Nele Neuhaus: Der Krimi ihres Lebens

Foto: Michael Schick
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Seit ihrer Kindheit träumte Nele Neuhaus vom Schreiben. „Schon als Schülerin hatte ich eine unstillbare Schreibwut“, sagt die Krimiautorin. Inzwischen hat sie zwölf Millionen Bücher verkauft. Lange aber sah es nicht danach aus, als würde ihr Wunsch Wirklichkeit werden.

Denn zunächst wird die junge Frau Metzgersgattin. Ihr Mann ist ein erfolgreicher Springreiter und Unternehmer im Taunus, wortgewandt, witzig und 20 Jahre älter als die verliebte Jura-Studentin. „Mit Anfang 20 ist man naiv.“

1995 heiraten sie. Das Studium bricht Nele Neuhaus ab, sie wird im Betrieb gebraucht. Fortan sitzt sie an der Kasse, etikettiert, wiegt Fleisch ab, putzt. Nach Feierabend geht es in den Stall, die Turnierpferde ihres Mannes trainieren, danach tippt sie nachts am Küchentisch. „Woher ich die Kraft hatte zu schreiben, weiß ich nicht“, sagt sie heute. Sieben Jahre braucht sie für ihr erstes Buch. Doch sie findet keinen Verlag, eine Absage folgt der anderen.

Ihr Mann ignoriert ihr „Geklimpere“. „Mach doch mal was Gescheites, etwas, was Geld einbringt“, höhnt er. Keine Zeile liest er von ihr, im Freundeskreis prahlt er damit. „Das war bitter“, erzählt Neuhaus. Aber es spornt sie an. „Ich wollte es ihm beweisen.“

Im Eigenverlag bringt sie im Jahr 2005 ihr Erstlingswerk heraus. 500 Stück lässt sie drucken, verkauft die Bücher über die Fleischtheke. Schreibt den ersten „Taunuskrimi“. Es folgt der zweite. Die Cover entwirft sie selbst, übernimmt Marketing und Vertrieb, alles in Personalunion. Oft steht sie daneben 18 Stunden am Tag im Laden. 850 Euro brutto verdient die „mithelfende Familienangehörige“ als Angestellte ihres Mannes. „Und das als Ehefrau mit Steuerklasse 5.“ Wenn sie das Thema anspricht, antwortet ihr Mann: „Was willst du denn, du erbst das doch eh alles.“ Geerbt hat sie nichts. Als ihr Mann 2018 stirbt, sind sie längst getrennt.

Ihren Durchbruch als Autorin erlebt Nele Neuhaus noch hinter der Fleischtheke. Der Ullstein-Verlag wird auf sie aufmerksam. Dort erscheint 2009 der dritte Taunuskrimi, und der geht durch die Decke. Die Metzgersgattin wird zum Star.

Der Durchbruch führt zur Scheidung und zu einer schweren Herz-OP. Hatte ihr Mann das Schreiben noch als Marotte seiner Frau akzeptiert, solange sie erfolglos war, so kommt er mit ihrem Ruhm gar nicht zurecht. Er wird gehässig, macht ihr ein schlechtes Gewissen, sie vernachlässige die Firma. So rackert sie sich weiter ab. Hat sie eine Lesung, fährt sie erst nach der Arbeit los. Wird sie in eine Talkshow eingeladen, fährt sie anschließend heim und putzt den Laden, um pünktlich um neun Uhr aufzusperren.

2011 kann Nele Neuhaus nicht mehr. „Ich habe sprichwörtlich keine Luft mehr bekommen.“ Sie zieht aus, geht nach Hamburg, wo sie vom Arzt erfährt, dass sie einen Herzklappenfehler hat und ihre Aorta lebensbedrohlich angeschwollen ist. „Seither trage ich eine Bioschweineklappe“, sagt sie schulterzuckend. „Schwein gehabt.“

Heute lebt Nele Neuhaus mit ihrem zweiten Mann zurückgezogen wieder im Taunus. Den Banker lernt sie auf einer Feier in einer Buchhandlung kennen. „Er wusste nicht, wer ich bin“, erzählt sie. Irgendwann fragt er: Und, was machst du so? Sie zeigt auf ein Plakat von sich. „Da war er baff.“

Sie heiraten 2017, an ihrem 50. Geburtstag. Jetzt ist plötzlich sie diejenige, die das Geld nach Hause bringt. Ihr Mann hat damit kein Problem, im Gegenteil: Er gab seinen Job in der Bank auf, studierte Stiftungsmanagement und übernahm die Leitung ihrer „Nele-Neuhaus-Stiftung zur Förderung der Lese-, Schreib- und Sprachkompetenz von Kindern und Jugendlichen“. „Mein Leben lang hatte ich Gegenwind“, sagt Neuhaus, „jetzt genieße ich die Unterstützung“.

Gerade ist ihr zehnter Krimi erschienen: „In ewiger Freundschaft“. Es geht noch blutrünstiger zu als sonst. Welche Abgründe diese lebensfrohe Frau hat, möchte man gar nicht wissen.

BETTINA WEIGUNY

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