Neue Masche: Strickende Männer

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Ich fange mit einer Beichte an: Liebe Handarbeitslehrerin aus der vierten Klasse. Erinnern Sie sich an das Stirnband, dass ich nicht mehr „gefunden“ habe? Es lag die ganze Zeit unfertig, und das wusste ich auch, in der untersten Schublade in meinem Zimmer in einem orangefarbenen Plastikbeutel verpackt. Liebe Handarbeitslehrerin aus der fünften Klasse. Erinnern Sie sich an den zwei Meter langen Wollschal, den wir gestrickt haben? 95 Prozent davon hat meine Mama einen Tag vor der Abgabe gestrickt. – Ich erwarte keine Absolution. (Nicht, dass ich dann noch als Buße zehn Reihen stricken oder häkeln muss.) Ich möchte stattdessen nur feststellen: Nicht alle Frauen sind zur Handarbeit geboren. Im Umkehrschluss muss man sich ja dann fragen: Wenn dieses Klischee (zum Teil) auf das eine Geschlecht nicht zutrifft, wie sieht es denn dann mit dem anderen aus?

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Elisabeth Heim hat eine Schaufensterpuppe geheiratet. In Insiderkreisen ist diese in Memmingen schon richtig bekannt. Das mag vielleicht daran liegen, dass es keine Plastikpuppe, sondern ein richtiger Mann ist, der da in der Ladenecke hinter dem Schaufenster sitzt. Es kann aber auch daran liegen, dass dieser Mann bei etwas gesichtet wird, das (angeblich) nicht viele Männer tun. Was mag das sein, fragen sich jetzt Millionen von Frauen. Abspülen? Sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten? Freiwillig zum Arzt gehen? Genug mit der Klischee-Spielerei. Nein. Er strickt. Er hat ja auch die passende Frau dazu, denn ihr gehört schließlich ein Strick-Fachgeschäft. Wolle in rauen Mengen ist somit vorhanden. Doch das ist nicht der Grund, warum er strickt. Eigentlich, so sagt er, hat er schon immer gestrickt. Auch schon vor seiner Frau. Den Grund dafür beschreibt er so: „Ich bin meiner Oma lästig geworden.“ Damit der kleine Bub was zu tun hatte, gab die Oma ihm Stricknadeln und Wolle in die Hand und sagte: „Strick du was und gib a’Rua.“

Seine Ehefrau war dann eine weitere wichtige Frau, die ihm stricktechnisch was beigebracht hat. Denn seit sie im Wollgeschäft ist, hat er seine Strickerei „ein bissle intensiviert“. Am Anfang, so erzählt Rudolf Heim*, hat er die Stulpen gemacht und seine Frau hat die Socke dann fertig gestrickt. Das wurde ihnen mit der Zeit aber doch zu blöd und so hat sie ihm beigebracht, wie man die Ferse strickt. Socken strickt er immer noch am häufigsten. Denn, „das geht am schnellsten“. Inzwischen hat er auch einen kleinen Vorrat an Socken in unterschiedlichen Größen. Es gibt schließlich immer Leute, die selbstgemachte Socken suchen. Vor allem, wenn keine Oma mehr da ist, die das macht, sagt Rudolf Heim. Deswegen muss er jetzt halt Socken stricken. („Von müssen ist keine Rede“ hört man die Stimme seiner Frau aus der anderen Ecke des Ladens.)

Komisch oder negativ hätte noch keine Person reagiert, die den strickenden Rudolf Heim zu Gesicht bekam. „Ganz im Gegenteil.“ Oft bekämen die Männer, die ihre Frauen ins Geschäft begleiten, einen dezenten Hinweis: „Der kann das doch auch, also lern du’s gefälligst auch.“ Rudolf Heim glaubt schon, dass es einige Männer gibt, die stricken. „Manche genieren sich vielleicht und machen’s heimlich“, glaubt er. Immerhin. Einen männlichen Stammkunden hat das Geschäft, erzählt Elisabeth Heim.
Die kleine Mütze auf dem Kopf hat er nicht selbst gestrickt. „Aber so eine ähnliche.“ Rudolf Heim war gestern erst bei der Chemotherapie. Deswegen sind ihm die Haare ausgefallen und deswegen trägt er auch im Sommer eine Mütze. Doch selbst während der Chemo hat er gestrickt. Was? „Chemosocken“, lacht er. Während der Behandlung hat er ja schließlich Zeit. Und er resümiert: „Solange wir stricken, geht’s uns gut.“ Andere Handarbeiten hat er auch schon ausprobiert. Häkeln findet er langweilig und würde es nur „im äußersten Notfall“ tun. Aber filzen, das gefällt ihm. Und früher hat er auch mal einen Teppich selbst geknüpft. Sticken? Er weiß wie’s geht, aber er lässt es lieber. Denn dazu „muss man gut sein“. Ein Alphorn würde er auch gern mal schnitzen. Dazu muss er aber nur noch einen passenden Baum finden, sagt er. Ok, das war wohl nicht wirklich ernstgemeint. Oder doch? Stricken aber hält er nach wie vor und auf alle Fälle für eine „sinnvolle Freizeitbeschäftigung“. Da kommt zumindest „was Sinnvolles dabei raus“. So sitzt Rudolf Heim weiterhin in der Strickecke, redet, strickt, lacht. Er würde, so sagt er, natürlich sofort auch anderen Leuten das Stricken beibringen oder ihnen Kniffe verraten. Sein Cousin, der heute zu Besuch ist, soll dazu gleich als lebender Beweis und als Testperson herhalten. Prompt wird der von den nicht ganz ernstgemeinten und (nur kurzen) Strick-Avancen überrascht und wirkt diesen hilflos ausgeliefert. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Vielleicht fängt er doch noch an. „Vielleicht in der Rente“, sagt der Cousin.

Schauplatzwechsel. Andere Stadt, andere Generation, andere Disziplin. Eine Gemeinsamkeit gibt es aber. Obwohl sich auch Sebastian Kern mühelos eine Mütze selbermachen könnte, trägt er heute eine gekaufte Mütze. „Was soll i mach’n, die Mütze lieb i halt.“ Seine zwei anderen Lieblingsmützen hat er, so sagt er, aber selbst gehäkelt.

Sebastian Kern hat vor vier Jahren mit dem Häkeln angefangen. Eigentlich müsste es heißen „wieder angefangen“. In der Schule hatte er im Handarbeitsunterricht schließlich auch gehäkelt. Das hatte ihm „wie damals eigentlich alles“ Spaß gemacht. „Die Mädchen waren sogar neidisch, dass ich so gut häkeln konnte.“ Außerhalb der Schule hat er dann aber lieber „fleißig Lego g’spielt und Sport g’macht“. Geändert hat das (Jamila von Carnap, Sebastian Kerns Freundin, steht grinsend daneben und sagt: „Das musst du jetzt schon erzählen.“) „ein missglückter Flirtversuch“. Das liest sich jetzt – man kann es wirklich nicht anders sagen – wie eine Rosamunde Pilcher Verfilmung. Nur ohne versteckte Strandbuchten, ohne wilde Felsküsten und ohne schottisches Hochland. Und statt in einem kleinen, niedlichen Cottage am Meer, beginnt diese Geschichte auf einer einsamen Hütte in den Bergen voller SkilehrerInnen. Eine Teilnehmerin eines Skilehrerjahrgangs, eine „sehr attraktive Dame“, saß dort abends in der Ecke und hat gehäkelt. Um mit ihr ins Gespräch zu kommen, ließ sich Sebastian Kern etwas einfallen. Er besorgte sich Wolle und setzte sich am nächsten Abend – ebenfalls häkelnd – neben sie. Wir spulen lieber einige Stunden vor: Das mit der Frau hat nicht geklappt, dafür aber das Mützenhäkeln erstaunlich schnell wieder.

Dann eben Planänderung, denkt sich Sebastian Kern. Hatte er eh nicht einige Zeit zuvor von seinem eigenen Firmennamen geträumt? Braucht er nicht eh ein Produkt, das er unter diesem Namen verkaufen kann? Warum also nicht Mützen? Die, die er für sich selbst und seine Freunde nach dem Flirtdebakel gehäkelt hatte, sind doch super angekommen. So gründet er 2008 seine eigene Firma (www.edelschwarz.com) und verkauft seitdem selbst gehäkelte Mützen und finanziert sich so sein BWL-Studium. Ob er denn erwartet hat, dass seine Produkte gleich so gut ankommen. „Des war der Plan.“ Sebastian Kern zuckt lässig die ­Schultern. Seine Umgebung, so räumt er ein, war dagegen schon etwas skeptisch und dachte sich wohl: „Jetzt spinnt der total“.

Die Mützen häkeln sich nicht von allein und so schart er eine kleine Gruppe eifriger MitstreiterInnen um sich. Und hier betritt Jamila von Carnap, Muse Nummer zwei, Mitorganisatorin und Mit-Häklerin die Bühne. Natürlich hat er sie „mit einer Tüte Wolle in der Hand vor einem Woll-Laden getroffen“. Jamila von Carnap sagt, sie hat „erst gelacht“ als ihr Sebastian Kern erzählt hat, dass er ­häkelt. Schließlich hat sie noch nie „einen Kerl getroffen, der das macht“.

Aber sie war dann doch „positiv überrascht“, wie gut er häkeln kann. Die Welt ist übrigens klein und so ist auch die unnahbare Muse Nummer eins inzwischen Teil der kleinen Gruppe, die sich immer donnerstags zum Häkeln trifft. Ein Kasten Bier steht dann dabei und „ab und zu gibt’s auch Kässpatzen“. Diese Häkel-Runde besteht dabei nicht nur aus alten und aktuellen Musen, sondern auch aus ehemals skeptischen Kumpels. Denn wenn Sebastian Kern seinen Freunden von seinem Hobby erzählt, reagieren diese meist gleich. Und zwar lässt sich das mit der Kernschen Veni, vidi, vici-Variante beschreiben: „Was, du häkelst?“ (Betonung hämisch). „Was, das hast du ­gemacht?“ (Betonung bewundernd) „Was, kann ich das auch mal ausprobieren?“ (Betonung neugierig). Und voilà, schon hat er einen weiteren Mützenhäkler: „Denn Häkeln lernt man relativ schnell.“

Die Menschen „müssen“ das tragen, was ihnen der Markt sozusagen vorschreibt. „Künstliche Verknappung“ nennt Sebastian Kern das. Dabei gebe es doch eine unzählbar große Anzahl von Möglichkeiten. Deswegen will Sebastian Kern seinen KundInnen auch keine allzu großen Vorschriften machen. Es gibt zwar zwei Mützen- und eine Stirnbandvariante auf seiner Home­page, aber die Farben kann man sich dann reihenweise selbst aussuchen. „Dabei kommen Farbkombinationen heraus, die wir uns nie zu häkeln getraut hätten, die dann aber echt gut aussehen.“

Bei 24 Farben und 13 Maschenreihen gibt es übrigens 876 488 338 465 357 824 Möglichkeiten. So viele Mützen ­häkeln sie dann doch nicht, sondern „nur“ etwa 4–5000 im Jahr. Sebastian Kern hat also genügend Gründe, warum er eventuelle dumme Kommentare mit einer stoischen Ruhe erträgt. Angst vor alten Klischees hat er auf alle Fälle nicht. Außerdem ist ja auch alles eine Frage der Perspek­tive. Denn: „Des hat ja au was Männliches, wemma häkelt und a Kascht’n Bier daneaba stoht.“

Waren das wirklich schon alle Männer, die häkeln und stricken? Leicht haben sie es sicherlich nicht unbedingt, immerhin werden die alten Klischees immer noch handfest bedient. So ist zum Beispiel der Großteil der Handarbeitsbücher für Kinder entweder ganz pink und glitzerig oder hat in Großbuchstaben ein „für Mädchen“ auf dem Buchdeckel stehen. Aber ich bin fest überzeugt: Es gibt noch mehr. Männer, die daheim häkeln und stricken. Und hoffentlich bald nicht mehr wie Silberfischchen panisch davonlaufen, sobald die Tür knarrt und ein wenig Licht durch den Türspalt fällt ...

Der Artikel erschien zuerst in Die Allgäuerin

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