Post für den Kanzler

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Frauen machen dem Kanzler und allen, die gegen Unisextarife sind, Dampf! Mit Erfolg. Es sieht ganz so aus, als hätte die EU-Richtlinie für gleiches Recht im EU-Rat eine reale Chance.
Ganz schön was zu schleppen hatten die Postboten vom Kanzler. Allein im ersten Monat, zwischen dem 8. März und dem 8. April, hagelte es exakt 155.000 „Abrechnungen“ im Kanzleramt. Abrechnungen von Frauen, die dem Kanzler vorrechneten, dass sie im Durchschnitt genau 14.114,61 Euro mehr zahlen müssen, wenn sie auch in Zukunft die gleiche Rente wie Männer erhalten wollen. Die Bundesregierung hat das gesetzliche Rentenniveau um vier Prozent gekürzt. Um diese Lücke zu schließen, wurde die so genannte Riester-Rente geschaffen, das heißt, Männer wie Frauen müssen sich jetzt zusätzlich privat versichern. Und die Versicherungen knöpfen Frauen für die gleiche Rente mehr Geld ab als Männern. Argument: Frauen leben länger.
Der Protest der Frauen hat so durchgeschlagen, dass die Kanzler-Partei auf ihrem Sonderparteitag am 21. März eilig einen Antrag pro Unisex-Tarife verabschiedete, in dem die SPD-Bundestagsfraktion aufgefordert wird, umgehend zu handeln. Nämlich einen „Änderungsantrag für das laufende Alterseinkünfte-Gesetzgebungsverfahren einzubringen“, damit auch in Zukunft gleiche Rente bei gleichen Beiträgen für Frauen garantiert ist. Vor der Verabschiedung des Antrags ging es hoch her. „Einige Genossen mussten zu der Abstimmung regelrecht von ihren Ehefrauen hingeprügelt werden“, berichten Insider.
Diese Wellen schlugen bis nach Straßburg, wo das Europäische Parlament neun Tage später, am 30. März, nach langen heißen Debatten endlich die seit Sommer 2003 heiß diskutierte – und auch von den Medien gerne lächerlich gemachte – Antidiskriminierungs-Richtlinie beschloss, die unter anderem Unisex-Tarife auch bei Versicherungen und Krankenkassen vorsieht. Die endgültige Entscheidung aber ist noch lange nicht in der Tasche. Denn der Parlamentsbeschluss muss noch vom EU-Rat, in dem auch alle Regierungschefs und Außenminister der EU vertreten sind, bestätigt werden.
Und jetzt kommt die Kanzler-Post zum Tragen. Gerhard Schröder gilt nämlich, neben Tony Blair, als einer der härtesten Gegner der Unisex-Tarife. Der deutsche Kanzler hört da weniger auf die Frauen und mehr auf die mächtige Versicherungswirtschaft. Das geht so weit, dass die Bundesregierung Ende letzten Jahres in einer internen „Lageeinschätzung“ zu den von der Europäischen Union geplanten Unisex-Tarifen erklärte: Deutschland wird gegen die Richtlinie Widerstand leisten, mindestens aber „eine Ausschlussklausel für die Versicherungsbranche – und eventuell auch für die Banken“ fordern. Und weiter hieß es in dem vertraulichen Papier: Diese Absicht sei jedoch unbedingt zu „kaschieren“, um potentielle Wählerinnen für die Bundestagswahl 2006 nicht zu vergraulen.
Die „potentiellen Wählerinnen“ aber erfuhren von den finsteren Absichten, nicht zuletzt durch die Berichterstattung in der Januar/Februar-Ausgabe von EMMA. Unter den aufmerksamen Leserinnen: Leni Breymaier, die stellvertretende DGB-Vorsitzende von Baden-Württemberg, sowie die Versicherungsexpertin und Hamburger Genderbeauftragte von ver.di, Ute Engelmann. Die beiden setzten sich zusammen und errechneten mit spitzem Bleistift eben diese 14.114,61 €.
Von da bis zu der Aktion „Tag der Abrechnung“ waren es nur wenige Schritte. Die engagierten Gewerkschafterinnen organisierten, zusammen mit der stellvertretenden ver.di-Vorsitzenden Margret Mönig-Raane, ein Frauenbündnis, bis hin zum Frauenrat, der das Anliegen mit seinen ganzen elf Millionen Mitgliedern unterstützt, und Alice Schwarzer, die die Schirmherrin der Aktion wurde.
Die Bundesfrauenministerin Renate Schmidt hält sich noch bedeckt, aber die NRW-Frauenministerin Birgit Fischer, ebenfalls SPD, ging schon Ende Februar, gleich nach Bekanntwerden der Aktion „Tag der Abrechnung“, aus der Deckung und forderte Unisex-Tarife. „Verärgert reagierte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft auf die Aktion“, vermeldete das Handelsblatt. „Schon die Botschaft sei falsch.“ Falsch?
Die Frauen schrieben ihre vielen guten Argumente sehr genau auf, zählten alle wichtigen Gründe gegen ungleiche Tarife für Frauen und Männer auf dem Flyer auf. Darunter nicht nur, dass bei dem angeblichen Grund für höhere Krankenkassenbeiträge, dem „Geburtsrisiko“, ja auch die Männer eine Rolle spielen, sondern auch, dass die niedrigeren Renten schlicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Denn in Artikel 3, Absatz 2 heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Das wäre schön. Hier werden jedoch sogar neue, verstärkte Nachteile geschaffen.
In der Tat ist das Kriterium Geschlecht bei unterschiedlichen Tarifen für Krankenversicherung, Altersvorsorge etc. absolut willkürlich. Der Deutsche Juristinnenbund machte darauf aufmerksam, dass man genauso gut unterschiedliche Tarife für Raucher und Nichtraucher einführen könne. Und die Juristin Prof. Heide Pfarr, Ex-Frauenministerin, Direktorin der Böckler-Stiftung und Mitinitiatorin der Aktion, kündigte kühl einen Musterprozess an: „Sollten die Unisex-Tarife nicht vorher fallen, werden wir die Klage einer einzelnen Frau als Musterprozess unterstützen – und ganz sicher spätestens in Straßburg beim Europäischen Gerichtshof gewinnen.“
Doch soweit muss es ja vielleicht gar nicht kommen. Der breite Protest der Frauen hat schließlich schon die Kanzler-Partei und das EU-Parlament in die Knie gezwungen. Nachdem Deutschland zu kippen scheint, geraten auch Großbritannien und die Niederlande, die bisher härtesten Gegner von Unisex-Tarifen, ins Wanken. Die Chancen stehen also gar nicht so schlecht, dass der Europarat am 6. Juni – eine Woche vor den EU-Wahlen! – die Unisex-Tarife verabschiedet, genau gesagt: die „Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen“. Dazu gehören die Versicherungs- und Krankenkassentarife ebenso wie die Tarife beim Friseur, wo ein und derselbe Schnitt als „Herrenschnitt“ oft noch immer 10 Euro billiger ist als der „Damenschnitt“.
Der teurere Haarschnitt wäre ja noch zu verkraften – auch wenn es nicht einzusehen ist – eine angemessene, gleichberechtigte Alterssicherung für Frauen aber ist absolut elementar. Wer den Frauen hier Knüppel zwischen die Beine wirft, stellt sich auf existenzielle Weise der Emanzipation und Eigenständigkeit von Frauen in den Weg.
„Zeit, sich zu wehren. Zeit, die Rechnung zu präsentieren“, heißt es in dem Brief an Gerhard Schröder. Zeit, die Frauen ernst zu nehmen, die Herren.
www.tagderabrechnung.de.
EMMA Mai/Juni 2004
In EMMA zum Thema: September/Oktober 003, Januar/Februar 2004 + März/April 2004

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