameisterschaft zur europäischen Fußballerin des Jahres gewählt wurde. Nadine Angerer hatte mit zwei Glanzparaden und Nerven wie Drahtseilen im Endspiel gleich zwei Elfmeter gehalten und den deutschen Fußballfrauen mit ihrer „Natze-Tatze“ den achten (!) EM-Titel gesichert. Mit ihrer Wahl zur „Weltfußballerin 2013“ stellt Natze nun schon wieder einen Rekord auf: Sie ist die erste Torhüterin überhaupt, die den Titel gewann. Ihre Konkurrentinnen waren die Brasilianerin Marta und die US-Amerikanerin Abby Wambach gewesen, beide Weltklasse-Stürmerinnen.

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"Ich bin überrascht und stolz und dankbar, eigentlich alles im Moment“, erklärte Angerer also. „So einen Erfolg schafft man niemals allein. Ich bin sehr dankbar, in dieser phantastischen Mannschaft gespielt zu haben, die es mir sehr leicht gemacht hat, meine Leistung abzurufen."

Es spricht für die Jury, die aus den Kapitäninnen und TrainerInnen der Nationalfrauschaften und ausgewählten SportjournalistInnen besteht, dass sie mit Angerer einen Querkopf gewählt haben. „Sie gilt als eine der eigenwilligsten Persönlichkeiten der Nationalmannschaft, und das nicht nur wegen ihrer coolen Mützensammlung“, schrieb EMMA in einer Natze-Titelgeschichte anlässlich der WM 2011. „Weil sie Terminpläne hasst, Lehrgänge verschlief und vor wichtigen Spielen gern Pizza aß, wäre sie einmal sogar fast aus der Nationalmannschaft geflogen.“ Angerer taucht, macht Rucksackreisen durch Afrika – und outete sich schon 2010 mutig als frauenliebend. Für einen Sponsor, der sie daran hätte hindern wollen, „würde ich mich nicht hergeben“, erklärte sie damals im EMMA-Interview. „Die grundsätzliche Frage ist doch immer: Will ich mich verstellen? Und ich habe keine Lust, mich zu verstellen.“

Zum aktuellen Coming Out von Thomas Hitzlsperger erklärte Nadine Angerer nun der FAZ: „Er hat sicher vielen sehr geholfen, die sich noch nicht geoutet haben, weil sie die Reaktionen jetzt mitbekommen. Deswegen ist die Aufmerksamkeit erst einmal gut. Ich hielte es aber für ein bedenkliches Zeichen für die Gesellschaft, wenn dieser Wirbel anhielte. Dann liefe irgendwas immer noch sehr falsch.“

Angerer, die aktuell in Australien unter Vertrag steht und 27 Stunden zur Preisverleihung in Zürich anreiste, wird ab April beim US-Meister Portland Thorns spielen. Ob sie bei der WM 2015 in Kanada dabei sein wird? Bisher hat Angerer, die dann 38 Jahre alt sein wird, noch nichts Gegenteiliges verlauten lassen. Zuzutrauen wäre es ihr. Und Nationaltrainerin Silvia Neid würde es vermutlich freuen. Die wurde, nach 2010, schon zum zweiten Mal, zur Welttrainerin gewählt. „Ich freue mich über diese Auszeichnung, sehe sie aber auch als Anerkennung für den gesamten deutschen Frauenfußball“, erklärte die 49-Jährige, die zwei WM-Titel holte und nach der WM-Schlappe von 2011 ihre Mädels wieder auf Spur brachte.

Verlierer des Abends hingegen ist Franck Ribéry. Der Bayern-Stürmer aus Frankreich landete hinter Cristiano Ronaldo und Lionel Messi abgeschlagen auf Platz 3. Das dürfte natürlich rein spielerische Gründe gehabt haben. Denn schon der Jury, die ihn im September 2013 zum Europäischen Fußballer der Jahres gewählt hatte, war offensichtlich egal, dass Ribéry zurzeit wegen „Verführung Minderjähriger“ vor Gericht steht. Er hatte eine 17-jährige Prostituierte zu seinem Geburtstag einfliegen lassen, als Nachtisch sozusagen. Dem Fußballer drohen bis zu 45.000 Euro Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft. Ende der Woche wird ein Pariser Gericht über den Fall entscheiden. Eins ist aber klar: Wäre das französische Gesetz zur Freierbestrafung bereits in Kraft, hätte sich Ribéry definitiv schon durch den Sexkauf selbst strafbar gemacht.

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Anpfiff Männer, Abseits Frauen?

Thomas Hitzlsperger, 2. von rechts.
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Keine Frage: Es ist eine Sensation! Auch wenn im Deutschen Fußballbund (DFB) die Zeichen schon länger auf Toleranz standen. Der DFB hatte Länderspiele unter das Motto „Gegen Homophobie im Fußball“ gestellt, einen Wagen auf dem Christopher-Street-Day gesponsert und Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger hatte schwule Spieler höchstpersönlich zum Coming out ermutigt.

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Dennoch: Was Thomas Hitzlsperger, aufgewachsen auf einem bayrischen Bauernhof, jetzt gewagt hat, darf man durchaus historisch nennen. Der 31-jährige Ex-Nationalspieler, der 52 Länderspiele bestritt und 2007 mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister wurde, ist der erste deutsche Spitzenfußballer, der das ungeheure Tabu gebrochen hat: In einem Interview mit der Zeit erklärt er, dass er Männer liebt. Gewagt hat Thomas Hitzlsperger das allerdings erst, nachdem er seine Karriere im September 2013 beendet hatte. Denn er habe in den Kabinen „krasse Erfahrungen“ mit Homophobie machen müssen, bis hin zur „Aufforderung zur Ausgrenzung und zur Gewalt. Ich habe das miterlebt, auch wenn ich nicht persönlich angesprochen war“.  

Mit seiner sexuellen Orientierung hielt Hitzlsperger deshalb immer hinter dem Berg. Zu groß wäre der Tabubruch in der männerbündischen Kultur gewesen. „Überlegen Sie doch mal: Da sitzen zwanzig junge Männer an den Tischen und trinken. Da lässt man die Mehrheit gewähren, solange die Witze halbwegs witzig sind und das Gequatsche über Homosexuelle nicht massiv beleidigend wird.“

Keine Frage: So läuft das in den Kabinen der Fußballerinnen nicht. Deshalb findet die Süddeutsche, die homosexuellen Sportlerinnen seien „ihren männlichen Kollegen bei dem Thema weit voraus“. Stimmt das? Jein. Sicher, Steffi Jones verkündete jüngst, dass sie im Sommer ihre Freundin Nicole heiraten wird und Bild gratulierte herzlich. Uschi Holl, ehemalige Nummer 2 im deutschen Tor, hat bereits ihre Freundin Carina geehelicht und der Express druckte entzückende Hochzeitsfotos dazu. Nadine Angerer hatte im Zeit-Magazin en passant erklärt, dass es „nette Männer und nette Frauen gibt“. Und dann sind da noch Inka Grings, Linda Bresonik und ein paar andere. Ohnehin, wird gemunkelt, bestehe der Frauenfußball ja ohnehin zu 80 Prozent aus Lesben. Und das ist das Problem, denn diese Feststellung ist weiß Gott nicht immer positiv gemeint.

Sponsoren zum Beispiel schätzen dieses Image gar nicht, wie die Kommunikationswissenschaftlerin Daniela Schaaf von der Deutschen Sporthochschule herausfand. Unternehmen, die sich dennoch den Frauenfußball auf die Fahnen geschrieben haben, werden von anderen Unternehmensvertretern „nach dem dritten Bier schon mal gefragt: ‚Warum um Himmels Willen macht ihr denn Frauenfußball? Die Lesben will doch keiner sehen!’“

Die Herren hingegen können über einen Mangel an Sponsoren nicht klagen. Will heißen: Von den Millionenverträgen, die Thomas Hitzlsperger womöglich entgangen wären, hätte er sich während seiner Karriere geoutet, kann Nadine Angerer ohnehin nur träumen. Homosexuelle Fußballerinnen sind eben nicht nur lesbisch, sondern auch weiblich, also nicht nur von Homophobie betroffen, sondern auch von Sexismus. „Ein schwacher Pass ist ‚schwul’, ein schlechter Spieler ein ‚Mädchen’“, sagt Tanja Walter-Ahrens, Ex-Fußballerin, Homo-Aktivistin und Autorin des Buches „Seitenwechsel“. Und so bestätigt jede offen lesbische Spielerin das Klischee von den Kampflesben auf dem Fußballplatz. Während der dreitagebärtige Thomas Hitzlsperger, der wegen seines starken linken Spannschusses den Spitznamen „Der Hammer“ trug, das Klischee vom schwulen Weichei torpediert - und damit als echter Kerl seinen angestammten Platz im Männerbund behauptet.

Und so war es auch kein Wunder, dass, seit der DFB zur Attacke auf die Homophobie blies, vor allem von „schwulen Fußballern“ die Rede war. Die lesbischen Fußballerinnen landeten in DFB und Medien im Abseits. Hart ausgedrückt: Die Fußball-Damen, die sich trotz zweier WM-Siege in Talkshows immer noch als „Randsportart“ belächeln lassen müssen, sind einfach nicht wichtig genug, um sich über das Coming Out einer Steffi Jones groß aufzuregen. Während nach der Ankündigung des Hitzlsperger-Interviews der Zeit-Server kurzfristig unter der Last der Klicks zusammenkrachte.

Aber: Ohne jeden Zweifel geht es mit Siebenmeilenstollen voran – für Männer und Frauen. Noch 2003 hatte Steffi Jones erklärt: „Man wird keine Spielerin finden, die sich outet“. Wir dürfen gespannt sein, ob sich durch Thomas Hitzlspergers Schritt und die überwiegend freudige Resonanz darauf vielleicht auch bald ein aktiver Fußballer traut.

Spannend dürfte das allerdings spätestens bei der WM 2022 in Katar werden. In dem islamistischen Land gilt die Scharia und wird Homosexualität mit fünf Jahren Gefängnis bestraft. Für die Fußballfrauen wird sich diese Frage aber nicht stellen. Frauen müssen sich in Katar vollverschleiern. Eine Frauen-Fußball-WM wäre dort undenkbar.

 

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