Alice Schwarzer schreibt

Orange ist der neue Feminismus

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Sie können nicht shoppen, denn sie dürfen nicht raus. Sie tragen keine Highheels, sondern Boots. Sie konkurrieren nicht um Männer, sie werden von ihnen bewacht. Sie sind unter Frauen. Im Frauengefängnis. Frauen aller Hautfarben, aller Altersklassen, aller Lebens- und Liebeslagen. Die Highclass-Girls sind eher rar unter den weißen Underdogs, Schwarzen und Hispanics. Und überhaupt ist die Serie weder chic noch cool.

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Eine Serie mit
ganz normalen Frauen wird Kult

Zu vermuten ist: Hätte Jenji Kohan, die Autorin und Produzentin, über die TVSerie „Orange Is the New Black“ dem TVSender von Anbeginn an klare Ansage gemacht, wäre wohl nichts draus geworden. Denn welcher Sender hält schon eine Serie für einen Quotenrenner über eine Community von Frauen, nach denen sich bei neun von zehn kein Mann auf der Straße umdrehen würde?

Doch herausgekommen ist eine Erfolgsserie, die gerade Fernsehgeschichte schreibt und längst Kult ist in Amerika. Was mit der ungeschminkten Lebensnähe der vielfältigen Figuren in diesem Knastreigen zu tun hat, mit der Komplexität und Ambivalenz der Charaktere, mit dem Nebeneinander von Drama und Komik. Eben ganz wie im Leben. Und natürlich mit der herausragenden Qualität von Drehbuch, Regie und SchauspielerInnen.

Inzwischen gibt es schon drei Staffeln à 13 Folgen auf Deutsch, der US-Start für die vierte ist für Anfang 2016 angekündigt und soll in Amerika und Europa zeitgleich erscheinen. Dass es jemals überhaupt eine zweite Staffel geben würde, hat zunächst wohl selbst der Bezahlsender Netflix nicht geahnt, und schon gar nicht, dass die Knastfrauen die Politelite aus Netflix‘ bisher erfolgreichster Serie, aus „House of Cards“, überflügeln würden.

Die Knast-Story
beruht auf einer wahren Geschichte

Die Story beruht auf einer wahren Geschichte, die die echte Piper veröffentlicht hat. Das weiße Mittelstandsgirl muss in den Knast. Sie ist Anfang dreißig und mit einem netten Muttersöhnchen verlobt. Zehn Jahre zuvor allerdings hatte Piper eine heiße Love-Affair mit Alex, die sie ins Drogen-Dealen reingezogen hat. Diese Vergangenheit holt die naive Bürgerstochter nun ein und beschert ihr ein Jahr Gefängnis.

Zunächst ist der Schock für die wohlerzogene, wenn auch emotional vernachlässigte Tochter aus gutem, unherzlichem Hause groß. Doch von Tag zu Tag wird sie mehr und mehr eine von ihnen. Sie bleibt auch keineswegs nur nett, sondern kann bald hart sein. Das bringt das Knast(über)leben so mit sich. Und sie begegnet im Knast Alex wieder. Was zu Komplikationen mit dem Verlobten draußen führt.

Die Intensität der Serie ist nicht zuletzt der Präsenz aller Figuren, auch der Nebenrollen, zu verdanken. Rückblenden zeigen, warum diese Frauen im Gefängnis sind, und wie sie wurden, was sie sind. Es gelingt im Verlauf der Serie, eine sehr breite Spanne der sozialen Realitäten in Amerika darzustellen: vom bürgerlichen weißen Milieu mit Karrieremännern und depressiven Ehefrauen, über die Gewaltverhältnisse im Drogenmilieu bis hin zu dem Leben der noch immer diskriminierten Schwarzen. Alles ist vertreten.

Einige Schau-
spielerinnen
haben auch im Leben Bitteres erfahren

Versteht sich, dass die Gefängnisinsassinnen alle mehr oder weniger typische Frauenschicksale haben, gespielt von Schauspielerinnen, die nicht selten nur zu gut wissen, was sie da darstellen.

So Kate Mulgrew, die Galina Reznikov, genannt Red, spielt. Mulgrew war der erste weibliche Captain in „Raumschiff Voyager“ und ist in der Knast-Serie eine der Führungsfiguren, eine Mischung zwischen Sowjet-Kommissarin und Mutter Teresa. Im Leben wurde Kate vergewaltigt und gab das Kind 1977 zur Adoption frei.

Oder Natasha Lyonne, die die drogenabhängige, lesbische Nicky spielt, neben Piper zunächst die einzige Bürgerliche im Knast. Sie war auch im Leben heroinabhängig. Oder Laverne Cox, die als die transsexuelle Sophia im Knast die Frauen frisiert, und deren Part alles andere als glamourös ist, sondern eher tragisch. Laverne ist auch im Leben eine bekannte Transgender-Aktivistin.

Oder Lea DeLaria, die Big Boo spielt, die harte Butch mit dem weichen Herzen. De-Laria ist Jazzsängerin und Stand-up-Comedian, und hat als erste 1993 eine homosexuelle Nummer in Late-Night-Talkshows hingelegt. Sie spricht offen über bittere Erfahrungen auch im Leben und sagt, „Butches“ seien „auch in der lesbischen Community Parias“.

Es kämpft jede für sich in diesem Panic room, gleichzeitig aber herrscht ein gewisser Gemeinschaftsgeist und neben der Abgebrühtheit eine tiefe Menschlichkeit. Doch selbstverständlich gibt es auch unter Frauen das Böse bzw. böse Werdende – den üblen Umständen entsprechend.

Serien-Macherin
Kohan hat auch geschrieben:
Sex and the City

Doch der Außenfeind ist klar, die größten Demütigungen kommen von den Wärtern und der Gefängnisleitung. Die hat übrigens eine Frau, fern vom Gefangenenalltag. Diese hochbeinige, rothaarige Karrierefrau ist die einzige, fast bruchlos widerliche Figur in der Serie. Irgendwie noch widerlicher als der sadistische Wärter mit dem ekligen Schnäuzer.

Und es fehlt auch nicht die Kapitalismuskritik. Die Folgen der reinen Profitgier, unabhängig von den Auswirkungen auf die Menschen, erweisen sich auch hinter Gittern als desaströs, als das staatliche Gefängnis eine privatwirtschaftliche Leitung bekommt. Neben den Apparatschkis der Konzerne machen sich die WärterInnen des alten Schlages fast rührend aus.

Wer einsteigt in die Knastwelt von Kohan, riskiert süchtig zu werden. Und dabei reden wir bei drei Staffeln von je 13 Folgen über gesamt rund 39 Stunden Fernsehen. Das können lange Abende werden. Doch es lohnt sich. Denn diese Serie zeigt, was Fernsehen sein kann, wenn es sich traut.

Wir lernen viel über das Leben der Anderen – aber auch über unser eigenes. Wen wir gerade noch naiv fanden, erweist sich bald als gerissen; wer uns gerade noch scheußlich schien, erzeugt plötzlich unser Mitgefühl; wer gerade noch verrückt war, ist nun kreativ.

Die Macherin der Serie, Jenji Kohan, hat einst auch für „Sex and the City“ geschrieben. Diese Glamourgirl-Serie ist sozusagen das Gegenstück zu den Frauen in der orangefarbenen Knast-Einheits-Kluft von „Orange Is the New Black“. Kohan kommt aus einer jüdischen New Yorker Familie von Kreativen. Der Vater schreibt TV-Komödien, die Mutter ist Schriftstellerin, der Bruder hat eine erfolgreiche Serie mit homosexuellen Protagonisten mitgemacht. Und sie? Sie ist verheiratet mit einem Schriftsteller. Die Regisseurinnen der Serie wechseln, eine von ihnen ist Jodie Foster. Bei ihr wird es dann noch genauer, beklemmend hart und zart zugleich.

Schon jetzt ein
feministischer
TV-Klassiker!

Und in mindestens einem Fall haben sich Fiktion & Realität schon vermischt. Eine der Drehbuchschreiberinnen, Lauren Morelli, hat sich bereits nach wenigen Tagen in Samira Wiley verliebt, die Darstellerin von Poussey in der Serie. Morelli ist inzwischen geschieden – und die beiden „daten“.

Diese TV-Serie hat keine Angst vor dem Leben. Und sie zeigt Spannungen, Rivalitäten und Gemeinheiten unter Frauen ebenso wie Freundschaft, Liebe und Leidenschaft. In Amerika und Großbritannien wird „Orange Is the New Black“ längst als „feministischer Klassiker des Fernsehens“ (Soziologin Debra Ferreday) gehandelt. Und genau das ist es: eine Kultserie, die durch und durch geschlechterbewusst ist. Kurzum: realistisch.

Alice Schwarzer

 

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