Pfarrerin Anne Lungová: Der K(r)ampf

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Warum der Rücktritt von Margot Käßmann zu einem Rückschritt für Frauen in der Evangelischen Kirche werden könnte.

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Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, sollte eigentlich meine nächste Anlaufstelle im Kampf gegen die Diskriminierung der Pfarrerinnen in der Rheinischen Landeskirche werden. Bereits ein Jahr lang hatte ich mich als Pfarrerin der Evangelischen Kirche im Rheinland gegen die Benachteiligung von Pfarrerinnen in der Elternzeit gewehrt. Umsonst.

Für den Repräsentanten der Rheinischen Landeskirche, Nikolaus Schneider, fällt die Diskriminierung der Pfarrerinnen in der Elternzeit unter die „Kreuzeserfahrung der Kirche“, die es zu bedauern gilt. Margot Käßmann galt hingegen für viele Frauen in der Evangelischen Kirche als Vorbild, die eine klare Haltung zur Gleichberechtigung vertrat. Ihr Rücktritt könnte nun zu einem Rückschritt für die Frauen in der Evangelischen Kirche werden.

Es sei denn, die Pfarrerinnen selbst fordern ihre Rechte ein und verteidigen sie. Als Pfarrerin, die von der frauenfeindlichen Politik in der Evangelischen Kirche betroffen ist, sind meine Erfahrungen durchaus typisch.

Als ich mich Anfang der 80er Jahre – gerade mal 14-jährig – entschied, evangelische Pfarrerin zu werden, war das nichts Besonderes. Mädchen und Jungen waren in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit gleichermaßen aktiv. Die Pfarrer der Heimatgemeinde waren zwar alle männlich, aber es gab genügend weibliche Mitarbeiterinnen, an denen ich mich orientieren konnte. Ich war begeistert von der offenen Atmosphäre der Kirchentage, euphorisch über die Gemeinschaftserfahrungen, bestätigt durch die positiven Rückmeldungen der Kindergottesdienstkinder.

Das Studium der Evangelischen Theologie erlebte Ende der 80er Jahre einen Boom. Theologiestudentinnen waren willkommen. Die offene Atmosphäre an der Evangelischen Fakultät an der Universität in Frankfurt täuschte über die konservative Kirchenpolitik hinweg. Diese tat sich noch immer schwer damit, wenn Frauen in höhere Würden gewählt wurden. Die erste Pröpstin in Frankfurt sorgte ebenso für Schlagzeilen wie die Wahl von Bischöfin Maria Jepsen oder Margot Käßmann.

Weil wir jungen Theologiestudentinnen – anders als die Vorgängerinnengeneration – nicht mehr um die Einführung der Frauenordination kämpfen musste, lebten wir im Glauben an eine für alle gleichermaßen offene Kirchenwelt. Wir konnten wie die männlichen Kollegen eine Universitätslaufbahn anstreben oder in den kirchlichen Dienst treten.

Doch eines hatte ich bei der Wahl des Pfarrberufs übersehen: Die Ausbildung dauert sehr lang. Bereits das Studium wird zum Langestreckenlauf. Kaum jemandem gelingt es in weniger als sechs Jahren, die Sprachen Griechisch, Hebräisch und Latein zu lernen, vorgeschriebene Studienortwechsel einzuhalten und das umfangreiche Prüfungsprogramm vorzubereiten. Als ich die Erste Theologische Prüfung in der Rheinischen Landeskirche ablegte, war ich 26 Jahre alt und bereits verheiratet.

Auf die Freude über die bestandene Prüfung folgte Ernüchterung. Statt direkt in den Dienst der Kirche übernommen zu werden, fand ich mich auf Platz 48 einer Warteliste wieder. Ein halbes Jahr müsse ich auf einen Vikariatsplatz warten, sagten mir die Verantwortlichen der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ich füllte die Wartezeit mit Jobs an der Uni, Arbeiten für den Rundfunk und einer Schwangerschaft. Meinem zukünftigen Arbeitgeber kündigte ich die Schwangerschaft vorschriftsmäßig an.

Endlich wurde mir ein Vikariatsplatz zugewiesen. Ich gab die Jobs auf und zog um. Kurz danach wurde mir mitgeteilt, ich sei weiterhin auf der Warteliste, einen Vikariatsplatz könne ich leider erst später antreten.

Ich war inzwischen 27 Jahre alt und hatte ein siebenjähriges Studium absolviert. Ich hatte mich an der Universität und im Medienbereich zusätzlich qualifiziert, war im siebten Monat schwanger und – arbeitslos. Ich setzte mich mit dickem Bauch in den Zug nach Düsseldorf, dem Sitz des Landeskirchenamtes. Ein Kirchenbeamter erklärte mir, man habe die Erfahrung gemacht, dass schwangere Theologinnen eh nie Pfarrerinnen werden. Ich bekam Sozialhilfe und vorzeitige Wehen. Sechs Wochen nach der Geburt des gesunden Sohnes begann ich als Vikarin zu arbeiten.

Das Vikariat in der Rheinischen Landeskirche dauerte damals 2,5 Jahre. Für mich als Vikarin mit Kind war es zu kompliziert, Arbeit und Familie allein zu organisieren. Mein Partner erklärte sich bereit, die Rollen zu tauschen. Da sich die Arbeit in einer Gemeinde mit Lerneinheiten in mehrwöchigen Seminaren an unterschiedlichen Orten abwechselt, war die ganze Familie gezwungen, sich nach der Ausbildung zu richten. Es gab keine geregelten Arbeitszeiten und es stand kaum ein freies Wochenende zur Verfügung. Kein Wunder, dass die Mehrheit der Vikarinnen kinderlos ist. Der Leiter der Ausbildungsstelle warf mir vor, ich sei als Vikarin mit Kind zu selbstbewusst. Schließlich könnte ich mich weitaus weniger meiner Ausbildung widmen als Kolleginnen ohne Kinder.

Die Prüfungszeit wurde zur Herausforderung. Mit dem Fahrrad brachte ich den Sohn in die Kita, lernte für die zahlreichen Prüfungen und bereitete Gottesdienste vor. Ich beneidete katholische Priester um ihre Ruhe, putzte das Haus und dachte gleichzeitig über das nächste Thema für die Frauenhilfe nach. Ich bestand die Zweite Theologische Prüfung, wurde ordiniert und wechselte in ein einjähriges Auslandsvikariat nach Prag in Tschechien.

In Prag angekommen, eröffnete mir mein Partner, er werde die Familie verlassen. Er habe genug von der Rolle als Hausmann. Ich war ordinierte Pfarrerin zur Anstellung, 30 Jahre alt, Mutter eines Sohnes und – alleinerziehend. In der deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde nahm man die Neuigkeit mit Gelassenheit hin. Der Sohn versteckte sich während des Gottesdienstes unter meinem Talar. Da begann ich, Amt und Privatleben strikt zu trennen. Als das Auslandsvikariat endete, bot die Gemeinde mir die freigewordene Pfarrstelle an. Die Rheinische Landeskirche sagte zu, ich könne die dreieinhalbjährige Zeit Pfarrer-zur-Anstellung in der Prager Gemeinde verbringen. Die EKD sagte Geld zu, das aber nicht auf mein Konto überwiesen wurde. Als sich der Deutsche Botschafter einschaltete, kamen die Verhandlungen mit der EKD in Gang. Ich wurde EKD-Beauftragte und wie die männlichen Kollegen im Ausland bezahlt.

Mit der Statusänderung kam gleichzeitig Häme auf. Ich hörte auf, Alkohol zu trinken, weil mich bereits ein Glas Sekt beim Empfang zur Alkoholikerin machte. Es wurden Stimmen laut, die forderten, eine Gemeinde bräuchte einen Pfarrer mit geordneten Familienverhältnissen. Die Verantwortlichen in der Rheinischen Landeskirche wollten sich plötzlich an ihre Zusage nicht mehr erinnern. Beim Besuch einer kirchlichen Frauengruppe zeigte sich eine Frau überrascht, als sie erfuhr, dass ich alleinerziehende Pfarrerin sei. Nach einigen Sekunden Schweigen kommentierte sie: Das kommt in den besten Familie vor! Für diesen Satz war ich ihr dankbar.

Die Gemeinde wuchs, das ZDF sendete aus der Gemeinde einen Fernsehgottesdienst, die Arbeit erfüllte mich. Weil es in Tschechien üblich ist, dass Frauen arbeiten, verlor ich mein schlechtes Gewissen als berufstätige Mutter, das man mir in Deutschland und in der Kirche eingetrichtert hatte. Zusammen mit anderen Frauen begleitete ich eine deutsche Erzieherin, die an Brustkrebs erkrankt war. Ich übersetzte die Diagnose und fuhr mit ihr viele Male zur ambulanten Chemotherapie. Ich half ihr, das neu gebaute Haus zu putzen, in dem sie noch eine Weile leben wollte. Ich pflanzte in den Garten ein Bäumchen, das ihre Kinder an sie erinnern sollte, nachdem sie starb. Ich verstand, dass der Pfarrberuf ohne Frauen und ihre Erfahrungen nicht auskommen kann. Es gibt Lebensbereiche, in die Männer niemals vordringen können, weil sie Männer sind.

Als ich die Anstellungsfähigkeit ausgestellt bekam, die mich endgültig dazu berechtigte, mich als Pfarrerin auf eine volle Stelle auf Lebenszeit im Rheinland zu bewerben, war ich 34 Jahre alt. Als ich meinen neuen Mann kennen lernte und schwanger wurde, entschied ich mich, die Elternzeit in Anspruch zu nehmen, bevor ich mich auf eine neue Stelle in Deutschland bewerbe. Wir freuten uns über die Geburt von zwei Söhnen im Abstand von anderthalb Jahren. Nach drei Jahren begann ich als freie Mitarbeiterin für den Rundfunk zu arbeiten.

Ein Jahr vor Ablauf der Elternzeit erkundigte ich mich, wie die Bedingungen für die Pfarrstellenvergabe aussehen. Ein Kirchenbeamter sagte mir, dass sich in der Zwischenzeit alles geändert habe. Es gäbe nun ein Auswahlverfahren, das prüfe, wer für den Pfarrdienst geeignet sei. Statt einer vollen Stelle werde es nur noch 75 % - Stellen mit besonderem Auftrag geben, in die man für ein Jahr eingewiesen werde.

Ich solle mir keine allzu großen Hoffnungen machen. „Ihre Personalakte ist dünn!“ so der Wortlaut. Mir kam der Gedanke, dass es nicht allein um mein persönliches Problem in der Kirche geht, sondern um ein allgemeines Problem, das die Kirche mit den Frauen hat. Ein Arbeitgeber, der die Bedingungen so drastisch verändert, dass der Status der Frauen in der Elternzeit angegriffen wird, diskriminiert die Frauen. Ich begann, mich für das Thema „Frauen und Kirche“ zu interessieren. Ich entdeckte zu meinem Erstaunen, dass sich das Landeskirchenamt der Rheinischen Landeskirche mit dem Titel „familienfreundliches Unternehmen“ schmücken darf. Noch mehr überraschte mich der Inhalt des Positionpapieres zur Familiengerechtigkeit, das auf der Synode der Rheinischen Landeskirche im Jahr 2007 verabschiedet wurde. Darin heißt es: „Die Evangelische Kirche im Rheinland sieht sich in der Mitverantwortung für Familien in unsere Gesellschaft. Sie versteht Familiengerechtigkeit als entscheidenden Schlüssel für die Ordnungen des gesellschaftlichen Lebens“ (Beschluss 53).

Der Präses der Rheinischen Landeskirche, Nikolaus Schneider, gestand zwar die Diskriminierung der Pfarrerinnen in der Elternzeit ein, sieht sich aber nicht zum Handeln gezwungen. „Das hätten Sie besser planen müssen!“ so die Antwort des Präses auf meine Anfrage. Dass die Lebensplanung der Frauen von vielen verschiedenen Faktoren abhängt und auch von der Tatsache, dass Familiengründung und Berufsausbildung miteinander vereinbart werden müssen, ist heute gesellschaftlicher Konsens. Dass die Evangelische Kirche ihren Pfarrerinnen Steine in den ohnehin schweren Weg legt, ist längst kein Geheimnis mehr. Wie schwer das für die Frauen und ihre Lebensgestaltung ist, zeigt nicht nur das Beispiel von Margot Käßmann, sondern gehört zur bitteren Erfahrung von vielen Pfarrerinnen.

Weil ich mich auf Grund der Diskriminierung weigerte, am neuen Auswahlverfahren teilzunehmen, wurde ich vor einem Jahr aus dem Dienst der Rheinischen Landeskirche entlassen. Doch trotz Klage und einem Urteil der kirchlichen Gerichtsbarkeit, das die vorgenommenen Änderungen als rechtswidrig eingestuft hat, ist die Kirchenleitung der Rheinischen Landeskirche nicht bereit, die Entlassung rückgängig zu machen. Daher wollte ich auf EKD-Ebene meine Rechte als Frau in der Evangelischen Kirche einfordern. Doch dann kam der Rücktritt von Frau Käßmann.

Dass nun der Präses der Rheinischen Landeskirche, Nikolaus Schneider, der EKD vorsteht, kann zu einem großen Rückschritt für die Frauen in der Evangelischen Kirche werden. Jetzt, wo die Stimme von Margot Käßmann nicht mehr für die Frauen eintritt, müssen die Pfarrerinnen in der Kirche selbst ihre Stimme erheben!

So wie unsere Vorgängerinnen sich für das Recht auf das Studium der Evangelischen Theologie und für die Einführung der Frauenordination eingesetzt haben, müssen Pfarrerinnen heute dafür kämpfen, dass ihre Rechte gewahrt bleiben. Es hat sich gezeigt, dass Frauen in einigen wenigen Spitzenpositionen nicht ausreichen, um eine frauenfreundliche und gerechte Evangelischen Kirche zu sein. Für die Zukunft der Frauen in der Kirche ist es wichtig, dass Gleichbehandlung und Familiengerechtigkeit nicht nur auf dem Papier stehen, sondern Schritt für Schritt umgesetzt werden.
Pfarrerin Anne Lungová, EMMAonline, 11.5.2010

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