„Pille danach“ völlig ungefährlich

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Peinlich für das Gesundheitsministerium. Dem „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ sind in Sachen „Pille danach“ lediglich zwei Fälle bekannt, bei denen es nach Einnahme zu schweren Nebenwirkungen gekommen ist. In ganz Deutschland, seit 1998. Das erklärte die Bundesregierung gegenüber der Linksfraktion, die eine kleine Anfrage zum Thema gestellt hatte.

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Dabei hatte Gesundheitsminister Hermann Gröhe vor kurzem erst die rezeptfreie Abgabe der „Pille danach“ wegen der „schweren Nebenwirkungen“ vom Tisch gefegt.

Schwere Nebenwirkungen, die zwei Mal in 16 Jahren aufgetreten sind. Wobei nicht einmal geklärt ist, ob diese – es handelte sich um Thrombosen - überhaupt von der Pille danach ausgelöst wurden, räumt die Bundesregierung ein. Denn: Von 100.000 Frauen im Alter von 15 und 44 Jahren entwickeln ohnehin fünf bis zehn Frauen eine Thrombose, ohne dass sie dabei die „Pille danach“ nehmen. Das Thrombose-Risiko durch die „Pille danach“ dagegen liegt bei eins zu fünf Millionen.

Aber Fakten scheren ja seit Jahrzehnten nicht innerhalb des ideologisierten Pillenstreits in Deutschland. Neben Polen und Italien eines von drei Ländern in Europa, in denen Frauen noch ein Rezept brauchen, um sich die „Pille danach“ zu besorgen. In allen anderen Ländern ist die Pille rezeptfrei erhältlich. Der Bundesrat hatte bereits im November 2013 für die rezeptfreie Abgabe auch in Deutschland gestimmt. Gesundheitsminister Gröhe hätte dieser Änderung im Arzneimittelgesetz im Januar nur noch zustimmen müssen. Hat er aber nicht (EMMA berichtete).

Auf EU-Ebene dagegen wird schon der nächste Schritt diskutiert: Die rezeptfreie Abgabe eines neuen Präparats namens „Ulipristalacetat“. Im Gegensatz zu dem bisherigen Wirkstoff „Levonorgestrel“ - den Frauen bis spätestens 72 Stunden nach dem Sex einnehmen müssen - wirkt diese Pille bis zu fünf Tage nach dem Geschlechtsverkehr.

Aber egal, ob die Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur EMA positiv ausfallen wird – Hermann Gröhe und seine Mannen von der CDU werden auch das irgendwie zu verhindern wissen.

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Lernen aus dem Pillen-Ping-Pong

Herrmann Gröhe: "Sexuelle Selbstbestimmung und Frauengesundheit zusammenbringen"?
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Heute um 19.05 Uhr, dann also, wenn die meisten Abgeordneten langsam beginnen, nervös auf die Uhr zu schielen oder schon auf dem Heimweg im Zug sitzen, debattiert der Bundestag über die rezeptfreie Abgabe der „Pille danach“. Die Linke und die Grünen sind dafür, sie werden heute Abend ihre Anträge einbringen. Die SPD ist auf ihrer Seite, zumindest eigentlich. Die CDU ist dagegen.

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Nach der Anhörung gehen die Anträge in den Gesundheitsausschuss. Mal wieder. So läuft das seit Jahren in Deutschland. Ach ja, und im erzkatholischen Polen und in Italien. Denn in allen anderen EU-Ländern ist die "Pille danach" mit dem Wirkstoff „Levonorgestrel“ rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Schließlich hat die Weltgesundheitsorganisation schon vor vier Jahren dazu geraten. Vor allem, weil das Zeitfenster, in dem die Pille wirkt, sehr kurz ist: Maximal 72 Stunden. Besser: 48 Stunden. Noch besser: 24 Stunden: Am besten: So schnell wie irgendwie möglich.

Aber Argumente sind egal in der Debatte, in der es, seien wir mal ehrlich, darum geht: Frauen wird die Fähigkeit abgesprochen, selbst verantwortungsvoll mit ihren Körpern umzugehen. Die lautesten Stimmen gegen die rezeptfreie Abgabe kommen übrigens von: Männern.

Einer dieser Männer ist unser neuer Gesundheitsminister Hermann Gröhe, 52 Jahre alt. Mit 16 Jahren in die CDU eingetreten. Und der meint es ja eigentlich nur gut. In einem Interview mit der Welt am Sonntag sagte er: „Es geht darum, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und die Frauengesundheit bestmöglich zusammenzubringen.“ Weshalb, so sieht es Gröhe, die "Pille danach" weiterhin nur auf Rezept erhältlich sein darf. Denn: In Deutschland sei eine „zügige ärztliche Beratung“ gewährleistet.

Und die sei auch vonnöten, denn in dieser vertraulichen Atmosphäre könne dann auch gleich darüber gesprochen werden, wie eine solche Verhütungspanne zukünftig vermieden werde kann. Und auch über die „schweren Nebenwirkungen“, die die Pille danach laut Gröhe in „Einzelfällen“ habe.

Damit liegt Gröhe ganz auf Linie seiner Partei. Die Union, allen voran die Junge Union, warnt seit Wochen davor, dass Frauen mit der Pille danach leichtfertig umgehen, sobald sie uneingeschränkten Zugriff darauf haben. Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn trieb das auf die Spitze, als er erklärte: „Man muss es wohl immer wieder sagen: Das sind keine Smarties.“

Ach was! Als wenn Frauen, die seit Jahrzehnten die Verantwortung für die Verhütung beim Sex im Grunde alleine tragen, das nicht wüssten. Überraschend ist dagegen die völlige Faktenfreiheit, mit der Gröhe und seine Mannen in der Causa auftreten. „Bei uns sind die Schwangerschaftsabbrüche von Teenagern rapide gesunken, während sie in anderen Ländern mit rezeptfreier Pille danach sogar angestiegen sind“, behauptet Gröhe. Das entbehrt erstens jeder Logik – eine Frau, die die "Pille danach" pünktlich nimmt, muss ja in der Regel nicht mehr abtreiben – und ist zweitens schlichtweg falsch.

Das sind keine Smarties!

Ja, die Statistiken belegen, dass die Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland von Jahr zu Jahr zurückgehen. Das gilt aber ebenso für Länder, in denen die Pille danach rezeptfrei erhältlich ist. Darauf berief sich unter anderem auch der Bundesrat, als er bereits im November 2013 für eine Änderung der Arzneimittelverordnung und die Freigabe der Pille danach gestimmt hatte. Ein Beispiel: Die Schweiz ist das Land mit der niedrigsten Schwangerschaftsabbruchrate. Hier wurde die Rezeptpflicht für die Pille danach schon im Jahr 2000 abgeschafft.

Ebenso wenig kann in Deutschland von einem „zügigen, diskriminierungsfreien Zugang“ (Gröhe) zu dem Notfallverhütungsmittel die Rede sein. Auch hier gilt das Gegenteil: Seit Jahrzehnten warnen Initiativen wie Pro Familia vor Versorgungsdefiziten, vor allem in ländlichen Gebieten, wo die nächste Klinik nicht um die Ecke ist. Aber auch in den Städten ist die Situation in den Notfallambulanzen am Wochenende nicht besser.

Und wir erinnern uns alle noch lebhaft an diesen Skandal: Im vergangenen Jahr wies ein Kölner Krankenhaus eine junge Frau nach einer Vergewaltigung ab, um die Situation zu umgehen, die "Pille danach" verschreiben zu müssen. Das war in dem katholischen Krankenhaus strikt untersagt. So sieht er also aus, der „zügige, diskriminierungsfreie Zugang“.

Auch die angeblichen schlimmen Nebenwirkungen sind ein Ammenmärchen. Erst vor einigen Wochen hat ein ExpertInnengremium des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einhellig festgestellt, dass es „keine medizinischen Gründe“ gebe, die „gegen eine Entlassung aus der Rezeptpflicht sprechen“. Mit derselben Begründung hatte das Institut übrigens schon 2003 eine Empfehlung zur rezeptfreien Abgabe der "Pille danach" abgegeben.

Aber bereits damals hatten die Experten die Rechnung ohne die Ärztelobby gemacht. Die Bundesärztekammer stellt sich seit Jahren konsequent gegen die rezeptfreie Abgabe. Warum, das erklärt Präsident Frank Ulrich Montgomery - nebst der „gravierenden Nebenwirkungen“ natürlich - so: „Wir möchten den großen Vorteil des deutschen Gesundheitssystems bewahren, dass man in einem Gespräch mit einem Arzt eine kompetente Beratung bekommt, wie der Gebrauch des Medikaments in Zukunft verhindert werden kann.“ 

Auch hier lernen wir: Das mit der Verhütung muss den Frauen halt einfach mal jemand vernünftig erklären. Was Montgomery natürlich nicht sagt: Ärzte verdienen an jeder, die wegen eines solche Rezepts in die Praxis kommt.

Es ist doch so: Wären es vornehmlich Männer, denen in Sachen körperlicher Selbstbestimmung solche Steine in den Weg gelegt werden, die "Pille danach" gäbe es schon lange am Automaten auf dem Kneipenklo.

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