Pionierin am Steuer

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"Ich möchte zu Clärenore Söderström", erkläre ich dem Tankwart eines größeren Moselstädtchens, denn hier, in einem Radius von 50 Kilometern muss sie irgendwo stecken. Selbstverständlich weiß er, wen ich meine. Den Weg zu ihr beschreibt er mir wie den zu einer Sehenswürdigkeit. Bei einer gartenumgrabenden Bäuerin vergewissere ich mich noch einmal, ob ich auf der richtigen Spur bin, und sie weist mir den Weg zu einem Waldstückchen.

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Dreimal umkreise ich den kleinen Forst auf einem kaum auszumachenden Pfad und versacke mit dem Wagen bis über alle vier Räder im Morast. Während der BMW und ich uns erheblich anstellen, denke ich daran, dass sie ganz andere Hürden genommen hat, als sie vor 53 Jahren als 26jährige mit ihrem Adler-Standard, 12/50 PS und verlängertes Chassis, als erster Mensch im Auto um die Welt fuhr: An die Wüste Gobi denke ich, mit ihren Flugsandfallen; an den 4000 Meter tiefen, vereisten Baikalsee, dessen Decke immer wieder aufbrach; an das meterhohe, steilansteigende Geröll der Anden. Wenn ich stecken bleibe, wird sie mich schon rausholen.

Endlich entdecke ich ihr Holzhäuschen, gut verborgen zwischen hohen Tannen. Die Wohnstube betrete ich zögerlich und sehe eine kleine Frau, die mit flinken Bewegungen in der Küche werkelt. Mich nimmt sie überhaupt nicht zur Kenntnis. Richtig - sie ist schwerhörig und geht damit genauso selbstverständlich um wie mit mir. Die folgenden Stunden brülle ich tapfer gegen die Waldesstille an. Ihre Liebenswürdigkeit, ihr zutraulicher Schalk lassen mich bald vergessen, dass wir uns gerade erst kennengelernt haben. Ich habe es nicht mit einer alten Dame von 79 Jahren zu tun, sondern mit einem lebensneugierigen, temperamentvollen Menschen.

Nach einer Stunde duzen wir uns. Mit zwei Gläsern Whisky hat sie souverän diese Distanz genommen, und fortan erzählt sie mir in sonorem Bassbariton aus ihrem Leben. Ihre Stimme hätte Anspruch auf stattliche Einsneunzig. Clärenore Söderström reicht mir knapp bis zur Schultern. Ein Meter und einundsechzig steht im Pass. Das ist bestimmt übertrieben.

Womit fangen wir an? Mit der Weltbezwingerin Clärenore, dem Liebling der ersten Berliner Gesellschaft in den sogenannten Goldenen Zwanzigern? Oder mit dem kleinen Mädchen Clärenore, vom Vater "Mäuslein" genannt, die sich energisch gegen die beiden herrschsüchtigen älteren Brüder durchsetzte. "Das enttäuschendste Weihnachten war, als wir drei Ältesten einen Indianeranzug bekamen. Die Jungen Hosen und Häuptlingsschmuck und ich die Kleidung einer Squaw. Mit Tränen der Scham und der Entrüstung habe ich den Raum verlassen. Erst am Abend im Bett tröstete mich mein Vater und versprach, mir zu meinem Geburtstag im nächsten Monat die Zeichen der Würde eines Häuptlings zurückzugeben."

Beginnen wir mit ihrem Vater, Hugo Stinnes, dem damals reichsten Mann Europas. Sein Wirtschaftsimperium war in Umfang und sozialer Gestaltung einflußreich bis in die heutige Montan-Mitbestimmung. Als er 1924 starb, hatte die 23jährige Clärenore ihren einzigen Verbündeten verloren. Um im Sinne des heißgeliebten Vaters zu arbeiten (er hatte sie zu seiner Sekretärin bestimmt), beschloss sie, in den Hugo-Stinnes-Konzern einzusteigen. Doch die Mutter lehnte dies kategorisch ab. Das sei nichts für Mädchen. Die älteren Brüder übernahmen das Unternehmen, tobten ungezügelt ihr Konkurrenzverhalten gegeneinander aus und brachten den Konzern an den Rand des Ruins. Clärenore hatte inzwischen ihre sieben Sachen gepackt und war nach Berlin gezogen.

In Berlin gründete Clärenore, gerade 23 Jahre alt, eine kleine Handelsgesellschaft, die Pleite machen musste, weil der Partner und ein Rechtsanwalt Gelder veruntreuten. In dieser Situation trat der Direktor der Dinos-Automobilwerke in Berlin an sie heran. Ob sie sich nicht für die Dinos-Werke bei einem Rennen aufstellen lassen wollte. "Egal, ob ich mich platzierte oder als Letzte ans Ziel kam, eine Dame am Steuer war eben Reklame genug. Die Dinos-Werke hatten Papa gehört. Ich fuhr selbst einen Dinos-Wagen und fühlte mich also etwas moralisch verpflichtet."

Sie trat als "Fräulein Lehmann" an. "Papa war erst ein halbes Jahr tot." Fräulein Lehmann machte ihr Rennen hinauf vom Ruhrtal zur Villa Hügel (Wohnsitz der Familie Krupp bei Essen) als gute Dritte in ihrer Klasse. "Schon am nächsten Sonntag startete ich wieder, und damit war mein Weg als Renn- und Rallyefahrerin besiegelt." 1925 fuhr sie dann unter ihrem Namen Clärenore Stinnes. "Erst noch mit Dinos, dann Aga und ab 1926 Adler. Rennen waren meine Wochenendbeschäftigung geworden."

Es versteht sich, dass Clärenore Stinnes inzwischen durch den Blätterwald der Gazetten rauschte. Als nicht nur Deutschlands, sondern "Europas erfolgreichste Autofahrerin", wie die Journalistin Rita Doerschlag am 1. Februar 1927 in den "Leipziger Neuesten Nachrichten" vermerkte, als Enfant terrible, als unternehmungslustiges, munteres Geschöpf dieser unruhig brodelnden Zeit.

Am 25. Mai 1927 startete sie ihre Reise um die Welt. Was war das für ein Geschöpf, diese Clärenore, jetzt 26 Jahre alt, klein, zierlich, mit dem Mut einer Löwin, bürgerlich-patriarchalisch aufgewachsen, Kind der besten Gesellschaft und lebenstüchtig für sich allein sorgend. Wie sah sie aus?

Der Journalist Erich Czech porträtierte sie 1927 in der Zeitung "Die Stunde". Überschrift: "Ich heiße Stinnes und fahre im Auto um die Erde"; Unterzeile: "Interview mit dem modernsten Mädchentypus". Und so konnte man es damals lesen:

"Im schönen Saale der Montan-Union; am grünen Tisch, in den Fauteuils der Generaldirektoren und Verwaltungsräte, ein Dutzend Journalisten in Lauerstellung. Generaldirektor Busch hält mit seiner Meinung nicht hinterm Busch, dass die Reise des Fräulein Clärenore Stinnes eine große Reklamesache sei, weswegen er die Tamboure der Zeitungswerbetrommel zu sich gebeten habe. Mitten in die üblichen Bonmots, welche die Langeweile kaschieren, schneit aus irgend einer Seitentür ein junges Mädchen: Fräulein Clärenore Stinnes. An der jungen Dame fällt auf, dass sie sehr jung ist. Dass sie Hosen trägt (aus fabelhaftem Homespun). Dass sie klein und niedlich ist, wie eine Studentin. Einen martialischen Hut trägt, Borsalino, Fasson ,zusammengedepscht'. Dass sie in einemfort Zigaretten raucht und gern und viel lacht. Dass sie außer ihrer Muttersprache perfekt englisch, französisch, spanisch und schwedisch spricht. Was sie zu diesem Reiseplan bewogen hat? ,Ach Gott, ich will die Welt aus eigener Anschauung kennenlernen, das ist alles.' Sie fährt also kreuz und quer über den Erdball, dessen Taillenweite bekanntlich 40 000 Kilomter ist, wie unsereins über Sonntag nach Lang-Enzersdorf fährt oder nach Pitten oder sonstwohin."

Der Journalist Erich Czech erwähnt auch am Rande Charles A. Lindbergh, der 1927 gerade den Nordatlantik in West-Ost-Richtung überflogen hatte (6000 Kilometer in 26 Stunden) und darüber zum Nationalhelden der USA wurde. Dass die erste Fahrt um die Erde im Auto in keinem Geschichtsbuch auch nur mit einer Silbe erwähnt wird, muss wohl nicht extra betont werden. So ist es immer gewesen. Clärenore erging es wie vielen anderen Abenteurinnen. Sie war nicht die einzige. Doch wo konnten wir etwas lesen über Getrude Ederle, die 1926 den Kanal durchschwamm. Was wissen wir von Clärenores Rennen fahrenden Zeitgenossinnen? Von Liliane Rohrs, Irmgard Mahlkopf-Allmers, Else Vollbrecht, Franziska Lüning, Ernes Merck, Hilde Wickenhäuser, Tilly Köpke, Berta Merkel. Immerhin waren es doch so viele und wahrscheinlich noch mehr.

Was wissen wir von Elisabeth Heyking, deren "Tagebücher aus vier Weltteilen" 1926 von ihrer Freundin Grete Litzmann herausgegeben wurden? Von 1886 bis 1904 reiste sie an der Seite ihres Mannes und Diplomaten durch die Welt, durch Chile, Indien, Ägypten, China und Mexiko. 25 engbeschriebene Tagebuchhefte hinterließ sie, mit denen sie sich unbeabsichtigt ein schriftstellerisches Denkmal setzte. Eine hochbegabte Frau, die als sechsjähriges Mädchen fließend deutsch und französisch schrieb und las, die sich bereits brennend für Geographie interessierte. Da sie "standesgemäß" reiste und aufgenommen wurde, erlebte sie allerdings vorwiegend die Sonnenseiten der Länder und ihrer Menschen.

Clärenore allerdings - so sehr es sie umtrieb von einer Autokatastrophe zur nächsten, von einem Empfang zum anderen – sah doch auch das Elend der Menschen, der Männer, aber auch der Frauen und schrieb es nach der Weltreise auf in ihrem Buch "Im Auto durch zwei Welten".

Was wissen wir von Amalie Dietrich. Im Großen Brockhaus steht sie jedenfalls nicht. Zu ihrer Zeit war sie eine prominente Botanikerin, die 1863 Mann und Tochter daheim ließ und sich nach Australien aufmachte, um dort zehn Jahre lang Pflanzen, Vögel und Fische für das botanische Museum in Hamburg zu bestimmen. Als sie Jahre später, schon eine alte Frau geworden, an einem Botaniker-Kongress in Berlin teilnehmen wollte, wurde sie an der Tür abgewiesen; "Frauen haben keinen Zutritt" hielt man ihr frech entgegen. Nachdem sie ihren Namen genannt hatte, sprach sich die Anwesenheit der prominenten Kollegin rasch herum. Die Herren machten eine Ausnahme, gaben ihr einen Ehrenplatz.

Auch Marie von Bunsen, deutsche Publizistin und Schriftstellerin, Tochter eines liberalen preußischen Politikers, ging zu ihren Lebzeiten (1860-1941) viel auf Reisen, und fast immer allein. Über ihre Fahrten in den Fernen Osten veröffentlichte sie 1913 ein Buch mit eigenen Aquarellen. Sie berichtet darin über Japan, Korea, China, Ceylon, Kambodscha, Birma und Indien. "In Birma", schreibt sie, "lebt die unabhängigste Frau auf Erden." Sie dürfe ihre Mitgift behalten und selbst verwalten und mehren, sie dürfe ihren Namen weiter tragen und stünde in allem gleichberechtigt neben dem Mann. - Wie viele mag es gegeben haben, von denen wir nie etwas erfahren werden?

Auch Clärenore Söderström hat 50 Jahre lang geschwiegen. Aus Liebe zu ihrem Mann, wie sie sagt. "Als er mit, Herr Stinnes' angesprochen wurde, habe ich unter die Weltreise einen Strich gezogen." Ihre eigene Familie übrigens, ihre Brüder vor allem waren entsetzt, reagierten pikiert und empört auf ihre Rennerfolge und auf die Autofahrt um den Globus und verschwiegen das abenteuerliche Leben Clärenores vor den Kindern und Enkeln. Es war angeblich nicht standes- gemäß. Wahrscheinlich platzten die Brüder vor Neid…

Die Globus-Tour finanzierte ihr die Autoindustrie. 100 000 Reichsmark kamen zusammen. Ihre neueste Serienlimousine "Standard 6" mit stabiler Stahlkarosserie, stellten die Frankfurter Adler-Werke zur Verfügung. Clärenore ließ sich Liegesitze einbauen und große Koffer auf die Trittbretter montieren. Mit auf die Reise ging ein Adler-Lastwagen, in dem Benzinkanister, Ersatzteile, Werkzeug, Reifen, ein Flaschenzug, Stemmbalken, drei Pistolen und ein Zelt verstaut wurden. Zwei Mechaniker sollten ihn fahren. Zudem sorgten die Herstellerfirmen für Depots mit Benzin, Öl und Maschinenteilen in entlegenen Landstrichen. Sämtliche diplomatische Vertretungen des Reiches wurden versorgt mit Auto-Teilen für Clärenore.

Um das waghalsige Unternehmen dokumentarisch festzuhalten, wurde der prominente schwedische Kameramann Carl-Axel Söderström engagiert. Von Frankfurt aus ging es quer durch Deutschland über den Balkan. Es folgten die Städte Konstantinopel, Angora, Damaskus und Bagdad. Von Teheran sollte es dann über den Kaukasus nach Norden bis Moskau gehen. Clärenore: "Und von dort immer gen Osten über Sibirien, die Mongolei nach Peking."

Japan würde folgen, dann mit dem Schiff hinüber nach Amerika und dort weiter im Wagen durch Peru, Bolivien, Argentinien und Chile nach Los Angeles - New York - Paris - Berlin. Das war die Reiseroute.

Gleich am zweiten Tag gab's die erste Reifenpanne. Clärenore hatte 148 hartgekochte Eier dabei, "damit wir uns in den ersten Tagen nicht unnötig mit Proviantsuche aufhalten mussten." Am 22. August treffen die beiden Wagen in Moskau ein. Ein Sechstel der Reise um die Erde ist nach 9830 Kilometern mit vielen Strapazen geschafft. Hier werden die Fahrzeuge gründlich inspiziert. Erst am 16. September geht es weiter, und bald hat sie der russische Winter eingeholt.

Die Strecke wird zusehends miserabler. Beim Regen löst sich die russische Steppe in braunen Brei auf. Von Straßen kann schon lange nicht mehr die Rede sein. Sie übernachten oft bei Bauern auf Strohschütten, wegen der allmählich einsetzenden Kälte eng aneinander gedrängt, die zwei Männer und Clärenore samt Lord, ihrem Hund. Einer der Mechaniker war inzwischen wegen akuter Blinddarmentzündung ausgestiegen.

Noch bis Moskau erreichen Clärenore immer wieder mahnende Telegramme der Freunde aus Deutschland. Auch Gustav Stresemann bittet sorgenvoll per Depesche die Draufgängerin, ihr tollkühnes Unternehmen abzubrechen. Doch sie lässt sich nicht erweichen.

Das nächste Hindernis hieß Sura. Der Stromschnelle Fluss bei Lwuwa musste überquert werden. Dazu gab es nur ein Floß, das gewohnt war, höchstens fünf Pferde herüberzuholen. In ihrem Buch "Im Auto durch zwei Welten", 1929 in Berlin herausgegeben, schreibt sie:

"Heidtlinger (der Mechaniker) begrüßte mich mit saurem Gesicht und erklärte: ,Wenn Sie glauben, dass ich diese Schinderei noch länger mitmache, irren Sie sich. Ich riskiere nicht weiter meinen Kopf dabei!' Ich versuchte ihm zuzureden, es half nichts. Er wurde ausfallend und meinte: ,Sie können ja doch nichts ohne mich machen, und ich fahre nur noch den Wagen zurück, aber nicht einen Schritt vorwärts mehr!' Diesem offenen Streik gegenüber in einem Augenblick, wo andere Hilfe tageweit nicht greifbar war, erfasste mich die Wut, und ich sagte: ,Gehen Sie weg! Die Wagen können auch ohne Sie hinüberkommen.' Wir arbeiteten den ganzen Nachmittag, um die Fähre zu verstärken und am jenseitigen Ufer die Möglichkeit zu schaffen, auf zwei Planken wenigstens so weit Boden zu gewinnen, dass uns kein Wasser in die Motoren kam. Ich probierte die nasse Fahrt zuerst mit meinem Wagen. So fuhr ich auf die Fähre hinauf. Die Balken, an denen sie angenagelt war, wurden losgeschlagen, wir glitten über den Strom und am gegenüberliegenden Ufer kam ich glücklich an Land."

Sie hat auch heute noch diesen eisernen Willen, und wer nicht mitzieht, der bleibt halt zurück. In diesem Fall war es der zweite Mechaniker, und Söderström übernahm den Lastwagen. Da waren's nur noch zwei.

Am 12. Januar finden sich in Carl-Axel Söderströms Tagebuch drei Zeilen: "Mit heiler Haut zu Hause nach 45 Kilometern. Wölfe begleiteten uns während der Fahrt. Stinnes bietet mir das Du an."

In der Mongolei werden sie von den Hunghutzen verfolgt, meist chinesische Desserteure, die auf Beute aus sind und nicht lange um ein Menschenleben fackeln. Sie haben Glück, wieder einmal und immer wieder. Der Lastwagen streikt zwar mitten auf der Verfolgungsjagd, doch sie reparieren ihn in Windeseile mit Todesangst und entkommen schweißgebadet der blutrünstigen Räuberbande.

17. März - Söderström notiert: "0.45 Uhr sehen wir die ersten Lichter von Peking. Um 1.30 Uhr stehen wir vor dem geschlossenen Stadttor. Zunächst total Stop. Mit viel Schimpfen durften wir um 3 Uhr weiterfahren. Fuhren eine Stunde vergebens in der Stadt herum, bis um 6.30 Uhr unser Hotel fanden. Waren so schmutzig und von Lehm verkrustet, dass der Portier uns nicht hereinlassen wollte. Wir sind 18 886 Kilometer gefahren. Nur einige Stunden Schlaf, und wir werden von Reportern überfallen bis Mitternacht. 18. März - Von aller Herren Länder kommen auch heute noch Reporter. 19. März - Lunch beim deutschen Gesandten, Freiherr von Schön. Eingeladen auch die Gesandten von Frankreich, England, Amerika und Baron Lejonhuod, der schwedische Gesandte."

Am 25. April zwischen Kobe und Osaka übernachten sie in einem Geisha-Haus. Söderström notiert: "Ich wurde von zwei Geishas gebadet und auf dem Boden zum Schlafen gebettet. Es gab nicht ein Möbel im Zimmer, und die Geisha, die bediente, lag vor mir auf den Knien. Clärenore notiert: "Meine Gefühle waren sehr gemischt, als ich die Entdeckung machte, dass die Aufforderung an Söderström als erster ins Bad zu gehen, keine reine Formsache war, Nein, er war der Herr und ich nur eine Frau, die an zweiter Stelle rangierte und nach ihm dasselbe (!) Badewasser benutzen durfte."

Am 11. Juli beginnen sie ihre Fahrt durch Peru, begleitet von Hauptmann Galvez. Er soll über die Reiseroute der beiden bei dieser Gelegenheit eine topographische Karte anfertigen, denn Karten, gar Wege, geschweige denn Straßen über die Cordilleren gibt es nicht.

Hier, in den peruanischen Anden liegen wohl die schwärzesten Tage dieser Autoreise um die Welt. Zu Fuß wären sie gewiss leichter vorangekommen als mit dem Adler, der das eine Mal die steilen Schotterwände hinaufgezogen werden muss mit Hilfe von Landarbeitern und 25 Pferden. Das andere Mal gilt es, den völlig verstaubten Karren am Abstürzen zu hindern, mit frommen Sprüchen und Muskelkraft. Abwechselnd sitzen bei diesen Torturen Clärenore oder Carl-Axel an der Handbremse bzw. an der Kamera, denn gedreht werden muss ja auch, sonst glaubt es die Mitwelt in Europa womöglich nicht.

Am 28. Mai 1929 wird ihnen in New York ein triumphaler Empfang bereitet. In Washington begrüßt sie Präsident Hoover im Weißen Haus. Clärenore hält einen Fünf-Minuten-Vortrag, der über 21 Stationen in ganz USA ausgestrahlt wird. Und Amerika feiert die 27jährige als emanzipierte Frau, als Pionierin: "Blond Claerenore Stinnes, who defied her family to motor round the world without a chaperone (Anstandsdame), has become the ideal of the teutonic new woman that seeks a virgin eden."

Am 24. Juni 1929 erreichen die beiden nach zwei Jahren und einem Monat wieder Berlin. Clärenore schreibt in ihrem Buch: "In den Verwaltungsräumen der Avus, der großen Automobilstraße, hatten sich alle zusammengefunden. Geschlossen fuhren wir unsere beiden Wagen durch das Ziel, das aus Blumen und wehenden Fahnen gebaut worden war. Blumen und Schleifen türmten sich auf den Motorhauben, und Freundeshände streckten sich uns entgegen. (...) So waren wir endgültig am Ende unserer Fahrt, die uns über zwei Jahre, in denen wir 49 244 Auto-Kilometer zurücklegten, durch fremde Länder und Völker, durch Gefahr und Schönheit geführt hatte."

Durch 23 Länder hatte sie die Reise geführt. Länder, in denen die Menschen noch nie ein Auto gesehen hatten, die beim Anblick des Wagens kreuzschlagend um ihr Leben liefen. Am Adler war bis auf den Motor so ziemlich alles irgendwann mal in die Brüche gegangen. Stinnes und Söderström waren auf dieser Reise um die Welt gemeinsam durch alle Höllen gegangen, durch mörderische Kälte und glühende Hitze und oft bis an den Rand ihrer physischen Kräfte. Am 20. Dezember 1930 heirateten sie.

Clärenore und Carl-Axel Söderström wurden Landwirte in Schweden, kämpften auf der Seite der Schweden gegen den Faschismus in Deutschland, zogen dort ihre drei Kinder und eine ganze Reihe Pflegekinder groß und ließen Weltreise und Filmgeschäft auf immer aus ihrem Leben verschwinden.

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