In der aktuellen EMMA

Berlin: Sag mir, wo die Frauen sind

Justizministerin Stefanie Hubig, Gesundheitsministerin Nina Warken und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. - Fotos: IMAGO
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NINA WARKEN (CDU) GESUNDHEIT 
Ihre Ernennung sei „überraschend“, heißt es in nahezu jedem Artikel über sie. Das ist die mehr oder weniger elegante Umschreibung dafür, dass Nina Warken bis dato mit dem Thema Gesundheit nichts zu tun hatte. Die 46-jährige Juristin aus Tauberbischofsheim hat zunächst als Rechtsanwältin gearbeitet. Seit 2013 sitzt sie im Bundestag und war dort Mitglied im Innen- und im Rechtsausschuss. Und jetzt ist sie zuständig für: Krankenkassen kurz vor der Pleite, desolate Lage bei Finanzierung von Pflege und Krankenhäusern, dramatischer Ärztemangel in ländlichen Regionen. Kann die das? Die neue Ministerin sagt: Ja! Ihre Fremdheit im Fach sei womöglich sogar ein Vorteil, weil sie Unabhängigkeit von den gerade im Gesundheitsbereich starken Lobbygruppen bedeute. „Ich höre mir alles an, aber am Ende bin ich diejenige, die entscheidet!“ Am 25. Mai wurde die neue Gesundheitsministerin auch zur Vorsitzenden der CDU-Frauenunion gewählt. Die Nachfolgerin von Annette Widmann-Mauz ist damit automatisch im CDU-Parteivorstand. Als Chefin der 95.000 Frau starken Frauenunion will Warken, verheiratet und Mutter dreier Söhne, die Kinderbetreuung stärken sowie Gewalt gegen Frauen bekämpfen. Und die Präsenz der Frauen in ihrer Partei erhöhen. Nur jeder vierte CDU-Bundestagsabgeordnete ist weiblich, und dass „im Koalitionsausschuss nur eine Frau sitzt“ (nämlich Sozial­demokratin Bärbel Bas), sei „nicht haltbar“, sagt Nina Warken. „Da ist noch viel Luft nach oben.“

KATHERINA REICHE (CDU) WIRTSCHAFT UND ENERGIE 
Sie ist (von einem kurzen Intermezzo von Brigitte Zypries 2017 abgesehen) nach einem Dreivierteljahrhundert die erste Frau auf diesem Posten. Und der erste „Ossi“. Katherina Reiche ist in Luckenwalde aufgewachsen, studierte in Potsdam Chemie. Ein Jahr nach ihrem Abschluss 1997 ging sie in den Bundestag, wurde Parlamentarische Staatssekretärin im Umwelt- und Verkehrsministerium. 2015 ging sie in die Industrie und war zuletzt Chefin der Westenergie, einer Tochter des Energieversorgers EON. Dass die neue Wirtschaftsministerin, die für die Energiewende zuständig ist, prompt Robert Habecks Heizungsgesetz abräumen will und dafür auf den Neubau von Gaskraftwerken setzt, hat daher ein kleines Geschmäckle. Doch die 52-Jährige ist Gegenwind gewohnt. Für einen „Wutsturm“ (Berliner Zeitung) hatte sie 2002 gesorgt, als sie die Klage von Bayern, Sachsen und Thüringen gegen die Eingetragene Lebenspartnerschaft für homosexuelle Paare unterstützte. Die Union müsse klar „auf Familie, Kinder, Ehe setzen“. Katherina Reiche hat drei Kinder, die ersten beiden bekam sie unverheiratet, weshalb sich dann wiederum die katholische Kirche empörte, als Reiche 2002 im Schattenkabinett von Edmund Stoiber als Familienministerin antrat. Vom Vater ihrer Kinder ist Katherina Reiche inzwischen ­geschieden und mit Karl-Theodor zu Guttenberg liiert – der auch mal Wirtschaftsminister war.

STEFANIE HUBIG (SPD) JUSTIZ UND VERBRAUCHERSCHUTZ 
Sie ist, neben Bundesfamilienministerin Prien, die zweite Ex-Landesbildungsministerin im Kabinett. Malu Dreyer holte die Frankfurterin 2016 als Ministerin nach Rheinland-Pfalz. Genau wie Karin Prien ist Stefanie Hubig Juristin. Die 56-Jährige war Richterin und Staatsanwältin in Ingolstadt, bevor sie 2000 als Referentin ins Bundesjustiz­ministerium wechselte. Dort arbeitete sie in den Büros von Herta Däubler-Gmelin und Brigitte Zypries, wurde 2014 Staatssekretärin bei Heiko Maas. Mit ihm entwarf sie das Gesetz, das Lücken bei der Bekämpfung der Kinder­pornografie schloss. Eine entscheidende Lücke jedoch blieb: das Verbot der Vorratsdatenspeicherung. Während Hubigs Vorgänger Marco Buschmann (FDP) auf das laut Experten nutzlose Quick-Freeze-Verfahren setzte, kündigt die neue Justizministerin an, die Vorratsdatenspeicherung einführen zu wollen. Was plant sie noch? „Die Zunahme von Gewalt – auch in den Familien – und der um sich greifende Extremismus stellen uns vor große Aufgaben“, sagt Hubig. „Außerdem möchte ich das Familienrecht auf die Höhe der Zeit bringen, etwa beim Sorge- und Umgangsrecht, aber auch im Abstammungsrecht.“ Wir dürfen gespannt sein, was genau die Ministerin darunter versteht. Wird sie endlich dafür sorgen, dass gewalttätige Männer kein Umgangsrecht mit ihren Kindern bekommen, auch wenn sie „nur“ die Mutter geschlagen haben? Oder wird sie, wie so viele JustizministerInnen vor ihr, unter dem Einfluss der Väterrechts-Lobby stehen? Wir werden sehen. 

VERENA HUBERTZ (SPD) WOHNEN UND BAUEN
„Die SPD muss jünger, weiblicher und digitaler werden.“ Das hatte Verena Hubertz schon 2018 gefordert und mit anderen jungen Parteimitgliedern die Initiative SPD++ gegründet. Sieben Jahre später trägt die 37-Jährige nun als Ministerin zur Verjüngung und Verweiblichung ihrer Partei und des Kabinetts bei. Der Wohnungsmarkt ist vor allem in den Großstädten bekanntlich dicht, die Mieten für viele kaum noch bezahlbar. Das trifft Frauen – zum Beispiel Alleinerziehende, Rentnerinnen oder Gewaltopfer – stärker als Männer. Hubertz’ Vorgängerin Klara Geywitz hat ihr Ziel, 100.000 Sozialwohnungen zu bauen, weit verfehlt. Ihre Nachfolgerin bringt wenig Erfahrung im Thema mit. Verena Hubertz zog erst 2021 in den Bundestag ein, nachdem sie in ihrem Wahlkreis Trier das Direktmandat geholt hatte, und saß dort im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Aber die studierte Betriebswirtin scheint eine kreative Macherin zu sein. 2013 gründete sie mit einer Studienfreundin ein Start up, das die App für die Plattform „Kitchen Stories“ entwickelte. Die Plattform hatte 20 Millionen NutzerInnen und 60 Angestellte, Verena Hubertz übernahm die Geschäftsführung und wurde 2019 vom Kress-Report als „Newcomerin“ des Jahres ausgezeichnet. Als Praktikantin bei der Lebenshilfe Trier organisierte sie den größten gemeinsamen Trommelwirbel der Welt, der ins Guinnessbuch der Rekorde eingetragen wurde. Ziel: Auf das Leistungs­vermögen von Menschen mit Behinderung aufmerksam zu machen. Vielleicht hat Verena Hubertz ja auch originelle Ideen, wie man bezahlbaren Wohnraum schaffen kann, und das am besten auch noch klimafreundlich.

REEM ALABALI-RADOVAN (SPD) ENTWICKLUNG
Sie ist die erste Frau mit Migrationshintergrund an der Spitze eines Bundesministeriums. Die Eltern von Reem Alabali-Radovan stammen aus dem Irak, wo sie zur christlichen Minderheit gehörten. Sie flohen nach Moskau, wo die 1990 geborene Tochter Reem zunächst aufwuchs, und Vater und Mutter ein Ingenieurstudium abschlossen. 1996 kam die Familie nach Mecklenburg-Vorpommern. Sie lebte in einer Flüchtlingsunterkunft, erhielt Asyl und zog nach Schwerin. Reem Alabali-Radovan studierte Politikwissenschaften und arbeitete für das Amt für Migration und Flüchtlingsangelegenheiten in der Unterkunft, in der ihre Familie früher selbst gelebt hatte. 2018 wechselte sie ins Integrationsministerium, 2020 wurde sie Integrationsbeauftragte des Landes Mecklenburg-Vorpommern und ein Jahr später Integrationsbeauftragte des Bundes. Als solche geriet sie auch in die Kritik. Die Islamismus-Experten Ahmad Mansour und Ali Ertan Toprak warfen ihr vor, Initiativen finanziell zu fördern, die nur vorgeblich Rassismus bekämpften, de facto aber den Muslimbrüdern nahestehen. Jetzt ist die 35-jährige Mutter einer Tochter, die mit dem rumänischen Profiboxer Denis Radovan verheiratet ist, zur Entwicklungsministerin aufgestiegen. „Durch meine familiären Wurzeln weiß ich, wie es den Menschen in den Regionen geht, die von politischer Unsicherheit, Krisen, Kriegen und Perspektivlosigkeit geprägt sind“, sagt Alabadi-Radovan. Sie wolle daran arbeiten, dass „Menschen sich gar nicht erst auf die gefährlichen Fluchtrouten begeben müssen“.

ELISABETH KAISER (SPD) OSTBEAUFTRAGTE
Offiziell heißt das Amt „Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland“, und dass auch diese Regierung wieder eine Ostbeauftragte ernennt, zeigt: Auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung gilt der Osten als „Problemzone“. Besonders nach den Erdrutsch-Siegen der AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, mit denen die „Ossis“ der Regierung in Berlin-Mitte sehr deutlich zeigten, dass sie sich von ihr nicht ausreichend gesehen fühlen. Vielleicht kann Elisabeth Kaiser das ändern. Sie kommt aus Gera, hat in Erfurt und Potsdam Politik- und Verwaltungswissenschaften studiert und wurde 2014 Pressesprecherin der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag. Seit 2017 ist sie im Bundestag und wurde 2023 Parlamentarische Staatssekretärin im Bauministerium. „Ganz oben auf meiner Liste stehen bessere Löhne und Wirtschaftsförderung, mehr Ostdeutsche in den Chefetagen und eine gute Infrastruktur, besonders auf dem Land“, sagt Kaiser. Vielleicht ist es diesen Plänen förderlich, dass Kaiser als erste Ostbeauftragte im Finanzministerium angesiedelt ist. Von 13 Ostbeauftragten seit der Wiedervereinigung ist Elisabeth Kaiser übrigens erst die zweite Frau. Die Sommerpause nutzt die verheiratete Mutter einer Tochter, um ihr zweites Kind zur Welt zu bringen. 

NATALIE PAWLIK (SPD) INTEGRATIONSBEAUFTRAGTE 
Sie ist blond und blauäugig, aber Rassismus kennt sie trotzdem aus eigener Erfahrung. Natalie Pawlik wurde 1992 in Wostok geboren, kam als Sechsjährige mit ihren Eltern aus Russland nach Deutschland und lebte zunächst in einem Wohnheim in Bad Nauheim. Das „Spätaussiedlerkind“ weiß, wie es ist, „auf dem Schulhof ausgelacht zu werden, weil man die Sprache nicht spricht oder anders gekleidet ist. Oder nicht auf Kindergeburtstage von Mitschülern gehen zu können, weil man kein Geld für ein Geschenk hatte.“ Das Bild vom „slawischen Untermenschen“ der Nazis und das der „schlimmen ­Sowjetunion“ aus dem Kalten Krieg „beeinflussen unsere Gesellschaft bis heute“, sagt Natalie Pawlik. Sie studierte Geschichte und Kulturwissenschaften und ging in die Politik: Ab 2011 saß sie in die Stadtverordnetenversammlung von Bad Nauheim, ab 2016 im Kreistag und wurde 2021 per Direktmandat in den Bundestag gewählt. 2022 wurde sie „Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten“. Jetzt ist die 34-Jährige „Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration“, angesiedelt im Ministerium für Arbeit und Soziales von Bärbel Bas. Dass Integration vor allem über Bildung läuft, weiß die Frau, die als Schülerin selbst in einer „Integrationsklasse“ startete, nur zu gut. Doch die Schulen schlagen Alarm, weil sie angesichts der drei Millionen Geflüchteten seit 2015 überfordert sind. Und weil vor allem in Brennpunktschulen der Islamismus auf dem Vormarsch ist. Keine Frage: Die neue Integrationsbeauftragte hat viel zu tun.

SOPHIE KOCH (SPD) QUEERBEAUFTRAGTE
Ob es für sie in der Berliner Politik so bunt und lustig wird wie hier auf dem Dresdner CSD? Erst drei Wochen nach den anderen Beauftragten der Bundesregierung wurde sie dann doch noch ernannt: die „Beauftragte für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“. Das war eine Überraschung. Denn nach der Ankündigung von Kanzler Merz, 25 der 62(!) Bundesbeauftragten der Ampel wieder abschaffen zu wollen, rechnete man damit, dass auch die „Queerbeauftragte“ künftig eingespart würde – aus finanziellen wie politischen Gründen. Der Ex-Queerbeauftragte Sven Lehmann (Grüne) hatte sich mit Verve für das katastrophale „Selbstbestimmungsgesetz“ ein­gesetzt. Nun wird also seine Nachfolgerin Sophie Koch zuständig sein für die vielen Buchstaben in LGBTTIQI*+. Die 31-jährige Politikwissenschaftlerin wurde im sächsischen Auerbach geboren und „deshalb weiß ich, was es bedeutet, im ländlichen Raum queer zu sein“. Zum Studium ging sie nach Dresden und wurde 2022 Bildungsreferentin beim „Queeren Netzwerk Sachsen“. Sie war sächsische Juso-Chefin, ist seit 2023 Vorsitzende der „SPD Frauen Dresden“ und sitzt seit 2024 im Landtag. Erste Pläne hat die neue Queer-Beauftragte schon angekündigt: Sie möchte „verheiratete lesbische Paare stärken, damit sie ihre Kinder von Anfang an als ihre Kinder ansehen können“. Sprich: die Stiefkindadoption abschaffen. Eine gute Idee. Außerdem will Sophie Koch „queere Rechte in Artikel 3 des Grundgesetzes aufnehmen“. Das ist nur auf den ersten Blick eine gute Idee (EMMA 6/24).

Arbeitsminsterin Bärbel Bas und Forschungsministerin Dorothee Bär haben wir bereits in EMMA 3/2025 vorgestellt. 

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