Die schnelle Ellen

Ellen Lohr startet für Mercedes.
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Die Frau am wildlederbezogenen Rennwagen-Volant rennt oft nicht nur gegen die männliche Konkurrenz an, sondern wieder und wieder auch gegen festgefügte Vorurteile. Das häufigste hinter der höflich vorgehaltenen Männerhand: Die Mädels seien von Natur aus eben langsamer als die Herren. Die neunziger Jahre könnten diesem verhärteten Vorurteil dabei auf breiter Front den Garaus machen-. Im Formel-Rennsport, in der Rallye-Weltmeisterschaft und auch bei den Tourenwagen lassen Frauen regelmäßig jede Menge Männer stehen.

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Etwa die eine: Sie hasst Kleider. Stöckelschuhe sind ihr ein Greuel. Schminken? Nein danke. Testtag auf dem badischen Hockenheimring. Hinter dem Visier blinzeln Augen fordernd durch Brillengläser: "Ich will, dass das Auto hinten höhergelegt wird", sagt Ellen Lohr freundlich bestimmt, "ich will das mal ausprobieren." Sie weiß, was sie will, und weiß, wer sie ist - der Boss an diesem Testtag. Teammanager Franz Tost gibt schulterzuckend die Instruktion weiter: Der Formel 3, ein Rennauto der sogenannten Monoposto-Klasse mit 170 Pferdestärken und freistehenden Rädern, soll höhergelegt werden. So will es die Rennfahrerin - auch wenn erfindet: "Das ist der reine Blödsinn." Ellen Lohr winkt ab -die Mechaniker machen sich an die Arbeit.

"Die Lohr", wie sie an den Rennstrecken anerkennend genannt wird, zurrt die Gurte fester, streift die Rennfahrerhandschuhe über und harrt, ruhig konzentriert, der Ausführung ihrer Anweisung. Dann startet sie erneut zur Test-Tour um den Hockenheimring.

Ellen Lohr - Star der Formel 3? "Früher war ich ein ganz ruhiger Typ", sagt sie, während sie aus dem Cockpit klettert und den Helm absetzt. Dezent gesträhnte Locken stehen wild ab, werden mit geübtem Fünf-Finger-Griff sofort geordnet, ein ironisches Lächeln folgt: "Aber wer kennt sich schon ganz genau?"

Teammanager Tost kennt seine Fahrerin, er konfrontiert sie mit Fakten: "Du warst eine Sekunde langsamer mit der neuen Fahrwerk-Einstellung." Ellen Lohr bleibt hartnäckig: "In den schnellen Kurven ging's aber besser, außerdem war ein Höllenverkehr auf der Strecke."

Nach einer halben Stunde Diskussion über den Testtag dann eine entspannt wirkende Ellen Lohr in Jeans, Pulli und bester Laune: "Zum ersten Mal in meinem Rennfahrerleben habe ich ein richtiges Testprogramm, wo alles bis ins kleinste Detail ausdiskutiert wird - und sofort geht alles schief."

Drei Jahre ist das her, und die Selbstironie galt damals der Bilanz der Anfänge ihrer Formel-3-Karriere. Ein siebter Platz in fünf Rennen war 1988 ihr bestes Resultat. Ihr Einsatz in dieser deutschen Meisterschaft war eine Gleichung mit drei Unbekannten gewesen: neues Team, neues Auto, erstmals Formel 3.

Schon 1987 war es Ellen Lohr zur lieben Gewohnheit geworden, der männlichen Konkurrenz davonzufahren. Sie hatte sich den Meistertitel in der kleineren und PS-schwächeren Formel-Kategorie Formel Ford 1600 geholt - als erste weibliche Titelträgerin in dieser Klasse. Doch dann fand sie sich 1988 in der Formel 3 in einem dichten Mittelfeld von Renn-Junioren wieder, die um Bruchteile von Sekunden stritten. Zur Mitte der Saison wurde wieder einmal das Geld knapp, Ellen konnte nicht alle Rennen fahren.

Ende des Jahres 1988 bot Volkswagen ihr einen Platz im Formel 3-Werksteam an – das Ende des finanziellen Bangens. Nebenbei hatte sie 1987 und 1988 Tourenwagenrennen für BMW im M3 gefahren, und mit einem zweiten Platz auf dem Salzburgring 1987 gezeigt, dass sie nicht nur mit den offenen Formelautos schnell sein kann. Tourenwagen sind jene Rennautos, die, bis auf die Sponsorbemalung, wie normale Serienautos aussehen. Grundstein vielleicht für Lohrs neuen Vertrag. Die nächsten zwei Jahre wird die Fast First Lady des deutschen Rennsports für Mercedes in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft antreten.

Die Zustimmung aus dem Elternhaus ist Ellen Lohr für diesen Schritt gewiss - zumindest von der männlichen Seite aus. "Mein Vater und ich, das ist schon so ein Thema", sagt Ellen Lohr. "Ich habe unwahrscheinlich viel von ihm gelernt." Aber: "Ein Ehrgeizvater ist er nie gewesen." Die schlimmste Drohung im Hause Lohr lautete: "Wenn du das machst, Ellen, darfst du nicht mehr fahren."

Alfred Lohr, Besitzer einer kleinen Kfz-Werkstatt in Mönchengladbach, war selbst mit den kleinen Go-Karts schon über 20 Jahre lang Rennen gefahren, als er seine damals 14jährige Tochter zur Probe erstmals in sein Kart setzte. Ellens älterer Bruder hatte sich für die Vorliebe des Vaters nie so recht begeistern lassen.

Klar, dass die 14jährige, mit Kissen im Kreuz, weil die Beine nicht an die Pedale reichten, prompt unsanft in den Reifenstapeln landete. Ebenso klar die Schlussfolgerung, die seither gilt: Jetzt erst recht.

Alfred Lohr chauffierte Ellen in den Jahren 1980 bis 1983 zu den deutschen Kart-Meisterschaften, auch mal zu Junioren-Weltmeisterschaftsläufen. Er war dabei, als Ellen 1983 Kart-Landesmeisterin Nord-West wurde. 1984 kaufte er einen Formel Ford 1600 – da war die Tochter gerade knapp 20 Jahre alt. "Wir hatten mit einer alten Gurke von Auto über unseren Hobbyfahrer-Horizont nicht hinausgeblickt." Sie holt tief Luft und schiebt wieder die lästigen Locken weg.

1984 sind, trotz der "alten Gurke von Auto", ein paar Leute auf das schnelle Mädel aus Mönchengladbach aufmerksam geworden. 1985 gerät sie in die Nachwuchs-Aktion einer Motorsport-Zeitschrift, fährt mit deren finanzieller Unterstützung wieder Formel Ford 1600.

"Damals gab es ein paar Jungs, die sich lieber vier Reifen abgefahren haben, als ein Mädel vorbeizulassen", erinnert sich die schnelle Ellen.

Entsprechende Reaktionen männlicher Mitstreiter sind überliefert: "Als Ellen das erste Mal neben mir auf der Strecke auftauchte", bekannte Michael Bartels zum Beispiel, hab' ich vor Schreck das Schalten vergessen." Und ein anderer, der damals 20jährige Rolf Steinberger, hauchte entnervt ins Reportermikrofon: "Es ist schon deprimierend, von einer Frau in direktem Nahkampf so gedemütigt zu werden."

Später in der Formel 3, die sie 1989 und 1990 im VW-Werksteam fuhr, fühlte Ellen sich "als Gleiche unter Gleichen", da hätten diese Sprüche dann aufgehört. Das waren aber auch die Zeiten, in denen man ihr zuflüsterte, doch mit ihren Reizen nicht so zu geizen. Ellen Lohr aber setzte weder ihren langjährigen Freund Josef vor die Tür, noch die eigenen Ideale. Im Rennen möchte sie "nie anders als durch Top-Leistung" überzeugen.

Die gelang ihr im Mai 1990 beim prestigeträchtigen internationalen Formel-3-Rennen im Rahmen des berühmten Formel-1-Grand Prix von Monaco. Hier halten die bedeutendsten Männer der Königsklasse des Motorsports nach Nachwuchs Ausschau. Die Mönchengladbacherin wurde nach bravouröser Fahrt im strömenden Regen Zweite - vor der männlichen Formel-3-Elite Italiens, Frankreichs, Deutschlands und Englands!

Ellen Lohrs Traum vom Aufstieg in die nächst- höhere Formelklasse, in die Formel 3000, ist trotzdem nicht in Erfüllung gegangen. Gescheitert ist sie zunächst einmal am großen Geld, das der Rennsport verschlingt: Für eine Saison in der Formel-3000-Europameisterschaft muss ein Fahrer Sponsorgelder in Höhe von mindestens 1,2 Millionen Mark auftreiben. Und Sponsorsuche ist, wenn eine Frau anklopft, noch härter als üblicherweise.

Eine Kollegin der Lohr hatte es dennoch geschafft: Giovanna Amati fuhr 1988 und 1990 Formel 3000. Aber auch der Italienerin wurden Grenzen gesetzt: "Ob ich zu den erfolgreichen Frauen im Motorsport zähle? In diesem Jahr 1990 wohl nicht, denn ich fahre mit einem Auto, das nichts taugt, meist hinterher." Dabei erregte die temperamentvolle Amati großes Aufsehen. Zwölfmal schmückten die TV-Anstalten ihre Sportsendungen mit Amati-Interviews. Giovanna spricht fließend französisch, spanisch und englisch, schreibt nebenbei Kolumnen und macht Autotests. "Aufgeben? Niemals!" Ob Giovanna Amati auch 1991 Formel 3000 fahren darf, ist trotzdem noch immer ungewiss.

Willensstärke und Ausdauer heißen auch die Tugenden von Amatis Landsfrau Paola de Martini. Die 26jährige von der Insel Elba behauptet von sich selbstbewusst, nie ein anderes Berufsziel als das der Ralleyfahrerin gehabt zu haben. 1990 fuhr sie im gegen Lancia und Toyota unterlegenen Audi 90 quattro fast die komplette Saison in der Ralley-Weltmeisterschaft.

Einige der vielen Meriten der zierlichen Italienerin: Gesamtsiegerin der Sanmarino-Ralley 1988, im gleichen Jahr Sechste der Ralley-Europameisterschaft, 1989 Neunte sowohl bei der Ralley Monte Carlo als auch der Ralley Korsika. Und 1990 im Kampf um den FIA-Ladies-Cup zusammen mit der Engländerin Louise Aitken-Walker an der Spitze der besten Ralleyfahrerinnen der Welt. Im Umgang mit Mechanikern spröd-herb wie einst die Ralley-Königin Michele Mouton, verwandelt sich Paola im Zwiegespräch zur reinen Sanftmut, durchwirkt von gestenreichem Temperament, besonders wenn sie über ihren Beruf spricht. Doch auch für Paola de Martini ist im Moment Endstation: Kein neuer Vertrag für 1991.

Die Geschichte der Frauen im Rennsport ist wechselhaft. In der Ralley-Weltmeisterschaft hat es bislang einzig Michele Mouton wirklich bis an die Spitze gebracht. Die Französin, Spitzname "der schwarze Vulkan", war 1982 Vize-Weltmeisterin geworden und ist bislang die einzige Frau, die je einen Lauf in der Ralley-Weltmeisterschaft gewonnen hat. Einen Hauch von weiblicher Kontinuität findet sich in den Formelklassen: genau 20 Jahre bevor Ellen Lohr in der Formel Ford 1600 Meisterin wurde, war in Deutschland Hannelore Werner aus Köln zunächst in der Formel Vau, später in der Formel 3 und schließlich sogar in der PS-stärkeren Klasse Formel 2 oft genug den Männern davongefahren.

Und gerade wächst ein neues weibliches Formeltalent heran: Die 19jährige Claudia Hürtgen, im vergangenen Jahr Sechste in der Formel Ford-Meisterschaft. Sie plant, in dieser Saison nahtlos an Ellens Erfolg anzuschließen. - Ihr Ziel ist ganz schlicht der Meistertitel 1991. Ihr Vorbild, sagt sie, sei Ellen. Die hat ihren Ehrgeiz in Sachen Formel 3000 erst einmal, mangels money, aufgegeben, nicht aber den geliebten Rennsport insgesamt. Für ihn hat sie mittlerweile sogar ihr Chemie-Studium, knapp vor dem Abschluss, über Bord geworfen.

Ein Trost: Auch die Deutsche Tourenwagen- Meisterschaft hat sich in den letzten drei Jahren zu einem Publikumsspektakel gemausert. Über Erfahrung im Tourenwagensport verfügt Ellen Lohr schon lange: Siefuhr bereits 1987 und 1988 für BMW sporadisch Tourenwagen-Rennen.

Profi und Realist zugleich, kommentierte die 25jährige Ellen Lohr mit wehem Blick ihren Rückzug vom Formelsport, der als das schlicht Größte im Rennsport gilt: "Jetzt muss ich wohl erwachsen werden." Aber das Saxophon-Spielen gibt sie deswegen noch lange nicht auf.

Ihr neuer Kollege im Team von AMG, der mehrfache Tourenwagen-Meister Klaus Ludwig, begrüßte die weibliche Konkurrentin mit Zurückhaltung. "Sollte Ellen im nächsten Jahr vorne mitfahren wollen, erklärte er freundlich lächelnd einem Rundfunk-Reporter, "muss sie schon ein verdammt gutes Auto haben." Er wäre nicht der Erste, der Ellen unterschätzt - und dann das Nachsehen hat.

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